Das Landesgericht in der schmucken niederösterreichischen Landeshauptstadt ist Schauplatz eines Prozesses um einen sexuellen Missbrauch, der sich vor über 20 Jahren abgespielt hat.

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St. Pölten – Über 20 Jahre soll es her sein, dass der heute 70-jährige Herr S. zwei Volksschülerinnen schwer sexuell missbraucht hat. An seinem Arbeitsplatz, dem Hallenbad St. Pölten, wo er zwei Jahre lang als Bademeister beschäftigt gewesen ist. So lautet zumindest die Anklage der Staatsanwaltschaft, über die ein Schöffensenat unter Vorsitz von Doris Wais-Pfeffer entscheiden muss. Ganz einfach ist das nicht – und das nicht nur wegen des lange zurückliegenden möglichen Tatzeitpunktes.

Erst im Vorjahr zeigte eine mittlerweile verheiratete Frau den Angriff bei der Polizei an. Anklagebehörde und Exekutive ermittelten zunächst gegen einen unbekannten Täter, da die Frau nur sagen konnte, es habe sich um einen großen, schlanken Mann mit langen Haaren gehandelt. Anhand von Mitarbeiterlisten stieß man auf den unbescholtenen S., der von Herbst 2001 bis Sommer 2003 angestellt war und auf den die Beschreibung passte.

Kinder massiert und penetriert

Der Österreicher soll an einem unbekannten Tag irgendwann zwischen Herbst 2001 und Sommer 2002 in seiner Funktion als Bademeister die beiden Mädchen, die damals in die vierte Klasse Volksschule gingen, im Bad angesprochen haben. Er habe sie ins Kellergeschoß mitgenommen, um ihnen das "Schmetterlingsbecken" zu zeigen, einen kleinen Pool für Unterwassertherapie in Form der geflügelten Insekten. Anschließend hätten sie sich ausziehen müssen, S. habe sie mit Massageöl eingeschmiert und sich schließlich an ihnen vergangen, erzählte die Frau. Auch das zweite Mädchen konnte ausgeforscht werden und bestätigte die Geschichte.

Als ihr ein Bild eines Betriebsausfluges gezeigt wurde, habe die Anzeigerin zu zittern begonnen und den Angeklagten eindeutig identifiziert, schildert die Staatsanwältin. Später habe sie ihn zufällig auf der Straße gesehen und habe, einem Nervenzusammenbruch nahe, die Polizei alarmiert. "Er war es ganz sicher!", ist die Anklägerin überzeugt.

Unklare Zeitangabe

Verteidiger Philipp Zeidlinger sieht das anders. Zunächst macht er auf einen auffälligen Widerspruch aufmerksam: Die ursprüngliche Anzeigerin habe bei ihren ersten beiden Einvernahmen klar davon gesprochen, dass sich der Vorfall vor einem Unfall ereignet habe, bei dem sie schwer verletzt wurde. Nur: Dieser Unfall war bereits im Jahr 2000, als S. noch gar kein Bademeister war. Außerdem glaubt der Rechtsvertreter an eine Verwechslung: Auf seinen Mandanten sei man nur aufgrund der alten Arbeitsaufzeichnungen der Stadt gestoßen – im Kellerbereich des Bades, wo sich der Missbrauch abgespielt haben soll, hätten aber auch externe Masseure privat gearbeitet, einer von diesen müsse der wahre Täter sein.

Gegenüber der äußerst angriffig verhandelnden Vorsitzenden bekennt S. sich daher "nicht schuldig". Falls im Senat Unklarheit über das Berufsbild eines Bademeisters geherrscht haben sollte, kann der Pensionist es knapp ausräumen: "Man sitzt im Bademeisterzimmer und passt auf, dass niemand ertrinkt." Seiner Darstellung nach könne sich der Missbrauch auch gar nicht so abgespielt haben, wie die Frauen behaupten. Denn um in den Massagebereich zu kommen, müsse man ein Restaurant passieren, außerdem gebe es im Untergeschoß zwei weitere Bademeister – er wäre gesehen worden, wenn er mit zwei Kindern unten gewesen wäre.

Ex-Kollegen widersprechen Angeklagtem

Ein Problem für den Angeklagten ist allerdings, dass ihm zwei Zeugen, ebenso frühere Bademeister, in einigen wesentlichen Punkten widersprechen. So behauptet S., er habe damals kurze Haare getragen – die Zeugen berichten, er habe sie damals wie heute zu einem Zopf gebunden gehabt. S. will auch keinen Generalschlüssel gehabt haben und habe daher den Massageraum gar nicht aufsperren können – jeder Bademeister habe so einen Schlüssel gehabt, der fast überall sperrte, um etwaige technische Gebrechen zu beheben, sagen die Zeugen.

