Schon am ersten Tag zeigten sich die Acts des Popfests von einer erschöpften und auch wütenden Seite – jedenfalls von einer politischen. W1ze mag die große Geste.
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Zwei schlechte Dinge am Popfest in Wien, die sich nie ändern werden, gleich vorab: Die Klosituation ist eine Katastrophe, und der Sound auf der Seebühne testet euphemistisch gesprochen die Fähigkeit des Publikums aus, Melodien erahnen zu können. Es wäre aber auch fast ein bisschen traurig, hätte sich das geändert – immerhin ist das Popfest wieder auf den Karlsplatz, wo es hingehört, zurückgekehrt, und der Mensch sehnt sich nach Kontinuität.

Skofi & Skyfarmer

Gagen und Sexismus

Programmatisch verfolgt das diesjährige Kurationsduo Dalia Ahmed und Andreas Spechtl einen Weg, den das Popfest seit einigen Jahren erfolgreich eingeschlagen hat: den zu (mehr) Diversität im Line-up – das meint sowohl Offenheit gegenüber Genres, vor allem geht es aber um die Präsenz Musikschaffender aus marginalisierten Gruppen. Applaudierte man sich früher schon selbst, wenn auch mal Frauen auf der Bühne standen, ist heuer der Anteil von People of Color und Personen aus der LGBTIQ+-Community hoch.

Die Sichtbarkeit auf den Bühnen des Gratisfestivals wird von den Acts auch für Statements genutzt. Das beginnt gleich bei Kerosin95. Kerosin95 macht kein Hehl daraus, zuletzt eine schwierige Zeit durchgemacht zu haben – gemeint ist wohl die Trennung von der Band My Ugly Clementine –, und prangert während des Eröffnungssets auf der Seebühne den Umgang der Stadt Wien mit Transmenschen an sowie die prekären Arbeitsbedingungen in der Musikindustrie: "Ich spiel hier nur für die Gage!"

KEROSIN95

Später wird die junge Rapperin und Multinstrumentalistin Skofi bei ihrem Set den in der Wiener Musikbranche herrschenden Sexismus ansprechen. W1ze singt: "Trauma looks good on me". Schon am ersten Tag zeigen sich die Acts des Popfests von einer erschöpften und auch wütenden Seite – jedenfalls von einer politischen.

Die musikalischen Darbietungen sind wie immer durchwachsen. Nach einem soliden, aber nicht herausragenden Set von Kerosin95 folgt auf der Seebühne das live zum Duo geschrumpfte Projekt Euroteuro, das zwar hochsympathischen Elektro-Indie-Schlager-Pop macht, dessen Charme sich aber nicht ganz aufs Publikum übertragen will. Peter T. und Katarina Maria Trenk bewegen sich auf der Bühne, als würden sie nach einem verlegten Schlüssel suchen, während sie immer wieder vergessen, dass sie danach suchen.

JUICE Magazin

Rapperinnen und Engel

In der Künstlerhaus Factory hat der vielversprechende Rapper STSK im hübschen Ambiente einer Ausstellung der Vinylograph-Leute, die die Sessions auch live auf Platte mitschneiden, ein hübsches Line-up zusammengestellt. Die Rapperin Bex und die bereits erwähnte Skofi sollte man sich merken.

Als letzter Act auf der Seebühne versucht R-'n'-B-Diva W1ze das Publikum zum Tanzen zu animieren und hat sich dafür Verstärkung von einer Live-Band geholt, die es aber leider nicht vermag, den am Computer programmierten Songs in der Liveumsetzung mehr Pepp zu verleihen. Plenty of Pepp hat dafür W1zes weißes Engelsoutfit.

In jedem Fall brachte bereits der erste Tag des Popfests einige interessante junge Popentwürfe auf die Bühne, auch wenn da und dort noch Feinschliff in den Umsetzungen fehlt. Gute Anlagen gibt es – neben den vielen wichtigen Anliegen. (Amira Ben Saoud, 29.7.2022)