Den Kindergarten dürfen laut Verordnung infizierte Kleinkinder nicht betreten, das Personal aber schon – es regt sich Widerstand.

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Der 1. August läutet in Österreich gewissermaßen eine Corona-Zeitenwende ein: Ab kommendem Montag fällt die Quarantänepflicht für positiv Getestete, auch das Contact-Tracing dürfte die Bundesregierung nach derzeitigem Stand begraben – und all das entgegen dem Ratschlag des eigenen Expertengremiums Gecko. Immerhin seien diese Lockerungen angesichts der steigenden Corona-Infektionszahlen mit einer "Reihe von unkalkulierbaren Risiken" verbunden. Es sei aber nun mal eine politische Entscheidung, die mehr als nur den Gesundheitsaspekt umfasse, hieß es.

Verordnete Hauruckaktion

Weniger diplomatische Töne kamen erwartungsgemäß vonseiten der Opposition: "Was ist das für eine Regierung, die erstmals auch Kranke und Infizierte in die Arbeit schicken will?", ärgerte sich SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch, der Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) prompt zum "Gefährdungsminister" erklärte. Für breite Verstimmung sorgt neben den noch unvorhersehbaren Folgen der Lockerungen auch eine Vielzahl ungeklärter Fragen: Wer darf unter welchen Umständen etwa in Spitälern arbeiten? Wer kontrolliert die Zutrittsregeln?

In Salzburg beispielsweise muss symptomloses Personal, das keinen Patientenkontakt hat, ab Montag zum Dienst erscheinen. Andere Bundesländer wollen keine ansteckenden Mitarbeiter im Spital haben. "Klare Regeln" fordert daher die Ärztekammer, angesichts der vielen offenen Fragen lasse sich derzeit kein "ordentlicher Spitalsbetrieb planen".

Skurriles Ende

Offene Fragen gibt es auch in anderen Bereichen – sowie zahlreiche Skurrilitäten. Ab Montag dürfen Corona-Positive in Freibäder gehen, ins Schwimmbecken allerdings nur mit FFP2-Maske, weil der Zwei-Meter-Abstand schwer einzuhalten ist. Im Schulbereich und Kindergarten müssen infizierte Kleinkinder zu Hause bleiben, infizierte Pädagoginnen jedoch nicht. Auch der Gastrobesuch ist Corona-Positiven wieder erlaubt. Ein Wiener Schnitzel oder ein Bier bleibt ihnen aber verwehrt. Laut Verordnung muss die FFP2-Maske "durchgehend" getragen werden. Wer all das kontrollieren soll, ist unklar. Selbst die Polizei will sich raushalten. "Das ist unkontrollierbar", sagte Polizeigewerkschafter Hermann Greylinger am Mittwoch dem STANDARD.

Zurück zum Start heißt es nun auch in der Arbeitswelt: Wurden den Unternehmen bislang die Kosten für den Quarantäne-Entfall des Mitarbeiters erstattet, müssen diese nun wieder selbst finanziell für den Krankenstand aufkommen. Darüber hinaus ist aber laut Arbeiterkammer noch vieles offen. Eine große Herausforderung seien laut Arbeitsrechtsexpertin Katharina Körber-Risak vor allem Haftungsfragen in Unternehmen. Vor Ansteckung geschützt werden müsse nämlich nicht nur die eigene Belegschaft, sondern auch Kundinnen und Kunden.

Gesundheitswesen: Krankmeldung per Telefon kehrt zurück

Wie die Situation nach dem Quarantäne-Aus in den Spitälern gehandhabt wird, ist noch nicht ganz klar. In Wien werden aber keine infizierten Menschen im Spital arbeiten, heißt es dazu aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker. Anders in Salzburg, Symptomlose ohne Patientenkontakt müssen ab Montag mit Maske zum Dienst erscheinen. Aus weiteren Bundesländern gibt es noch keine klare Information.

Um pflegebedürftige Personen sorgt sich der Österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband. Präsidentin Elisabeth Potzmann findet es gefährdend, dass "Covid-positive Pflegepersonen patientennah eingesetzt werden dürfen". Denn sie betreuen die Vulnerabelsten. Dazu werde womöglich Druck auf die Pflegenden ausgeübt, arbeiten zu gehen, da die Personalsituation bereits so angespannt sei.

