Im Gastblog zeigt Elisabeth Zeilinger, wie das äußerst herausfordernde Erklimmen des Montblanc den Wissenschafter Horace-Bénédict de Saussure in seiner Arbeit beeinflusste.

Erholung, Tourismus, Sport in den Bergen ist – historisch gesehen – eine relativ junge Entwicklung. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewinnt der Alpintourismus an Bedeutung. Für ein zunächst vor allem aristokratisch-großbürgerliches Publikum heißt es dann "ab in die Berge". Eine Voraussetzung dafür war die Erschließung der Gebirgsregionen.

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Geschichte des Bergsteigens in der Schweiz

Bis in das 18. Jahrhundert sind die Alpen weder als schön noch erhaben empfunden worden. Reisende überquerten sie so schnell wie möglich über altbekannte Pässe wie Sankt Gotthard, Großer Sankt Bernhard, Splügen oder Brenner. Die hohen Berge waren unbekanntes Terrain, sie wurden als gefährlich und schreckenerregend und primär als ein zu überwindendes Hindernis wahrgenommen.

Frühe Besteigungen wie jene des Mont Ventoux im Jahr 1336 oder des Mont Aiguille 1492 – hier wurden schon Leitern und Seile eingesetzt – waren die Ausnahme.

Johann Gottfried Jentzsch: Grande route au mont St. Gotthardt, kolorierte Radierung, um 1800
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts haben der Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer und der Universalgelehrte und Dichter Albrecht von Haller die Alpen einem größeren Kreis bekanntgemacht. Scheuchzers Werke zur Naturgeschichte und der Bergwelt der Schweiz erreichten ein breites Publikum. Er war einer der Ersten, der barometrische Höhenmessungen vornahm. Seine Reisen fasste Scheuchzer 1708 unter dem Titel Itinera Alpin zusammen. Albrecht von Hallers Lehrgedicht Die Alpen, geschrieben 1729, erreichte mit 30 Auflagen eine enorme Resonanz. 49 Strophen in jambischen Alexandrinern erzählen von der Schönheit der Berge und vom glücklichen Leben der Bergbewohnenden. Dieses Gedicht wurde zum Auslöser einer großen Schweiz-Begeisterung.

Der höchste Berg der Alpen

Der Montblanc befindet sich in Sichtweite der Stadt Genf, die gern im Rahmen einer Europareise besucht wurde. Seine herausragende Höhe und Schönheit veranlassten viele Reisende auf ihrer Grand Tour, eine Exkursion zu den Gletschern zu unternehmen.

Jakob Philipp Hackert: Vue de la Mer de Glace, kolorierte Radierung, 1781
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Im Juni 1741 besuchte eine kleine Gruppe von Engländern, die sich in Genf aufhielt, das Tal von Chamonix. Sie erreichten mithilfe einheimischer Führer den Aussichtspunkt Montenvers auf 1.913 Metern: Hier bietet sich ein wunderbarer Panoramablick auf den viertgrößten Gletscher der Alpen, die Mer de Glace. Der Bericht eines Teilnehmers, William Windham, veranlasste den Genfer Optiker Pierre Martel ein Jahr später zu einem Besuch dieses "Eisgebirges".

Im August 1742 reiste Martel mit einigen Freunden von Genf nach Chamonix – ausgerüstet mit Barometer, Kompass, Thermometer, Halbzirkel, Camera obscura und Zeichenutensilien.¹ 1744 erschien sein Bericht mit einer kleinen Karte. Martel war der Erste, der den Namen Montblanc verwendete. Davor wurden das Massiv als Les Glaciers und die höchste Erhebung als Mont Maudit (der verfluchte Berg) bezeichnet. Martel war es auch, der den Mont Blanc als den höchsten Berg der Alpen beschrieb und somit das Augenmerk weiterer, vor allem englischer Reisender auf diese Region lenkte.² Er hielt diese Berge jedoch aus zwei Gründen für unbesteigbar – einerseits, weil Eis die Oberfläche beinahe völlig bedecke, und andererseits wegen der Steilheit des Geländes.

Ein Forscher mit Bergbegeisterung

Dies zeigt , dass 1760 – als der 20-jährige Horace-Bénédict de Saussure nach Chamonix kam – der Montblanc bereits als interessantes Reiseziel galt.

