"Wohlwollend zur Kenntnis genommen" hat ORF-Chef Roland Weißmann das Erkenntnis der Verfassungsrichter, dass GIS-freies Streaming verfassungswidrig ist.

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Wien – Dem Jubel des ORF über die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, dass GIS-freies Streaming verfassungswidrig ist, weicht großes Grübeln und Rechnen auf dem Küniglberg. Der neue ORF-General Roland Weißmann (54) will sich im STANDARD-Interview nicht auf eine Wunschlösung für die künftige GIS auch für Streaming festlegen – auch die Möglichkeit einer ORF-Finanzierung aus dem Bundesbudget kommentiert er nicht.

Nur eines schließt Weißmann dezidiert aus: Ein Abomodell für den ORF – nur wer ihn tatsächlich nutzt, zahlt – entspreche nach den ORF-internen Analysen nicht dem Erkenntnis der Höchstrichter. Eine Haushaltsabgabe könnte den ORF nach internen Analysen den Vorsteuerabzug kosten – und damit 60 Millionen Euro oder mehr im Jahr. Weißmann sagt: "Man kann das nicht von vornherein ausschließen. Tatsächlich ist das eine komplexe juristische und betriebswirtschaftliche Materie."

Wenn es aber beim heutigen Gebührenmodell bleibt, das an stationäre empfangsbereite Geräte anknüpft, und dieses auf Streamingnutzung erweitert wird – könnte es kompliziert werden für die GIS. Müssen ihre Außendienstmitarbeiter dann womöglich an der Türe auch nach Stand-PCs und Routern fragen oder auch nach Mobiltelefonen, Tablets und Laptops? Weißmann räumt ein, dass es dann erst richtig kompliziert werden könnte, aber: "Es sind noch eineinhalb Jahre Zeit, und ich bin sicher, dass man bis Ende 2023 eine praktikable Lösung hat." Der Gesetzgeber muss die GIS nach der Entscheidung der Verfassungsrichter bis Ende 2023 neu regeln.

Weißmann drängt, dem ORF eigene Streamingproduktionen und mehr Präsenz in den Social Media zu erlauben. Noch vor seinem Dienstantritt als ORF-General am 1. Jänner 2022 begann Weißmann mit den privaten Medienhäusern über eine Digitalnovelle zum ORF-Gesetz zu verhandeln. Was sagt Weißmann aber deren Managern, Eigentümern und Chefredakteuren auf ihre Frage: Wie sollen private Medien überleben, wenn der ORF zusätzliche Rechte bekommt? "Die existenzielle Gefahr kommt von außen", verweist der ORF-General auf die Weltwerbemarktführer Google, Facebook und Co.

Im STANDARD-Interview verteidigt und erklärt der ORF-General stundenlange Serienwiederholungen auf ORF 1, weist den Eindruck eines "Landesstudios Österreich" von ORF 2 zurück und nimmt die neuesten, hinter die vereinten Privatsender zurückgefallenen Ö3-Quoten als Beweis dafür, dass das duale System in Österreich funktioniert.

Die im Frühjahr prognostizierten zwölf Millionen Euro ORF-Verlust 2022 wird der ORF-General demnächst mit einer neuen Prognose auf rund sechs Millionen korrigieren. Aber für 2023 rechnet der General mit einem Krisenszenario – auf das sich die ORF-Führung kommende Woche in einer Klausur und mit deutlichen Sparvorgaben einstellen soll.

"Ein Abomodell erscheint uns nach dem Erkenntnis ausgeschlossen."

STANDARD: Userinnen und User haben beim STANDARD angefragt, warum der ORF eigentlich just heuer eine besonders spannende Inszenierung des "Jedermann" nicht zeigt. Was sollen wir diesen enttäuschten Gebührenzahlerinnen sagen?

Weißmann: Der ORF überträgt heuer wieder mehr als 100 Stunden aus Salzburg. Was wir zeigen, sind redaktionelle Entscheidungen. Die Inszenierung heuer ist keine neue, und wir haben den "Jedermann" vor zwei Jahren zum 100. Festspieljahr übertragen.

