Ärztekammer und Pflegeverband sehen die Öffnungsschritte, die ab Montag auch im Gesundheitsbereich gelten, äußerst kritisch.

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Wien – Heftige Kritik an den ab Montag geltenden Lockerungen der Pandemiemaßnahmen kam am Freitag von der Ärztekammer und dem Krankenpflegeverband. Vor allem zur Umsetzung der Betretungsverbote für Corona-Infizierte in Spitälern und Pflegeeinrichtungen äußern Fachleute Bedenken. Harald Mayer, Vizepräsident der Ärztekammer, fragte sich im Ö1-"Morgenjournal" am Freitag: "Wie soll das funktionieren? Muss dann vor jeder Gesundheitseinrichtung ein Sheriff oder Security stehen, der die Leute überprüfen muss?" Er hält es für praktisch nicht umsetzbar, da es nicht Aufgabe des medizinischen Personals sei, unausgegorene Lockerungen zu kontrollieren.

Noch schärfer ging Mayer mit der neuen Möglichkeit ins Gericht, dass infiziertes Personal in Spitälern Dienst tut: "Das ist eine Mischung aus Verantwortungslosigkeit, Fahrlässigkeit, und wahrscheinlich ist es an der Grenze zur Körperverletzung von Nichterkrankten." Die Aufhebung der Quarantäneregelung nannte Mayer "eine politische Entscheidung", für die nun auch die Politik die Konsequenzen zu tragen habe. Er hält es für die falsche Entscheidung, "die uns im Herbst auf den Kopf fallen wird" – weil dann erneut eine Überlastung des Gesundheitssystems drohe.

Eigenverantwortung funktioniere in Österreich nicht

Zur Eigenverantwortung, die von der Politik im Zuge der Lockerungen immer wieder ins Spiel gebracht wurde, hat Mayer eine klare Meinung: "Das Thema Eigenverantwortung kann für Österreich als gescheitert bezeichnen." Die habe der Österreicher und die Österreicherin "nicht in dem Ausmaß, dass man die Pandemie in Schranken halten könnte", attestiert der Ärztekammer-Vize.

In eine ähnliche Kerbe schlug Elisabeth Potzmann, die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands (ÖGKV). Auch sie hat Zweifel, ob die Eigenverantwortung in Österreich wirklich ein Eckpfeiler ist, auf den man bei der Pandemiebekämpfung setzen kann: "Wir sind es nicht gewohnt, bezüglich unserer eigenen Gesundheit die Verantwortung zu übernehmen." Das habe die Erfahrung nach fast zwei Jahren leider gezeigt.

Schutz von Patientinnen und Patienten stehe im Vordergrund

Das Quarantäne-Aus für Infizierte sieht Potzmann "sehr kritisch". Man habe beim ÖGKV eine besondere Verantwortung im Umgang mit Vulnerablen. Oberste Prämisse sei, eine Gefährdung von Patientinnen und Patienten auszuschließen, so gut das geht. 100-prozentigen Schutz gebe es zwar nie, aber "wissentlich positiv getestet zu einem Patienten oder einer Patientin zu gehen hat dann doch eine andere Qualität", so Potzmann. Genau das wird aber ab Montag möglich sein.

Die diesbezügliche Verordnung räumt Arbeitgebern die Möglichkeit ein, positiv getestetes Personal auch in Gesundheitseinrichtungen einzusetzen. Potzmann appelliert aber an die Verantwortlichen in den jeweiligen Betrieben, von dieser Möglichkeit Abstand zu nehmen und infiziertes Personal "nicht patientennah" einzusetzen. Auch wenn diese Möglichkeit ab Montag besteht, hofft die ÖGKV-Präsidentin, dass nicht sofort davon Gebrauch gemacht wird. Potzmann äußerte sich optimistisch, dass die Träger der Einrichtungen mit Bedacht auf diese Verordnung reagieren.

Keine Entlastung für Gesundheitsbereich

Hinsichtlich einer Entlastung für den Gesundheitsbereich, wenn auch positives Personal eingesetzt werden kann, ist Potzmann skeptisch. Sie befürchtet, "dass dieser Schuss nach hinten losgeht". Denn wenn infiziertes Personal Dienst tut, bestehe die Gefahr, dass sich dadurch weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anstecken und am Ende noch mehr ausfallen. Es gebe zudem Regelungen im Pflegebereich, die sich in den vergangenen zwei Jahren bewährt hätten und die man fortschreiben könnte, auch wenn es nun durch die neue Verordnung mehr Optionen zum Einsatz von infiziertem Personal gebe. (Steffen Arora, 29.7.2022)