Der Michael-Jackson-Reliquienschrein vor dem Bayerischen Hof in München ist ganz nach Eidingers Geschmack: Kerzen stehen neben einer steinernen Putte und einer winzigen Krippe. Zu sehen in der Alba Gallery.

Foto: Lars Eidinger

Eidinger fotografiert mit dem iPhone. "Ich mag den Blick durch den Sucher einer Kamera nicht, da wird mein Blick bereits auf einen bestimmten Ausschnitt festgelegt."

Foto: Lars Eidinger

Pointen gibt es in Eidingers Bildern in der Tat zuhauf, etwa die gelbe Mülltonne vor der Marienstatue auf dem Friedhof.

Foto: Lars Eidinger

Der Witz sei nicht das Gegenteil von Ernst, sagt Lars Eidinger. Seine Fotos sind witzig UND ernst.

Foto: Benjakon

Der Schauspieler Lars Eidinger? Über den muss man dieser Tage nicht viele Worte verlieren. Kaum jemand, der die große Leistung des Jedermann-Darstellers nicht zu würdigen weiß. Der DJ Lars Eidinger? Auch er ist in diesem Sommer an der Salzach gut im Einsatz. Erst beim Eröffnungsfest, am 26. August dann noch einmal im Rockhouse. Bleibt der Fotograf und Künstler Lars Eidinger.

Ganz unbekannt ist auch der nicht, lange postete er auf Instagram seine "Zufallsbilder", bei denen der Zufall allerdings kaum eine Rolle spielt, und generierte damit ganz schön viele Follower. Mit dem Fotoband Autistic Disco legte er vor zwei Jahren ein wunderbares Buch im Hatje-Cantz-Verlag vor. Mittlerweile ist Instagram abgedreht, und wer Eidingers hintergründige Fotos sehen will, muss in eine Galerie. In Salzburg gibt es diesen Sommer sogar gleich zwei, die Eidinger einen großen Auftritt bieten. Eine davon, die Wiener Alba Gallery, sperrte zu diesem Zweck eigens eine Pop-up-Filiale in der Salzburger Imbergstraße auf.

"Ich bin nicht hip",

Eidinger, und das ist jetzt keine ganz neue Erkenntnis, zieht. Ein Popstar, wenn man so will, weswegen er auch schon ziemlich gute Auftritte in Musikvideos hatte. Wer etwa schafft es schon als nackter Pinsel in ein Deichkind-Video? Beim Treffen im 35 Grad heißen Salzburg hat Eidinger zumindest ein bisschen Stoff übergezogen, auch wenn die roten Shorts ziemlich viel Bein zeigen. Sie sind von Balenciaga, von welcher Marke sonst? Eidinger weiß, wer in der Mode momentan der größte Distinktionsgewinner ist. Die Kombination mit schwarzen Crocs würde auch Balenciaga-Mastermind Demnia Gvasalia gut gefallen.

Aber halt: Wir treffen Eidinger ja nicht zum Modeplausch, sondern um gemeinsam seine Fotos anzuschauen. Ironie ist da fehl am Platz, wie man am Tonfall des Schauspielers/DJs/Fotografen schnell erkennt. Wenn Eidinger etwas richtig auf die Nerven geht, dann ist es der Hang seiner Generation, Dinge zu verblödeln. "Ich bin nicht hip", hatte er einen noch vergangenes Jahr in einem Interview zurechtgewiesen. In der Salzburger Alba Gallery spricht er über den Witz, der "nicht das Gegenteil von Ernst" sei, darüber, dass manche Betrachter in seinen Fotografien nur die schnelle Pointe erkennen wollen.

Zufall mit Hintergrund

Pointen gibt es in Eidingers Bildern in der Tat zuhauf, da ist die gelbe Mülltonne vor der Marienstatue auf dem Friedhof, der mit Nylon überzogene Gekreuzigte oder das Frankfurter Wohnhaus, das aussieht wie eine Kirche. "Ich glaube, es ist diese optische Täuschung noch niemandem aufgefallen", sagt er. Eidinger fotografiert Zufälligkeiten, allerdings solche, in denen sich etwas zeigt. Erhascht er einen solchen Moment, greift er zu seinem iPhone und betätigt den Auslöser. Schnell und mehrmals hintereinander. "Ich mag den Blick durch den Sucher einer Kamera nicht, weil das Motiv habe ich ja bereits gefunden." Eidinger will offenbleiben für die hintergründigen Pointen, die das Leben liefert. In der Alba Gallery ist es die verdrehte Ikonografie des Religiösen, Aufnahmen sakraler Kunst in ungewöhnlichem Kontext, von Gläubigen und Bettlern, von Bigotterie und Scheinheiligkeit. Das passt natürlich zu Salzburg und der Rolle, die Eidinger heuer zum zweiten (und letzten) Mal auf dem Domplatz spielt. Den überheblichen Blick eines Besserwissers wird man in Good Gosh, so der Titel der Alba-Ausstellung, aber nicht finden. Es ist vielmehr die Spannung aus inhaltlich Unvereinbarem, die Eidinger interessiert.

Eines der Bilder zeigt eine Art Michael-Jackson-Reliquienschrein vor dem Bayerischen Hof in München. Kerzen stehen neben einer steinernen Putte und einer winzigen Krippe: Religion mischt sich mit Pop, Eskapismus mit Heilsversprechen. Der Alltagsblick des Lars Eidinger würde auch Fotografen wie Martin Parr oder William Eggleston gefallen.

Ernsthaftigkeit

Dieselbe Ernsthaftigkeit, die Eidinger Rollen auf der Bühne oder im Film (gerade hat er seinen ersten richtig großen Hollywood-Film gedreht, White Noise, mit dem die Filmfestspiele in Venedig eröffnet werden) zukommen lässt, dieselbe Ernsthaftigkeit zeichnet auch den Fotografen Eidinger aus. Mit dem Rad strampelt er in die Leica-Galerie in der Gaisbergstraße. Hier ist seine Schau Black & White Thinking zu sehen. Eine Variation verzerrter Alltagsaufnahmen, diesmal aber in Schwarz und Weiß. Soziale Ungleichheiten und der Hang zum Grotesken stehen auch hier im Mittelpunkt. Und natürlich Lars Eidinger. Wie in ganz Salzburg in diesem Sommer. (Stephan Hilpold, 29.7.2022)