Verena Altenberger und Roland Weißmann bei dessen erstem Salzburger Festspielempfang als ORF-General.
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STANDARD: Für die aufregendste Entwicklung in Sachen ORF sorgte gerade der Verfassungsgerichtshof mit der Entscheidung, dass die GIS-Freiheit von Streamingnutzung nicht verfassungsgemäß ist. Der Gesetzgeber muss die GIS also bis Ende 2023 neu regeln. Hat der ORF-Generaldirektor ein Lieblingslösungsmodell?

Weißmann: Natürlich, aber ich werde das sicherlich nicht öffentlich kommunizieren. Wir haben die Beschwerde eingebracht und natürlich wohlwollend zur Kenntnis genommen. Wie Menschen Medien konsumieren, hat sich schließlich stark verändert. Dem entspricht der Verfassungsgerichtshof mit seiner richtungsweisenden Entscheidung. Sie bedeutet ja nicht mehr Geld für den ORF, sondern eine nachhaltige Finanzierung. Wir werden uns einbringen mit unserer Expertise, aber sicher keine Wünsche via Medien äußern. Die Entscheidung liegt beim Gesetzgeber.

STANDARD: Die Grünen, immerhin Koalitionspartner in der Regierung, und einige Medienwissenschafterinnen und Medienwissenschafter plädieren für eine Haushaltsabgabe wie in Deutschland und der Schweiz. Was halten Sie davon?

Weißmann: Das ist sicher eine der Möglichkeiten, aber nur eine von mehreren. Es ist die Politik, die entscheidet. Ein Abomodell statt der GIS scheint uns nach eingehender Analyse der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ausgeschlossen.

STANDARD: Eine Haushaltsabgabe könnte einen steuerrechtlichen Haken haben: Wenn damit die Mehrwertsteuer auf die Beiträge entfällt, könnte der ORF den Vorsteuerabzug verlieren. Das könnte für den ORF 60 Millionen oder mehr im Jahr weniger bedeuten.

Weißmann: Man kann das nicht von vornherein ausschließen. Tatsächlich ist das eine komplexe juristische und betriebswirtschaftliche Materie.

STANDARD: Und was würde eine Haushaltsabgabe für die übrigen Abgaben des Bundes und vieler Bundesländer auf die Programmentgelte bedeuten, die heute immerhin ein Drittel der GIS ausmachen? Wären die damit auch infrage gestellt?

Weißmann: Das ist ebenfalls eine Frage der künftigen Ausgestaltung – die Sie dem Gesetzgeber stellen müssen.

STANDARD: Derzeit liegt die Frage, ob die Mehrwertsteuer auf die bestehenden Programmentgelte zu Recht eingehoben wird, beim EU-Gerichtshof. Wenn der entscheidet, dass sie wie etwa in der Tschechischen Republik nicht berechtigt ist ...

Weißmann: Laufende Verfahren kommentieren wir nicht. Wir sehen der Entscheidung mit Gelassenheit und Optimismus entgegen.

"Aus Sicht des ORF ist der öffentlich-rechtliche Auftrag unteilbar."

STANDARD: In der Diskussion über eine Haushaltsabgabe ist man in Österreich rasch bei einer Medienabgabe, die auch privaten Medien zugutekommen könnte – die auch einen Public Value erbringen. Wäre das ein sinnvolles Modell aus Ihrer Sicht? ORF und Private betonen ja seit Monaten Kooperation und den gemeinsamen Medienstandort.

Weißmann: Sie vermischen zwei Dinge – einerseits die Verhandlungen über eine ORF-Digitalnovelle, andererseits die GIS-Entscheidung. Aus Sicht des ORF ist der öffentlich-rechtliche Auftrag unteilbar. Aber am Ende des Tages entscheidet auch darüber der Gesetzgeber.

STANDARD: Was halten Sie davon, den ORF aus dem Bundesbudget zu finanzieren? Die FPÖ fordert das recht massiv und schon lange. Aber auch die ÖVP schien in den vergangenen Jahren nicht so abgeneigt. Wie sehen Sie das?

Weißmann: So wie bei anderen möglichen Modellen gilt für mich: Ich möchte dem Gesetzgeber unsere Sicht nicht über die Medien mitteilen.

