Ira und ihre beiden Kinder sind in überfüllten Zügen und Bussen gesessen, um vor den Bomben zu flüchten.

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Stell dir vor, es ist Krieg, und du musst flüchten. In ein Land, das du nicht kennst, dich aber auffängt. Zumindest scheinbar. Was du mitbringst, sind Bilder vom Krieg, Bilder vom Sterben, Bilder von Leichen, Bilder vom Tod. Es sind Aschebilder, die dich verfolgen mit den toten Blicken und der vielen Asche, die zu keiner letzten Ruhe kommt. Zeugnisse einer Flucht. Was dich empfängt, sind Bilder einer ungewissen Zeit, sind Bilder voller Fragezeichen, sind Unterwasserbilder.

Was dich erwartet, ist wie Vakuum, weil dir die Luft zum Atmen fehlt. Fällt man eigentlich schwer im luftleeren Raum, in einem Land, das nicht Heimatland ist?

"Abel, steh auf, damit es anders anfängt zwischen uns allen", schrieb einst die jüdische Lyrikerin Hilde Domin. Jeder kennt Kain und Abel, die Geschichte vom ersten Brudermord, vom Krieg zwischen Völkern, von der brutalen Gewalt unter Menschen. Abel soll aufstehen, der Weltenlauf soll dadurch ein anderer werden.

Abel aber stand nicht auf, sondern blieb liegen, von seinem Bruder ermordet. Vielleicht tragen deshalb alle Trauerweiden auf der Welt irgendeine Schwermut im Herzen und vielleicht werden darum in der ungenauen Stunde die Selbstgespräche unlesbarer, wenn am Ende des Alphabets die Sprache wechselt.

Ira und ihren beiden minderjährigen Kindern geht es vermutlich besser als vielen anderen Flüchtlingen aus ihrer Heimat, aber auch aus anderen Ländern. Man denke nur an die vielen Menschen in den Auffanglagern. Ira weiß das. Viele Menschen sind jedoch hereingefallen auf das Ausgeliefertsein, sind gestolpert und aus dem Rahmen gefallen.

Fremdland

Ira ist Anfang März mit ihren beiden Kindern von Kiew nach Österreich gekommen. Sie sind um ihr Leben gerannt und haben sich dabei selbst mehrfach überholt. Sie sind in überfüllten Zügen und Bussen gesessen, um vor den Bomben zu flüchten und in ein Land zu kommen, das ihnen Fremdland ist. Vier Monate haben sie bei uns gewohnt, nun haben wir eine eigene kleine Wohnung für sie gefunden.

Viele Menschen wollen ihnen helfen. Ira bekommt das Notwendigste vom Staat, muss aber jeden Monat wie eine Bittstellerin das Geld, das ihr und den Kindern zusteht, bei der Volkshilfe abholen, Banküberweisungen werden nicht gemacht. Wenn die Bearbeiter:innen krank oder auf Urlaub sind, heißt es für alle ukrainischen Frauen: Bitte warten!

Ansonsten sind Ira und die Kinder relativ gut integriert. Die Kinder gehen zur Schule, in den Hort, ins Ballett, zum Fußball. Die Mutter macht einen Deutschkurs, der ihr viel abverlangt. Daneben dringen immer wieder die Nachrichten aus der Heimat zu ihr durch, trotzdem gibt es eine gewaltige Kluft zum eigenen Land. Spaltungen. Zum Atmen bleibt da kaum Platz.

Dem Himmel entgegenfallen

Warum aber verlassen jetzt Frauen aus der Ukraine mit ihren Kindern wieder Österreich und kehren zurück in ihr Heimatland, das Kriegsland ist?

Eine Ursache von vielen ist sicher, dass Betroffene hier die Traumata, die durch den Krieg und all die Massaker, Morde, Verwüstungen, Vergewaltigungen entstanden sind, nicht aufarbeiten können. Es gibt noch immer zu wenige psychotherapeutische Behandlungsangebote, Beratungsstellen jeglicher Art.

Viele Menschen können erst Fuß fassen, sich niederlassen, wenn sie sich einigermaßen wohlfühlen. Erst dann nehmen sie sich als leistungsfähig wahr. Ansonsten ist es für diese Menschen, als würden sie durch eine Abwärtsspirale dem Himmel entgegenfallen. Und dieser Himmel ist jetzt Hölle. (Andrea Drumbl, ALBUM, 31.7.2022)