Horace Bénédict de Saussure (1740–1799).
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

De Saussure hatte sein Studium der Naturwissenschaften an der Universität Genf im Jahr davor abgeschlossen. Im Alter von 22 Jahren erfolgte seine Berufung als Professor für Naturphilosophie. Sein Wunsch, die Alpen und Gletscher aus der Nähe zu sehen, führte ihn 1760 zum ersten Mal nach Chamonix. Danach gab es kein Jahr, in dem er nicht in den Bergen war, um naturhistorische Studien zu betreiben. De Saussure schrieb in seinen Voyages dans les Alpes, dass er mit dem Geologenhammer in der Hand den Alpenhauptkamm auf acht verschiedenen Wegen insgesamt 14-mal überquert habe.³ Mit diesem vierbändigen Werk wird de Saussure zum Wegbereiter der physischen Geografie.

Carl Hackert: Vue de la Valée [sic] de Chamouny, kolorierte Radierung, 1780
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Schon bei seinem ersten Besuch in Chamonix 1760 lobte de Saussure eine nicht unbeträchtliche Summe für die Erstbesteigung des Montblanc aus. Eine Route sollte gefunden werden, um ihm den Weg auf den Gipfel zu weisen. Es vergingen jedoch 26 Jahre, bis diese Prämie ausbezahlt werden konnte. In diesen Jahren wurden zahlreiche Versuche unternommen, über unterschiedliche Anstiege auf den Gipfel zu gelangen. Eine der großen Schwierigkeiten war die Länge des Wegs. Im Juni 1786 musste der Kristallsucher Jacques Balmat bei einem dieser Unternehmen unterhalb des Grand Plateau biwakieren. In großer Höhe auf einem Gletscher zu übernachten galt damals als unmöglich. Das erfolgreiche Biwak eröffnete nun jedoch eine neue Perspektive.

Die erste Gipfelbesteigung

Im August 1786 brachen Jacques Balmat und der Arzt und Bergsteiger Michel-Gabriel Paccard von Chamonix auf und übernachteten in der Nähe des Gletschers Glacier des Bossons. Am nächsten Tag setzten sie ihren Weg ab vier Uhr in der Früh fort. Sie stiegen über die Grands Mulets, das Grand Plateau und die Nordflanke auf. Nach mehr als 14 Stunden erreichten Paccard und Balmat am 8. August 1786 um 18.23 Uhr den Gipfel des Montblanc. Nach nur 24 Minuten Aufenthalt begannen sie mit dem Abstieg, der die ganze Nacht dauerte.

Jean-Antoine Linck: Vue […] du Glacier des Bois, kolorierte Radierung, um 1820
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Der Naturforscher Adolf Traugott von Gersdorf(f), der sich im August 1786 in Chamonix aufhielt, wurde Augenzeuge der Erstbesteigung. Er besuchte die beiden Bergsteiger gleich nach ihrer Rückkehr und notierte in seinem Tagebuch: "Beyde hatten erschrecklich rothe Augen, die sie sehr schmerzten und beständig liefen, und konnten das Tageslicht nicht ertragen. Sie hatten […] einigemal kleine Schwierigkeiten wegen der Spalten und Glätte gefunden, waren langsam gestiegen und hatten zuletzt alle 100 Schritte geruht, waren durch das tiefe Einsinken in den frischen Schnee ziemlich ermüdet worden, und hatten dieserhalb im Vorausgehen einander öfters abgewechselt, und von der dünnen Luft keine üble Wirkung verspürt, sondern sich vielmehr außerordentlich wohl befunden und waren mit Alpenstöcken, Eissporen und Nägeln in den Schuhen versehen gewesen und hatten Gamaschen angehabt."⁴ Diese Erstbesteigung wird gerne als die Geburtsstunde des modernen Alpinismus bezeichnet.

Jean-Antoine Linck: Vue du Mont-Blanc, kolorierte Radierung, um 1820
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Auf dem Weg zur Spitze

Sofort wurde de Saussure von diesem Erfolg informiert: "Ich wußte es gleich an den andern Tag, und machte mich von der Stelle auf, um zu versuchen, ob ich ihre Spur verfolgen könnte. Es fielen aber Regen und Schnee, die mich zwangen, es für das Jahr aufzugeben."⁵ Er trug Balmat auf, ab Juni des kommenden Jahres genau zu beobachten, wann nach der Schneeschmelze eine Besteigung möglich sei. Nach zwei vergeblichen Versuchen im Juni erreichten Balmat und zwei weitere Bergführer am 5. Juli 1787 den Gipfel. De Saussure musste dann aber lange in Chamonix warten, weil das Wetter schlecht war. Nach beinahe vier Wochen Wartezeit war es endlich so weit: "Und ich begab mich den ersten August, in Begleitung eines Bedienten und 18 Führer, die meine physikalischen Werkzeuge und alles nöthige Geräthe trugen, auf den Weg."⁶

