Ob Betriebsräte bei Whistleblower-Systemen ein Mitspracherecht haben, ist unter Juristinnen und Juristen umstritten.

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Das – derzeit noch im Entwurfsstadium befindliche – HinweisgeberInnenschutzgesetz (HSchG) verpflichtet Unternehmen und juristische Personen des öffentlichen Rechts mit 250 oder mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (bzw. ab 18. Dezember 2023 mit 50 oder mehr) voraussichtlich ab Herbst 2022 dazu, interne Meldekanäle einzurichten. Mittels derartiger interner "Whistleblowing-Systeme" sollen Rechtsverletzungen im Bereich des Korruptionsstrafrechts, der Datensicherheit, des öffentlichen Auftragswesens, der Finanzdienstleistungen, Produktsicherheit, Verkehrssicherheit und der öffentlichen Gesundheit gemeldet werden können.

Derzeit wird heiß diskutiert, ob interne Whistleblowing-Systeme nur dann eingeführt werden dürfen, wenn der Betriebsrat dazu seine Zustimmung erteilt, und zwar durch Abschluss einer sogenannten "notwendigen" Betriebsvereinbarung. Der HSchG-Entwurf geht darauf überhaupt nicht ein. Das Schweigen des Gesetzesentwurfs ist vor allem deshalb erstaunlich, da von der Datenschutzbehörde und teilweise auch von Arbeitsrechtlerinnen und Arbeitsrechtlern die Ansicht vertreten wird, dass interne Hinweisgebersysteme als Kontrollsysteme zu qualifizieren sind, die stets die Menschenwürde der Mitarbeitenden "berühren".

Solche Kontrollsysteme sind gemäß dem Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) nur zulässig, wenn der Betriebsrat deren Einführung durch den Abschluss einer "notwendigen" Betriebsvereinbarung zustimmt. In Betrieben, in denen kein Betriebsrat errichtet ist, darf ein solches System immer nur bei Vorliegen der schriftlichen Zustimmung jedes einzelnen Mitarbeitenden implementiert werden. Für Unternehmen, die nach HSchG zur Einführung eines internen Whistleblowing-Systems ja ausdrücklich verpflichtet werden, würde dies ein veritables Problem darstellen.

Ausgestaltung entscheidet

Die Auffassung, wonach interne Whistleblowing-Systeme in jedem Fall Kontrollsysteme sind, die Menschenwürde der Mitarbeitenden berühren und damit von der Zustimmung des Betriebsrats bzw. der Mitarbeitenden abhängig sind, allerdings ist abzulehnen. Ein Whistleblowing-System kann nämlich durchaus so ausgestaltet werden, dass die Menschenwürde überhaupt nicht berührt wird. Dies ist dann der Fall, wenn ein höchstes Maß an Vertraulichkeit gewährleistet ist (und zwar auch für die vom Hinweis betroffenen Mitarbeitenden, also die Täter), auf Wunsch die Anonymität einer Meldung sichergestellt ist, keine Verpflichtung zur Verwendung des Whistleblowing-Systems besteht und offensichtlich falsche Meldungen zurückgewiesen bzw. sanktioniert werden.

Eine solche Ausgestaltung des Whistleblowing-Systems ist nach den Bestimmungen des HSchG nicht nur zulässig, sondern teilweise sogar geboten. Dazu kommt, dass nach dem HSchG-Entwurf die Geschäftsführung des Unternehmens von einem Hinweis nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen verständigt werden darf (insbesondere begründeter Verdacht einer Rechtsverletzung, die Verständigung ist zur Verhinderung künftiger Rechtsverletzungen erforderlich), was die Wahrscheinlichkeit eines relevanten Eingriffs in die Menschenwürde weiter senkt. Unternehmen haben es daher selbst in der Hand, durch eine behutsame, ausgewogene und gesetzeskonforme Einführung eines Whistleblowing-Systems im Sinne des HSchG zu verhindern, dass ein solches System die Menschenwürde berührt und damit von einer "notwendigen" Betriebsvereinbarung bzw. der Zustimmung aller Mitarbeitenden abhängt.

OGH-Rechtsprechung

Angesicht der einschlägigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (OGH) kann man sich sogar auf den Standpunkt stellen, dass alleine durch eine "punktgenaue" Befolgung des HSchG bei der Ausgestaltung eines Whistleblowing-Systems die unbedingte Zustimmungspflicht des Betriebsrats bzw. der Mitarbeitenden entfällt. Der OGH hat nämlich in einer Leitentscheidung (9 ObA 109/06d) ausgesprochen, dass ein Kontrollsystem, das in Umsetzung gesetzlicher Vorgaben erfolgt, von vornherein nicht die Menschenwürde berühren kann und daher nicht den Abschluss einer "notwendigen" Betriebsvereinbarung erforderlich macht. Viel spricht dafür, dass diese Rechtsprechung 1:1 auf interne Whistleblowing-Systems nach dem HSchG angewendet werden kann.

