Es gibt auch abseits der Energiekrise gute Gründe, die für Tempo 100 auf Autobahnen sprechen. Politiker sprechen eine neue Höchstgeschwindigkeit allerdings nicht gerne an.

Grafik: der Standard

Ein typischer Lufthunderter. In solchen Zonen erkennt man die Auswirkungen der niedrigeren Höchstgeschwindigkeit recht gut, was etwa Luftschadstoffe oder Lärm angeht.

Foto: APA RUBRA

Rasend werden manche schon, wenn sie nur hören, dass eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 auf 100 km/h diskutiert wird.

Dabei hätte diese Maßnahme einige Vorteile, vor allem wenn man sie mit Tempo 80 auf Landstraßen kombiniert. Emissionen wie Feinstaub, Stickoxide, CO2 oder Lärm würden reduziert. Zudem würde es weniger Staus und Unfälle geben, die Verkehrssicherheit steigen. Aktuell beherrschen hohe Spritpreise die Schlagzeilen – und die Energiekrise, die sich auszuwachsen scheint.

Argumente gegen Tempo 100 bzw. 80 sind kaum zu finden: Die Hälfte der von GfK in einer repräsentativen Umfrage befragten Personen ist trotzdem dagegen. Die Zeitersparnis wird oft genannt, doch die ist marginal. Die Flüssig- und Durchlässigkeit des Verkehrs steigt, insbesondere an Stadteinfahrten. Das Beispiel Schweiz gibt Hoffnung: Eine breite Akzeptanz für Tempo 80 auf Landstraßen stellte sich erst nach dessen Implementierung ein.

SPRITVERBRAUCH

Senkt man die erlaubte Höchstgeschwindigkeit auf heimischen Autobahnen, wird der Spritverbrauch im Land sinken. So weit, so logisch. Kompliziert wird es, wenn man ausrechnen möchte, wie viel Treibstoff dann insgesamt in einem gewissen Zeitraum eingespart wird. Dabei sind die Ausgangsparameter durchaus bekannt. Etwa hat das Umweltbundesamt berechnet, dass ein Pkw bei 130 km/h um 23 Prozent mehr Sprit braucht als bei 100 km/h. Doch auch bei einem Tempolimit von 130 km/h liegt die gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit doch mit 115 bis 120 km/h deutlich darunter, ergab eine Berechnung der TU Wien aus dem Jahr 2020. Diese Abweichung ist bei Tempo 100 weniger groß. Zudem kann man nicht auf allen Autobahnen mit 130 km/h fahren. Auf 37 Prozent der heimischen Autobahnen gelten strengere Tempolimits, auf weiteren vier Prozent situative Geschwindigkeitsbegrenzungen. Laut Asfinag werden in Österreich nur 40 Prozent der in Österreich gefahrenen Kilometer auf Autobahnen und Schnellstraßen zurückgelegt.

Der Autofahrerklub ÖAMTC hat das alles im Interesse seiner Klientel durchgerechnet und kam auf ein Einsparungspotenzial von einem bis maximal drei Prozent des Spritverbrauchs in Österreich.

Aus diesen Daten kann man auch nicht auf das eigene Einsparungspotenzial schließen. In den Berechnungen sind nämlich auch viele Klein-Lkws eingerechnet, die als Pkws angemeldet sind. Es hilft also nur: selbst ausprobieren.

CO2, TREIBHAUSGASE

Bei der Dekarbonisierung des Straßenverkehrs, dem mit Abstand größten Sorgenkind in der österreichischen Treibhausgasbilanz, ließe sich mit Tempo 100 auf Autobahnen und Schnellstraßen für Pkws und Klein-Lkws ordentlich Meter machen. 460.000 Tonnen CO2-Äquivalente ließen sich laut Umweltbundesamt pro Jahr damit vermeiden, errechnete das Umweltbundesamt im Jahr 2018.

Das wäre vor vier Jahren ein namhafter Beitrag zur Drosselung des stetig steigenden CO2-Ausstoßes im Verkehr gewesen.