In seiner Beschreibung Relation abrégée d’un voyage a la cime du Mont-Blanc nennt de Saussure alle Teilnehmer der Besteigung namentlich. Durch die Mitnahme eines Zelts waren sie in der Wahl ihrer Biwaks flexibler. Die erste Nacht verbrachten sie auf 2.600 Metern auf der Montagne de la Côte. Am nächsten Tag begann dann die eigentliche Besteigung des Montblanc. Die Gruppe überquerte den Gletscher von La Côte, der von vielen, zum Teil sehr breiten Gletscherspalten durchzogen war. Sie gingen sehr vorsichtig und benötigten allein dafür drei Stunden. Der weitere Weg führte sie über den Gletscherbruch La Jonction und die Grand Mulets. Allgegenwärtig war auch die Gefahr von Lawinen, zweimal mussten sie über Lawinenkegel steigen.

Voyage de Mr. de Saussure a la cime du Mont-Blanc, kolorierte Radierung, 1790 [1. Blatt]
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Unter dem Titel Voyage de Mr. de Saussure a la cime du Mont-Blanc wurden sowohl Auf- als auch Abstieg in zwei Druckgrafiken bildlich festgehalten. Man sieht die Gruppe umgeben von Eis und Schnee. Im Vordergrund gähnt eine tiefe Spalte, den Hintergrund bildet eine dramatisch beleuchtete Szenerie aus Eis. Sie steigen in knappen Abständen hintereinander bergauf – am Rand der Gletscherspalte. Die Bergführer transportieren die Ausrüstung auf dem Rücken in Butten, Körben und auf Traggestellen, auch ein Rucksack ist zu erkennen. Einer der Männer schleppt ein dickes, über die Schulter geworfenes Bündel, das Zelt. Andere tragen flache Holzkassetten, die die fragilen Instrumente für die wissenschaftlichen Experimente enthalten. Aus den unterschiedlichen Behältnissen schauen Flaschen für den Transport von Proben und Kochgeschirr heraus. Die Bergausrüstung bestand aus Steigeisen, hohen Gamaschen bis über die Knie sowie Alpenstöcken mit Metallspitzen. Eine Leiter, lange Stangen und eine Hacke werden mitgeführt. Einer der Bergführer ist ganz klein, weit entfernt von der Gruppe dargestellt. Er sondiert das Gelände mit einer Stange.

Übernachtung im Schneeloch

De Saussure überredete die Bergführer, für das zweite Biwak höher zu steigen als von ihnen eigentlich geplant. Für dieses Biwak wurde ein Schneeloch gegraben und mit dem Zelt überspannt. De Saussure beschrieb in seinem Bericht, wie sehr sich die dünnere Luft bei diesen Arbeiten bemerkbar machte und welch großen Durst alle hatten. Mit einer kleinen Kohlenpfanne wurde Schnee geschmolzen, was für 20 Personen natürlich entsprechend mühsam war und lange dauerte. De Saussure denkt dann angesichts der leblosen und eisigen Einöde an die Erstbesteiger: "Als ich mir den Doktor Paccard und Jakob Balmat vorstellte, wie sie zuerst gegen Ende des Tages in diese Wüste kommen, kein Dach, keine Hilfe, nicht einmal Gewißheit haben, ob an den Oertern, wo sie hindenken, Menschen leben können, und doch unerschrocken auf ihrer Bahn fortwandern – da bewunderte ich die Stärke ihres Geistes und ihren Muth."⁷

De Saussure verbringt eine ungemütliche Nacht, da er sehr unter der Hitze und der verbrauchten Luft im Zelt leidet. Die Führer hatten aus Angst vor der Kälte alle Fugen fest verstopft. Aufgeweckt wurden sie vom Getöse einer Lawine, mussten dann wieder lange Schnee zum Trinken schmelzen und setzten anschließend ihren Aufstieg fort.