Freilich können Kontrollsysteme, die Unternehmen aus eigenem Antrieb installieren, je nach ihrer Ausgestaltung zur Wahrung der Interessen der Mitarbeitenden den Abschluss einer Betriebsvereinbarung (bzw. in betriebsratslosen Betrieben die Zustimmung aller davon betroffenen Mitarbeitenden) erfordern. Die Umsetzung eines gesetzlich vorgeschriebenen internen Whistleblowing-Systems ist damit aber nicht vergleichbar. Wenn der Gesetzgeber von Unternehmen umzusetzende angemessene Vorkehrungen zum Schutz des Rechtsstaats trifft, wäre ein solcher besonderer Schutz der Mitarbeitenden überschießend. Überdies wäre ein Vetorecht der Betriebsräte bzw. der Mitarbeitenden gegen ein auf die bloße Umsetzung des HSchG beschränktes internes Whistleblowing-System europarechtlich problematisch, zumal mit dem HSchG europarechtliche Vorgaben im österreichischen Recht umgesetzt werden sollen.

Heikle Datenverarbeitung

Zu guter Letzt kann hinterfragt werden, ob ein internes Whistleblowing-System im Sinne des HSchG überhaupt ein Kontrollsystem sein kann, für welches das ArbVG den Abschluss einer "notwendigen" Betriebsvereinbarung vorsieht. Derartige Kontrollsysteme verfolgen nämlich systematisch ein Kontrollziel. Ein internes Whistleblowing-System nach dem HSchG soll jedoch nicht systematisch aus eigenem Antrieb heraus Vorgänge im Unternehmen auf bestimmte Rechtsverletzungen hin prüfen, sondern nur dann tätig werden, wenn ganz bestimmte Rechtsverletzungen gemeldet werden.

Die "Befreiung" von der Pflicht zum Abschluss einer "notwendigen" Betriebsvereinbarung bedeutet aber nicht, dass jedes interne Whistleblowing-System ohne Betriebsvereinbarung eingeführt werden kann. Bei Whistleblowing-Systemen werden in den allermeisten Fällen personenbezogene Arbeitnehmerdaten automationsunterstützt verarbeitet. Eine solche Datenverarbeitung ist bei Bestehen eines Betriebsrats grundsätzlich nur dann zulässig, wenn der Betriebsrat seine Zustimmung in Form einer Betriebsvereinbarung erteilt. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn die Datenverarbeitung in Erfüllung gesetzlicher Pflichten erfolgt.

Kein Vetorecht

Falls also ein internes Whistleblowing-System eine Datenverarbeitung vorsieht, die über die gesetzlichen Vorgaben des HSchG hinausgeht, ist der Abschluss einer Betriebsvereinbarung geboten. Der entscheidende Unterschied zu der (bei die Menschenwürde berührenden Kontrollsystemen) "notwendigen" Betriebsvereinbarung (gemäß § 96 Abs. 1 Z 3 ArbVG) ist allerdings, dass eine Betriebsvereinbarung betreffend die automationsunterstützte Verarbeitung personenbezogener Daten (gemäß § 96a Abs 1 Z 1 ArbVG) bei Nichteinigung mit dem Betriebsrat durch eine Entscheidung einer Schlichtungsstelle ersetzt werden kann, und zwar auf Antrag des Betriebsrats oder des Unternehmens.

Der Betriebsrat kann daher die Einführung eines über die HSchG-Erfordernisse hinausgehenden internen Whistleblowing-Systems nicht endgültig verhindern, da er von der Schlichtungsstelle "overrult" werden kann. Wichtig ist auch, dass in Unternehmen ohne Betriebsrat die Zustimmung der Mitarbeitenden zur über gesetzliche Erfordernisse hinausgehenden automationsunterstützten Verarbeitung personenbezogener Daten nicht erforderlich ist.

Fazit ist, dass der Betriebsrat oder die Mitarbeitenden ein internes Whistleblowing-System System in Unternehmen, die das HSchG punktgenau umsetzen, nicht durch ein "Veto" verhindern können. Wünschenswert wäre es, wenn dies der Gesetzgeber zumindest in den Erläuterungen zum HSchG klarstellen würde. (Philipp Maier, Bernhard W. Gruber, 30.7.2022)