Angesichts des zwischenzeitlich von fünf auf sieben Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gestiegenen Einsparerfordernisses (um die Klimaziele zu erreichen) sinkt die Wirkung dieser rasch und ohne großen Aufwand umsetzbaren Maßnahme.

Ordentlich aufdoppeln ließe sich der Effekt mutmaßlich durch eine Temporeduktion auf Landstraßen von 100 auf 80 km/h. Belastbare Berechnungen gibt es dazu allerdings nicht. Das deutsche Umweltbundesamt gibt die klimaschädlichen Pkw-Emissionen auf Fernstraßen bei Tempo 80 – je nach Verkehrsaufkommen – um rund fünf bis neun Prozent niedriger an als bei Tempo 100.

Die Preise für Strom und Gas sind enorm. Der Aufruf zum Energiesparen wird lauter. Warum und wie das auch dem Klima helfen kann
DER STANDARD

LÄRM

Lassen wir illegale Endtöpfe, durch die ein großvolumiger Verbrennungsmotor gerade auf Volllast ausatmet, einmal weg, ist ab einer Geschwindigkeit von rund 30 km/h das Reifenabrollgeräusch die größte Lärmquelle von Pkws. Und je höher das gefahrene Tempo ist, desto lauter ist das Fahrgeräusch. In diesem Bereich würde eine Reduktion der Geschwindigkeit also eine klare Verbesserung bringen.

Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) hat 2017 berechnet, dass auf einem Abschnitt, mit 20.000 Fahrzeugen pro Tag, die Lärmemission bei der Verringerung der gefahrenen Geschwindigkeit von 130 auf 100 km/h, von 57 um drei Dezibel zurückgehen würde – das entspräche in der akustischen, menschlichen Wahrnehmung der Halbierung des Verkehrsaufkommens.

Lärmschutzwände vor bewohntem Gebiet nahe der Autobahn bräuchten wir wohl aber auch bei Tempo 100, selbst wenn ein moderner Flüsterasphalt verlegt ist. Letzterer reduziert nicht nur den Lärm durch das Reifenabrollgeräusch stark, er hält auch nicht so lange wie der alte, aber laute Asphalt. Was heißt, dass er zwar den Lärm senkt, aber die Gesamtemissionen des Straßenverkehrs in die Höhe treibt.

VERKEHRSSICHERHEIT

Welche Auswirkungen eine Temporeduktion auf Autobahnen im Detail auf die Unfallstatistik hätte, kann niemand sagen. Klar ist aber, dass mit der Geschwindigkeit auch der Anhalteweg, der sich aus Reaktions- und Bremsweg zusammensetzt, deutlich kürzer wird. Der Reaktionsweg reduziert sich, weil man in der Zeit vom Erkennen einer Gefahr bis zum Tritt auf die Bremse weniger Strecke zurücklegt; der Bremsweg, weil weniger Energie vergeudet werden muss.

Geht man von einem realistischen Anhalteweg eines Pkws bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h von 123 Metern aus, würde der Wagen bei 100 km/h bereits nach 74 Metern stehen.

Zudem sind Ausweichmanöver, egal ob dabei gleichzeitig gebremst wird oder nicht, umso schwieriger, je schneller ein Fahrzeug unterwegs ist. Schon bei einem raschen, ungebremsten Spurwechsel bei 100 km/h kommen moderne Assistenzsysteme so weit an ihre Grenzen, dass sie durch Eingriffe schon die Unfallfolgen bei einem Aufprall zu minimieren versuchen.

Noch ein Aspekt sollte an dieser Stelle erwähnt sein: Reduziert man generell die Höchstgeschwindigkeit auf einer Autobahn, steigt die Leistungsfähigkeit der Strecke. Während bei 130 km/h zum Beispiel 2250 Fahrzeuge eine Fahrbahn passieren können, sind es bei 100 km/h 2440 Autos, rechnet der Verkehrsclub Österreich vor. Deshalb gilt vor und in Ballungsräumen, nehmen wir etwa die A23 Südosttangente, ein Tempolimit von 80 km/h. (Guido Gluschitsch, Luise Ungerboeck, 28.7.2022)