Die Wettbewerbsbehörde zweifelt daran, ob die Strabag wirklich alles offengelegt hat, was sie wusste.

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Juristischer Ärger in der Causa Baukartell kommt auf den größten österreichischen Baukonzern, die Strabag, zu. Das Unternehmen hat im Kartellverfahren vor der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) als Kronzeugin fungiert, also volle Kooperation bei der Aufdeckung des Baukartells zugesagt, und sich in seiner Kronzeugenerklärung verpflichtet, alles fürs Verfahren Relevante wahrheitsgemäß offenzulegen, an der Aufklärung mitzuarbeiten und uneingeschränkt mit der Behörde zusammenzuarbeiten.

Zudem hat sich das Unternehmen verpflichtet, seine Compliance neu aufzustellen, und dafür einen sogenannten Compliance-Monitor – in der Person von Ex-SPÖ-Politikerin und Ex-Chefin von Siemens Österreich, Brigitte Ederer – eingesetzt. Im Rahmen dieser Einigung ("Settlement") gab die Strabag ein Anerkenntnis fürs Kartellgerichtsverfahren ab.

Geringere Geldbuße

Was sie davon hatte: Das Kartellgericht hat dem Baukonzern eine geringere Geldbuße aufgebrummt, als das ohne Kronzeugenstatus der Fall gewesen wäre. Am 21. Oktober 2021 hat es den börsennotierten Konzern, der unter anderem der Familie von Hans Peter Haselsteiner zuzurechnen ist, per Beschluss zu einer Strafe von 45,4 Millionen Euro verdonnert.

Zum Vergleich: Die Porr fasste rund 62 Millionen Euro Geldbuße aus. Laut Gericht hat die Strabag zwischen 2002 und 2017 unter anderem kartellrechtswidrige Preisabsprachen mit Mitbewerbern getätigt, bei öffentlichen und privaten Ausschreibungen im Hoch- und Tiefbau.

Abänderungsantrag ans Kartellgericht

Nun zweifelt die BWB aber daran, dass die Strabag wirklich alles gesagt hat, was sie wusste – und hat daher beim Kartellgericht den Antrag gestellt, dieses möge seinen rechtskräftigen Beschluss von Oktober überprüfen und allenfalls abändern. Das erschließt sich aus einer Information der Behörde auf ihrer Homepage. Sollte das Gericht dem nachkommen und zu dem Schluss gelangen, dass der Baukonzern nicht alles offengelegt hat, ist quasi der Kronzeugenstatuts dahin und eine höhere Geldbuße wahrscheinlich.

Zur Erinnerung: Das Baukartell war 2016 durch die BWB aufgedeckt worden, seither ermittelt auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) – und zwar gegen 850 Beschuldigte, darunter rund 135 Unternehmen. Sie sollen über mehr als ein Jahrzehnt Preisabsprachen in rund 350 Vergabeverfahren getroffen haben, der Schaden bewegt sich jenseits der 100 Millionen Euro. Es ist das größte Verfahren, das in der Justiz derzeit anhängig ist.

Neue Verdachtsmomente

Und was hat die BWB zu ihrem außergewöhnlichen Schritt bewogen, die Sache neu aufrollen zu lassen? Bei den Ermittlungen der WKStA sind in Bezug auf die Strabag neue Umstände bzw. Verdachtsmomente aufgetaucht. Worum es geht, darüber hat DER STANDARD am 18. Juni berichtet. Ein Rechtsanwalt, Partner einer großen Wiener Kanzlei und einer der Berater der Strabag auch in Compliance-Angelegenheiten, sowie ein Strabag-Manager sollen einem Möbelkonzern im Herbst 2019 rund 840.000 Euro zurückbezahlt haben.

Dies mit der Erklärung, man habe zu viel für ein Projekt in Klagenfurt verrechnet. Dieses Geld soll laut WKStA aus Mitteln stammen, die der Konzern aus Preisabsprachen lukriert habe. Der Vorwurf: Geldwäsche und schwerer Betrug. Letzteres, weil der Schaden des Kunden durch die Preisabsprache höher als 840.000 Euro gewesen sei und die Beschuldigten gegenüber dem Möbelhaus trotz "eindringlicher Nachfragen" (das Kartell ist ja schon seit Jahren publik) die wahre Herkunft des Geldes verschleiert hätten, wie es im Ermittlungsakt heißt.

Hausdurchsuchung in Anwaltskanzlei

Die WKStA hat wie berichtet Hausdurchsuchungen durchgeführt – und die hatten es in sich. Sie hielt nicht nur im Haus des Juristen Nachschau, sondern auch in dessen Kanzlei, um Datenträger und Unterlagen sicherzustellen.

Hausdurchsuchungen bzw. freiwillige Nachschauen bei Rechtsanwälten sind extrem heikel und unterliegen strengen gesetzlichen Vorschriften. Der Jurist bestreitet die Vorwürfe wie berichtet, die Strabag gab im Juni zu dieser Angelegenheit keine Stellungnahme ab, es gilt die Unschuldsvermutung.

Strabag hält Antrag für unbegründet

Zur erneuten Befassung des Kartellgerichts durch die BWB erklärte die Strabag am Freitagvormittag, der Vorstand halte den Antrag der Behörde für unbegründet. Denn die Strabag habe umfänglich und intensiv mit der BWB im Rahmen des Kronzeugenprogramms kooperiert und damit "maßgeblich zur Aufklärung beigetragen und daher auch als erstes Unternehmen das Kartellverfahren rechtskräftig beendet", wie es in einer Aussendung hieß. Darüber hinaus habe das Unternehmen sein Compliance-System nachgeschärft und ein neuartiges Monitoring-System implementiert.

Die Strabag SE gehört zu rund 28 Prozent der Familie Haselsteiner, zu 29 Prozent dem Versicherer Uniqa und Raiffeisen, zu knapp 28 Prozent der Rasperia rund um den russischen Oligarchen Oleg Deripaska, 14,4 Prozent stehen in Streubesitz. Deripaska und Rasperia sind auf der EU-Sanktionsliste gelandet, den Syndikatsvertrag mit Rasperia haben die österreichischen Großaktionäre in der Folge gekündigt, die Dividendenzahlungen gestoppt, der Aktionärin die Stimmrechte entzogen und ihren Vertreter aus dem Aufsichtsrat gekippt. Die Rasperia hat gegen diese Schritte Klage eingebracht, das Verfahren läuft.

Der Konzern mit seinen rund 74.000 Mitarbeitern hat 2021 ungefähr 15,4 Milliarden Euro Umsatz gemacht. (Renate Graber, 28.7.2022)