Damit hatte niemand mehr gerechnet: Der abtrünnige Demokrat Joe Manchin konnte nun doch zur Unterstützung von Bidens Klima- und Sozialpaket im Senat bewegt werden.

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Als Joe Biden am Mittwochmittag nach einwöchiger Corona-Isolierung im Rosengarten des Weißen Hauses vor die Kameras trat, wusste er wohl schon, dass der Tag gute Nachrichten bringen würde. "Lasst uns voranmachen! Und jetzt zurück ins Oval Office!", beendete der US-Präsident seine kurze Ansprache dynamisch, bevor er entschlossen zu seinem Büro eilte.

Stunden später sorgte der rechte demokratische Senator Joe Manchin, gewöhnlich ein Garant für Querschüsse und Blockaden, für ein kleines politisches Erdbeben in Washington. Per Pressemitteilung bekundete er, dass er sich mit dem Mehrheitsführer der Demokraten, Chuck Schumer, auf ein 740 Milliarden Dollar schweres Klima- und Sozialpaket geeinigt habe. Das ist zwar nur rund ein Drittel des von Biden ursprünglich einmal angepeilten Volumens. Aber nachdem dessen "Build Back Better"-Plan in Ermangelung einer Kongressmehrheit schon beerdigt worden war, ist die Nachricht eine handfeste Überraschung – und ein dringend benötigter Erfolg für Biden vor den kritischen Parlamentswahlen im November.

Geräuschlose Verhandlungen

Der Deal, der erstaunlich geräuschlos verhandelt wurde, soll die Kosten im Gesundheitswesen senken, den Umstieg auf saubere Energien beschleunigen und große Konzerne wie Amazon stärker zur Kasse bitten. Er wird als Nachtragshaushalt im Kongress eingebracht, wodurch die Filibuster-Regelung umgangen werden kann, die 60 Stimmen im Senat erfordert.

Demokraten und Republikaner verfügen in der Kammer über jeweils 50 Stimmen. Bei einem Patt gibt Vizepräsidentin Kamala Harris den Ausschlag. Doch dafür muss der Demokraten-Block stehen. Der aus dem Kohlestaat West Virginia stammende Manchin hatte in der Vergangenheit immer wieder blockiert. Die Gründe für das plötzliche Einlenken des extrem selbstbewussten Politikers sind nicht ganz klar. In einer langen Erklärung feierte sich der 74-Jährige als geistiger Vater des Deals, der "Gesetz zur Inflationsreduzierung" heißen soll. Bidens bombastischer "Build Back Better"-Plan sei "tot", betonte Manchin.

Angeblich hat im Hintergrund der Ökonomie-Professor Larry Summers vermittelt. Der Ex-Finanzminister von Barack Obama hatte früh vor den Inflationsgefahren für die USA gewarnt, war von der Biden-Regierung aber ignoriert worden. Nun versichert er ausdrücklich, dass das abgespeckte Gesetzespaket die galoppierende Teuerung nicht weiter anheize. Gerüchten zufolge könnte Manchin zudem eine geheime Zusage für den Bau einer Erdgas-Pipeline von seiner Heimat zum Nachbarstaat Virginia erhalten haben.

Energiewende, Obamacare und Schuldenabbau

Das Antiinflationsgesetz sieht Ausgaben von insgesamt 369 Milliarden Dollar für die Energiewende und den Klimaschutz vor. Unter anderem soll es Subventionen für den energieeffizienten Umbau von Häusern, für Solarpaneele und Batterietechnik sowie für den Kauf von Elektroautos geben. "Das sind die wichtigsten Schritte in der Klimapolitik, die wir jemals unternommen haben", lobte die demokratische Senatorin Tina Smith aus Minnesota die Entscheidung.

Weitere 64 Milliarden Dollar sind für die Verlängerung der Zuschüsse für die Krankenversicherung Obamacare vorgesehen. Zudem setzte Manchin durch, dass 300 Milliarden Dollar in den Schuldenabbau fließen sollen. Finanziert werden soll das alles durch die Einführung einer 15-prozentigen Mindestkörperschaftsteuer, die vor allem Konzerne wie Amazon und Federal Express treffen würde, sowie durch die Ermächtigung von Obamacare zur Regulierung von Arzneipreisen.

Biden: "Historische" Vereinbarung

In einer ersten Stellungnahme lobte Präsident Biden die "historische" Vereinbarung: "Das sind die Schritte, auf die das amerikanische Volk gewartet hat." Auch Vertreter des linken Parteiflügels, die weitreichendere strukturelle Reformen gefordert hatten, zeigten sich pragmatisch: "Wir haben Manchins Wort. Das macht mich sehr hoffnungsvoll", sagte Senatorin Elizabeth Warren. "Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun", kommentierte die Abgeordnete Pramila Jayapal, die Sprecherin der Parteilinken im Repräsentantenhaus, den Beschluss.

Doch das Gesetz hat noch schwierige Hürden zu nehmen: Zunächst muss der Parlamentsjustiziar bestätigen, dass die Ausgaben tatsächlich als Nachtragshaushalt verbucht werden können. Dann sind im Senat sämtliche 50 Demokraten-Stimmen erforderlich. Derzeit sind mehrere Senatoren an Covid erkrankt, was sich angesichts der Omikron-Welle im Sommer noch verstärken könnte. Vor allem hat Kyrsten Sinema, die politisch notorisch unberechenbare demokratische Senatorin von Arizona, noch nicht erklärt, ob sie den Deal unterstützt. Die angepeilte Abstimmung im Senat in der kommenden Woche scheint daher extrem ambitioniert. (Karl Doemens aus Washington, 28.7.2022)