S. will auch nur zwei- oder dreimal im Massagebereich gewesen sein, an ein "Schmetterlingsbecken" könne er sich überhaupt nicht erinnern, alle Pools seien rechteckig gewesen. Die beiden anderen Männer widersprechen auch hier – einer kennt zwar den Begriff "Schmetterlingsbecken" nicht, dass es ein besonders geformtes Becken gab, ist ihm aber erinnerlich. Einer der Zeugen gewährt einen interessanten Einblick in den Arbeitseifer der landeshauptstädtischen Mitarbeiter: Als Bademeister sei man öfters im Massagebereich gewesen, wenn der frei gewesen ist, um ein "Nickerchen" zu machen, verrät er.

Keine Beschwerden bekannt

Gleichzeitig betonen beide aber, dass es nie Beschwerden über S. gegeben habe. Auf Nachfrage des Verteidigers bestätigt einer der Zeugen, dass die Masseure die gleiche Dienstkleidung wie die Bademeister trugen und einer dieser Externen ebenfalls lange Haare hatte. Beide können sich auch kaum vorstellen, dass jemand unbemerkt ins Untergeschoß gelangen könnte. An ein von einer der Frauen beschriebenes Kammerl mit Kalendern voll nackter Frauen an den Wänden können sich die Männer dagegen nicht erinnern.

Belastend für den Angeklagten ist auch, dass eines der Opfer bekanntgab, der Täter habe ihr nach dem Missbrauch einen Zettel mit seiner Adresse gegeben und die Kinder zu sich eingeladen – er wohne in der Nähe des Krankenhauses. Tatsächlich war S. damals in einer Wohnung gemeldet, die 450 Meter vom Spital entfernt liegt. "Ein bisschen viele Zufälle", stellt Wais-Pfeffer in den Raum.

Kinderpornos auf dem Laptop

Sie hält ihm auch vor, das bei einer Hausdurchsuchung ein Laptop sichergestellt wurde, auf dem sich fünf gelöschte kinderpornografische Bilder befanden. "Das Faktum ist ja leider eingestellt worden", macht die Vorsitzende unverblümt deutlich, was sie davon hält. S. beteuert, er habe keine Ahnung, wie die Fotos auf seinen Computer, den seine Partnerin mitbenutzte, gekommen sind. Er habe sie im Akt erstmals gesehen. "Und ob das Kinder waren, kann ich auf den kleinen Bildern gar nicht feststellen", behauptet er. "Was haben Sie denn erkannt?", fragt Wais-Pfeffer nach. "Nix." Die Vorsitzende blättert in ihren Unterlagen und beschreibt dann zwei der expliziten Aufnahmen, die ihrer Schätzung nach Vier- bis Sechsjährige zeigen. "Ich weiß nicht, wie die auf die Festplatte kamen", beharrt der Angeklagte auf seiner Aussage.

S. bestreitet auch, pädophil zu sein. "Ich bin seit 27 Jahren in einer Beziehung. Mit einer Gleichaltrigen", weist er jedes sexuelle Interesse an Unmündigen zurück. "Und warum sollen die Frauen die Geschichte erfinden?", will die Vorsitzende wissen. "Ich habe einen Verdacht, aber ich will mich nicht strafbar machen", weicht der Angeklagte zunächst aus. Erst nach mehrmaligem Nachhaken offenbart er seine Theorie: "Ich glaube, dass es um Geld geht", mutmaßt er. "Na ja, der Privatbeteiligtenvertreter hat 1.000 Euro gefordert, so viel Geld ist das nicht", entgegnet Wais-Pfeffer.

Teilbedingte Haftstrafe

Die auf Video aufgezeichneten kontradiktorischen Einvernahmen der beiden Frauen werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgespielt, sie scheinen aber schlüssiger als die Angaben des Angeklagten gewesen zu sein. Denn das Gericht verurteilt S. zu 24 Monaten Haft, acht davon unbedingt, zusätzlich werden der Anzeigerin 500 Euro zuerkannt.

"Sie haben die Gelegenheit massivst ausgenützt und die beiden Mädchen in den Keller gelockt", begründet die Vorsitzende. Die Opfer sieht sie als "sehr glaubwürdig", der Angeklagte habe hingegen einen "massiv unglaubwürdigen Eindruck" gemacht. Mit dem Urteil solle der Öffentlichkeit gezeigt werden, "dass solche Taten bestraft werden", sagte die Richterin. Da weder Staatsanwältin noch Verteidiger Zeidlinger eine Erklärung abgeben, ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 28.7.2022)