Entspannter sieht die Ärztekammer das Ende der Quarantäne. Da die telefonische Krankmeldung wiedereingeführt wird, sei das kein Problem, ohnehin herrsche Maskenpflicht in den Ordinationen. Die niedergelassene Ärzteschaft bietet der Regierung dazu ein "Covid-Package" an: Positiv Getestete sollen gleich in der Praxis Medikamente für einen milden Verlauf bekommen. (kru)

Bildung: Erster Kindergarten wehrt sich

Infizierte Pädagoginnen und Pädagogen dürfen ab Montag Kleinkinder im Kindergarten betreuen, ab Herbst unterrichtet dann infiziertes Lehrpersonal Volksschulkinder. Steckt sich ein Kleinkind an, muss es dem Kindergarten oder der Schule aber fernbleiben. "Medizinisch macht das nicht viel Sinn", sagte dazu die Virologin Dorothee von Laer. Damit ist sie nicht allein: Die Bildungsdirektion Wien etwa stellt Begleitmaßnahmen in Aussicht; die Diakonie ließ Eltern bereits jetzt wissen, dass kein infiziertes Personal in ihren Kindergärten arbeiten wird. Auch weitere private und städtische Kindergärten könnten dem Beispiel folgen.

Schwierig dürfte die Betreuung für Eltern werden: Anstelle der Sonderbetreuungszeit, die mit Schulschluss ausgelaufen ist, bekommen Eltern nun eine Dienstfreistellung, wenn sich das Kind infiziert – und das maximal für eine Woche. "Die Hauptlast tragen wieder die Eltern", kritisiert Karl Dwulit, Vorsitzender des Wiener Elternverbands. Weil bereits die Sonderbetreuungszeit bei vielen zulasten des Urlaubskontos gegangen sei, könnten es Arbeitgeber diesen nun noch schwerer machen. "Die, die keine andere Möglichkeit haben, werden die infizierten Kinder hinschicken." (etom)

Handel: Neue Verordnung bringt Trojanisches Pferd

Die Maskenpflicht im Handel ist schon längst gefallen. Daher würden Maskenträger im Supermarkt künftig wohl auffallen. Dabei kann es sich um vorsichtige Personen handeln, die die Maske aus Eigenschutz tragen, oder um Covid-Positive. Das gilt sowohl für Kunden als auch für Angestellte. Unsicherheiten auf beiden Seiten sind da wohl vorprogrammiert.

Für den Handel selbst beinhalten die Lockerungen bei den Quarantäneregeln aber ein Trojanisches Pferd, teilt der Handelsverband mit – es wird damit nämlich das Pandemierisiko des Ausfalls von Covid-positiven symptomatischen Beschäftigten auf die Unternehmen übertragen. Die bereits durch die Teuerungskrise gebeutelte mittelständische Wirtschaft, aber auch die beschäftigungsintensiven Händler würden dadurch in ihrer Substanz geschwächt, heißt es. Eine Verkehrsbeschränkung statt Quarantäne für symptomfreie Mitarbeiter bringe zwar eine Erleichterung für die Arbeitgeber, aber der damit zusammenhängende Entfall von Entschädigungsansprüchen auch für symptomatische Personen wiege schwer. Der Handelsverband fordert im Namen der österreichischen Händler die Regierung auf, dies zu überdenken und anzupassen. (bpf)

Gastronomie: Unkontrollierbare Besuche im Lokal

Wer infiziert ist, darf also künftig ein Lokal besuchen, dort die Maske aber nicht abnehmen und auch nichts konsumieren. Nicht einmal die Polizei hält diese Maßnahme für irgendwie kontrollierbar. Einmal mehr erfüllt eine Corona-Verordnung ihren Ruf, viele Fragen offenzulassen. Grundsätzlich steht man der Regelung in der Gastro aber positiv gegenüber. So sagt etwa der Sprecher der Gastronomie in der Wirtschaftskammer Kärnten, Stefan Sternard, dass er das Quarantäne-Aus für "schlau" hält. "Wir brauchen einen normalen Umgang mit der Situation. Quarantäne lähmt die Wirtschaft." Die Entscheidung sei auch unter der Prämisse zu begrüßen, dass die Kosten für Krankenstände dann wieder die Firmen tragen.

Die Regelungen, wonach infizierte Mitarbeiter mit Maske arbeiten sollen oder infizierte Gäste ins Lokal dürfen, wenn sie nichts konsumieren, hält Sternad nicht für sinnvoll. "Jemand, der krank ist, soll bitte schön daheimbleiben." Das gelte nicht nur für Covid, sondern auch für die Grippe. Aus wirtschaftlicher Sicht sei seiner Ansicht nach das Risiko von Ansteckungen, die zum Ausfall weiterer Mitarbeiter oder sogar zur Sperre des Betriebs führen könnten, viel zu hoch. (and)