Um elf Uhr standen sie auf dem Gipfel. Es war der 3. August 1787. Das Panorama bezeichnete de Saussure als das "große Schauspiel", das er sehr genoss. Inzwischen hatten die Begleiter das Zelt und einen Tisch für die wissenschaftlichen Arbeiten aufgestellt. Appetit hatte keiner von ihnen – alle Lebensmittel waren gefroren. Auch Wein und Schnaps wurden nicht angerührt, sie tranken nur Wasser. De Saussures Frau beobachtete den Gipfel mit dem Fernrohr von Chamonix aus. Als Zeichen, dass sie ihren Ehemann auf dem Gipfel sehen konnte, hisste sie eine Fahne. Nun begann de Saussure mit seinen Messungen und Experimenten. Obwohl er sich sehr beeilte, konnte er in den viereinhalb Stunden, die er auf dem Gipfel verbrachte, nicht alle Versuche durchführen, die er sich vorgenommen hatte.

Christian von Mechel, Marquard Wocher: Voyage de Mr. de Saussure a la cime du Mont-Blanc, kolorierte Radierung, 1790 [2. Blatt]
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Der Abstieg ging gut vonstatten, nur die große Steilheit des Geländes bereitete ihnen Mühe. Sie biwakierten etwas tiefer als beim Aufstieg. Am nächsten Tag waren sie gezwungen, bei der Querung des Gletschers La Côte einen anderen Weg als beim Aufstieg zu nehmen, da sich inzwischen eine riesige Gletscherspalte geöffnet hatte, die sie umgehen mussten. Zu Mittag erreichten sie wieder den Ausgangspunkt ihrer Expedition.

De Saussure schloss seine Beschreibung mit folgenden Worten: "Es war mir eine große Beruhigung, alle gesund und wohl, mit ihren Augen und Gesicht in dem besten Zustande, zurückgeführt zu haben. Die schwarzen Flöre [Tücher], mit denen ich mich versehen hatte, und in denen unsre Gesichter ganz eingehüllet waren, hatten uns vollkommen erhalten" – ganz im Gegensatz zu den Erstbesteigern, die "fast blind und mit einem verbrannten und von der Zurükprellung [sic] des Schnees bis aufs Blut aufgesprungenen Gesichte zurük gekommen waren."⁸

Einfluss auf die Forschung

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse nehmen beinahe die Hälfte von de Saussures Publikation von 1788 ein. Die Versuche und Experimente waren sehr breit gefächert. Er beobachtete seine Umgebung ganz genau, führte exakt geplante Experimente durch, notierte die Messergebnisse seiner Instrumente und hielt die Auswirkungen der Höhe auf die körperlichen Funktionen fest.

So beschrieb De Saussure den Aufbau des Gipfels, die Konsistenz des Schnees, den vorherrschenden Wind sowie das Gestein und die Pflanzen in den unteren Regionen. Er referierte über die Ergebnisse der Barometer-, Thermometer-, Elektrometer- und Hygrometer-Messungen, berichtete über den Siedepunkt des Wassers, die Abweichung der Magnetnadel. Am Fuß des Berges nahm de Saussures Sohn ebenfalls Barometer-Messungen vor, da diese Vergleichswerte für eine Höhenbestimmung unabdingbar sind.

Für die Bestimmung der Farbe des Himmels hatte de Saussure ein Cyanometer entwickelt: Diese auf Papier gemalten Blauschattierungen verwendete später auch Alexander von Humboldt. De Saussure beobachtete ferner den Geruchs- und Geschmackssinn, notierte den Puls und füllte Schnee und Luft in Flaschen, um sie im Labor zu untersuchen. Auch chemische Versuche mit Kalkwasser oder ätzendem Laugensalz wurden durchgeführt. In einer kurzen Nachschrift behandelt de Saussure noch die Frage, ob vom Gipfel des Montblanc praktisch oder auch nur theoretisch das Meer gesehen werden könne.

Nach dem ersten gedruckten Bericht, der ein Jahr nach seiner Besteigung des Montblanc erschienen war, veröffentlichte de Saussure die wissenschaftlichen Ergebnisse der Expedition ausführlich 1796 im vierten Band seiner Voyages dans les Alpes auf 80 Druckseiten.

De Saussure ging es nicht um das Bergsteigen an sich oder den Ruhm, der Erste zu sein – obgleich er der Initiator für die Erstbesteigung des Mont Blanc war. Für ihn zählten vor allem die wissenschaftlichen Erkenntnisse. (Elisabeth Zeilinger, 3.8.2022)