Wer nach dem Treffen mit Bundeskanzler Karl Nehammer einen einsichtigen, gar zerknirschten ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán erwartet hatte, der oder die wurde enttäuscht: keine Entschuldigung für die verbale Entgleisung, die die kriegsbedingte Gaskrise mit dem Holocaust in Beziehung setzte; keine Relativierung, kein Bedauern – sondern ein Monolog darüber, was man aus seiner Sicht bloß als "intellektuelle, kulturelle" Erörterungen zu Rassismus und Geschichte zu verstehen habe. Hier sprach ein Regierungschef nur zu den eigenen Landsleuten. Denn er wusste: Die heimischen Medien würden nur seine Worte ausführlich zitieren – ohne sie kritisch zu hinterfragen.

Karl Nehammer weist Viktor Orbán den Weg, doch dieser lässt sich nicht bewegen.
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Bundeskanzler Nehammer hatte noch im Vorfeld des Besuchs des ungarischen Amtskollegen in Wien angekündigt, das offene Wort zu suchen und Orbán zur Rede stellen zu wollen. Dass Nehammer schwierigen Gesprächen nicht aus dem Weg geht, das hat er schon mit seinem – freilich vergeblichen – Friedensappell bei Wladimir Putin in Moskau gezeigt.

Mit Nachdruck vor Rechtsextremismus warnen

Auch dieses Mal darf man dem Kanzler glauben, wenn er nach dem Treffen mit Orbán berichtete, er habe "bei aller Freundschaft Ehrlichkeit walten lassen": Orbáns Äußerungen vom Wochenende habe er "aufs Äußerste zurückgewiesen und verurteilt". Nehammer musste auch nicht daran erinnert werden, dass Österreich hier große Sensibilität an den Tag legen muss, hat das Land doch bei Holocaust und Rassentheorie eine schwere historische Last zu tragen – daran erinnerte er dankenswerterweise ohne Aufforderung von selbst.

Ist das Thema damit erledigt, abgehakt? Keineswegs. Dass das bilaterale Gespräch in Wien – es lag zufälligerweise terminlich günstig – nichts bewegen würde, das war klar. Es ist nach wie vor die Gemeinschaft der EU-Regierungschefs, die nicht müde werden darf, bei jedem einzelnen Anlass vor Rechtsextremismus zu warnen und diesen mit echtem Nachdruck zu verurteilen – eine Forderung, der sich Orbán übrigens immer sofort anschließt, berichtet er doch gern von einer "Nulltoleranzpolitik" Ungarns in dieser Sache.

Das hindert ihn nicht daran, dennoch eine solche Rhetorik zu pflegen. Denn er hat im Spiel mit der EU einen Trumpf in der Hand: die Möglichkeit, wichtige einstimmige Beschlüsse zu verhindern – gleichermaßen in der Sanktions-, in der Energie- oder in der Migrationspolitik. Und solche Karten weiß er gut auszuspielen. Das ist hinlänglich bekannt. (Gianluca Wallisch, 28.7.2022)