27. Mai 2012: Ein Aktivist mit einer Regenbogenflagge wird in Moskau verhaftet. Mehr als zehn Jahre später droht der russischen LGBTQ+-Szene weiteres Ungemach.

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Endlich Urlaub! Ihre Reise nach Südafrika haben Maria und Olga lange geplant. Es war schwierig, ein Hotel zu buchen, Portale wie Booking.com funktionieren nicht mehr in Russland. Und umgekehrt werden russische Kreditkarten fast nirgendwo im Ausland akzeptiert. Jetzt aber geht es los, es wird wohl die wichtigste Reise in ihrem bisherigen Leben werden. Denn Maria und Olga wollen in Südafrika etwas machen, das ihnen in Russland verboten ist: Heiraten.

Hochzeit im Ausland, für gleichgeschlechtliche Paare in Russland ist das die einzige Möglichkeit, sich zu trauen. Maria und Olga wollen nach ihrer Heirat nach Russland zurückkehren – doch nur auf Zeit. "Irgendwann werden wir unsere Heimat endgültig verlassen", sagt Maria. "Warum sollten wir an einem Ort bleiben, der für uns unsicher ist, wo man keine Rechte hat, wo man sich verstecken muss, wo man keine Kinder haben kann, wo man für gleichgeschlechtliche Beziehungen eine Haftstrafe bekommen kann?"

Gemeinsame Adoption nicht möglich

Seit langem leben Maria und Olga zusammen in einer Wohnung in Moskau, haben gute Jobs. Im Alltag funktioniert das, in Großstädten wie Moskau und Sankt Petersburg findet sich eine ausgedehnte LGBTQ+-Szene. Doch staatliche Anerkennung und Schutz genießen diese Menschen nicht. Sie haben viele Nachteile, dürfen nicht heiraten und auch nicht gemeinsam Kinder adoptieren.

Die russische Gesellschaft ist mehrheitlich homophob, auch heute noch. Homosexualität galt in Russland bis 1993 als Verbrechen. Noch 2011 glaubten 74 Prozent der Bevölkerung, Homosexualität sei eine Perversion. Daran hat sich nicht viel geändert. Laut einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Instituts vom Oktober 2021 sind 69 Prozent aller Russen gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen. Nur 25 Prozent finden diese in Ordnung.

"Moralische Sicherheit"

In die homophobe Kerbe schlägt jetzt ein Gesetzesentwurf, eingebracht in das Parlament, die Staatsduma. Verboten werden soll jegliche "Propaganda" für "nichttraditionelle sexuelle Beziehungen". Bislang war das nur in Sachen Minderjähriger untersagt. Durch das neue Gesetz solle die "intellektuelle, moralische und mentale Sicherheit der Gesellschaft" gewährleistet werden.

Aktivistinnen und Aktivisten der LBGTQ+-Community in Russland sind entsetzt. Durch ein derartiges Verbot könnte jeder ihrer Internetauftritte, jede Publikation unter Strafe gestellt werde. Auch Bücher, in denen es um homosexuelle Beziehungen geht, könnten verboten werden. Die in Russland blockierte Internetplattform Meduza zitiert Igor Alyukow, Chefredakteur des Verlags Phantom Press: "In modernen Büchern (wie auch im Leben) sind Fragen der Homosexualität längst alltäglich geworden", bemerkt er.

Rechtsanwältin Julia Fedotowa hält den Gesetzesentwurf für schwammig. Eine klare juristische Definition des Begriffs "Propaganda" gebe es nicht. "Die Justizpraxis geht davon aus, dass neutrale oder positive Hinweise auf LGBTQ+-Beziehungen als Propaganda eingestuft werden", sagt sie.

Platz 46 bei 49 Ländern

Egal, ob das neue Gesetz nun in der vorgelegten Form verabschiedet wird oder nicht, die Situation von Schwulen, Lesben und queeren Menschen in Russland wird nicht besser, sondern eher schlechter werden. Die LGBTQ+-Lobbygruppe ILGA-Europe stuft Russland als eines der am wenigsten queer-freundlichen Länder Europas ein. In ihrem "Rainbow Europ-Index" belegt Russland heuer Platz 46 von 49 untersuchten Ländern – knapp vor Armenien, der Türkei und Aserbaidschan. Österreich liegt auf Platz 18.

Vergangene Woche outete sich die russische Tennisspielerin Darja Kassatkina. Sie hat Russland verlassen und lebt im Ausland. So wird es wohl auch Maria und Olga ergehen. Die beiden sind traurig, dass sie sich zwischen ihrer Liebe und ihrem Heimatland entscheiden müssen.

"Die bevorstehende Verabschiedung des Gesetzes wird für uns als Paar sicherlich noch ein weiterer Punkt sein, der den Umzug aus dem Land vorantreiben wird. All dies verursacht ein Gefühl eines sich verengenden Raumes, aus dem man schnell rausmöchte." (Jo Angerer aus Moskau, 29.7.2022)