Parlamentarische Anfragen sind ein essenzieller Teil der politischen Kontrolle, darüber sind sich Europarechtler Stefan Brocza und die grünen Abgeordneten Eva Blimlinger und Ralph Schallmeiner einig. Eine andere Ansicht vertritt Brocza bei der Frage, wie mit einer aktuellen Anfrage der FPÖ umzugehen ist. Im Gastkommentar warnt er davor, sie einzuschränken.

Der Stein des Anstoßes: eine parlamentarische Anfrage der FPÖ zur Pandemie, die auf Verschwörungstheorien fußt.
Gerichtet ist die Anfrage an den Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP).
Foto: APA / Roland Schlager
Der Gastkommentar, der diese Debatte gestartet hat: "FPÖ-Anfrage: Ein Missbrauch der Demokratie".

Das parlamentarische Fragerecht ist ein wichtiges und bedeutendes Gut – trotzdem (oder gerade deshalb) soll die Bundesregierung nur jene Fragen beantworten, die nach Ansicht der Regierungsmehrheit demokratiepolitisch legitim sind. Anfragen, die auf Falschmeldungen und Desinformationen beruhen, sollen nicht beantwortet werden. Mit dieser demokratiepolitisch fragwürdigen Interpretation des parlamentarischen Interpellationsrechts haben sich die beiden Grünen-Abgeordneten Eva Blimlinger und Ralph Schallmeiner zu Wort gemeldet. Politisch ungehörigen Fragen würden nämlich das Ansehen des Parlaments verletzen.

Hintergrund dieser moralisierenden Einlassung ist eine parlamentarische Anfrage der FPÖ an den Parlamentspräsidenten Wolfgang Sobotka im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie. Warum ausgerechnet die grüne Fraktion ausrücken muss, um dem auch sonst nicht auf den Mund gefallenen ÖVP-Politiker beizustehen, erschließt sich nicht. Vielleicht ist es aber auch ein Entlastungsangriff für den immer öfter bei Covid-Anfragen autoritär auffälligen und zunehmend überforderten grünen Gesundheitsminister Johannes Rauch, der die beiden Grün-Mandatare dazu veranlasst, publizistisch gegen eine Oppositionspartei ins Feld zu ziehen.

Da war doch was

Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass die jeweilige Regierungsmehrheit Fragen der Opposition als unangebracht, unpassend oder gar lächerlich hinstellt. Neu ist die moralisierende Wertung und die daraus gezogene Konsequenz, dem Fragenden das Recht auf eine Antwort abzusprechen. Wer solch ein Verhalten an den Tag legt, muss sich dann wohl auch an den eigenen Taten und parlamentarischen Anfragen messen lassen. Und da sind die Grünen nun einmal, was vermeintliche Falschmeldungen und Desinformationen angeht, nicht gerade frei von jeder Schuld.

Im Jahre 1995 etwa hat die damalige Klubobfrau der Grünen Madeleine Petrovic gleich drei Minister mit einer Anfragelawine betreffend den Wunderheiler und Begründer der "Germanischen Neuen Medizin" Ryke Geerd Hamer konfrontiert. Damals unterstützt von einem gewissen Alexander Van der Bellen wollte sie von der Gesundheitsministerin Christa Kramer, dem Wissenschaftsminister Rudolf Scholten und dem Justizminister Nikolaus Michalek wissen, warum sie sich den wundersamen Krebsheilmethoden jenes Mediziners verschlössen, dem bereits 1986 wegen Scharlatanerie die Approbation entzogen wurde. Unter anderem behauptete der derart beworbene Hamer, dass Krebsärzte in Deutschland meist Juden seien, die bei der Chemotherapie Chips mit "Giftkammern" implantierten, und dass bei Impfungen die Menschen mit Chips "markiert" würden.

Zur Nachlese: Petrovics parlamentarische Anfrage an Ministerin Kramer aus dem Jahr 1995 und die Anfragebeantwortung der Ministerin.

Frage der Perspektive

Wie hätten die damaligen Grünen-Abgeordneten (unter ihnen neben Van der Bellen so illustre Namen wie Rudolf Anschober, Monika Langthaler, Gabriela Moser oder Andreas Wabl) wohl reagiert, wenn statt einer ordnungsgemäßen Beantwortung durch die drei Minister jene Antwort übermittelt worden wäre, die Blimlinger und Schallmeiner heute für vorgeblich unpassende Anfragen fordern: "Hier kann keine Auskunft erteilt werden. Diese Anfrage stellt einen Missbrauch der parlamentarischen Demokratie dar."

Das parlamentarische Fragerecht ist ein essenzieller Teil der politischen Kontrolle. Jeder Versuch, dieses einzuschränken, untergräbt die parlamentarische Demokratie, wie wir sie kennen. Insbesondere wenn die jeweilige Regierungsmehrheit anfängt, darüber zu entscheiden, was gefragt und beantwortet werden darf. Das sollte selbst Blimlinger und Schallmeiner klar sein. Denn irgendwann werden auch sie nur noch Opposition sein, und was ihnen dann noch bleibt, ist das Fragerecht gegenüber den Regierenden. (Stefan Brocza, 29.7.2022)