STANDARD: Was passiert eigentlich, wenn der Gesetzgeber nichts tut und die bestehenden Bestimmungen über die Programmentgelte allein für Rundfunkgeräte mit Ende 2023 auslaufen?

Weißmann: Ich bin sicher, der Gesetzgeber wird zeitgerecht eine verantwortungsvolle Lösung finden.

"Es sind noch eineinhalb Jahre Zeit, und ich bin sicher, dass man bis Ende 2023 eine praktikable Lösung in Sachen GIS hat."

STANDARD: Aber wenn man jetzt die bisherige Regelung über Gebührenpflicht für stationäre Empfangsmöglichkeit fortschreibt und die dann auch für Streaming gilt, dann müsste die GIS wahrscheinlich auch noch überprüfen, ob ich einen Stand-PC habe oder nur ein Mobiltelefon, mit dem ich streamen kann. Und was ist dann ein Laptop oder ein Tablet – mobil oder stationär? Das klingt ziemlich schwierig, oder?

Weißmann: Theoretisch ja. Aber es sind noch eineinhalb Jahre Zeit, und ich bin sicher, dass man bis Ende 2023 eine praktikable Lösung hat.

STANDARD: Was kostet die Einhebung der Gebühren durch die Tochterfirma GIS eigentlich den ORF? Wenn man von rund drei Prozent der Gebühreneinnahmen Einhebungsaufwand ausgeht, müssten das so 20 Millionen Euro im Jahr sein. Die GIS hat laut Jahresabschluss rund 35 Millionen Umsatz. Bei einer Haushaltsabgabe könnte man sich diesen doch großen Aufwand sparen, oder?

Weißmann: Wir bewegen uns hier schon wieder im Bereich der Spekulation. In unserer internen Analyse sehen wir uns natürlich auch verschiedene Varianten der Einhebung an. In Italien wird der Beitrag zum Beispiel mit der Stromrechnung eingehoben, in Deutschland ist es eine Vorschreibung.

STANDARD: Was wäre Ihnen als ORF-General denn lieber: eine große ORF-Novelle von Streamingmöglichkeiten bis neue GIS-Regelung – oder eine rasche Digitalnovelle und dann gegen Ende 2023 eine neue Gebührenlösung?

Weißmann: Ob drei Monate früher oder später – wichtig ist, dass eine gute, zukunftsfähige Lösung herauskommt.

"Die existenzielle Gefahr kommt von außen."

STANDARD: Womit wir bei den seit Monaten laufenden Verhandlungen über die ORF-Digitalnovelle wären – von der Sie sich für den ORF mehr Möglichkeiten etwa für Streamingproduktionen und in den Social Media erhoffen. Nun stellen sich Verleger und Chefredakteure gerade die Frage: Wie sollen private Medien überleben, wenn der ORF zusätzliche Rechte bekommt? Wie beantworten Sie die Frage?

Weißmann: Grundpfeiler der Verhandlungen war und ist ein funktionierendes duales Mediensystem von privaten und öffentlich-rechtlichen Medien. Wir haben uns von Beginn an zu einer ORF-Novelle im Gesamtrahmen des heimischen Medienmarktes bekannt. Mit Blick auf diesen gesamten Medienmarkt führen wir auch die Verhandlungen. Unser aller gewaltigste Bedrohung liegt in US-amerikanischen und chinesischen Internetgiganten. Der Onlinewerbemarkt in Österreich ist 1,8 Milliarden Euro schwer – und davon geht nur ein Zehntel an österreichische Anbieter. Um dagegenzuhalten, brauchen wir eine gemeinsame Kraftanstrengung und Kooperation aller Player hier. Die existenzielle Gefahr kommt von außen.

"Koste es, was es wolle – das kann es für den ORF nicht geben."

STANDARD: Medienpolitische Verhandlungen sind üblicherweise ein großer Basar von Forderungen und Angeboten. Was bieten Sie denn?

Weißmann: Ich führe Verhandlungen hinter verschlossenen Türen. Es sind gute Gespräche. Natürlich suchen wir Kompromisse. Kompromiss heißt: für beide Seiten lebbar – oder in diesem Fall mit Zeitungsverband, Privatsenderverband und ORF für drei Seiten. Nach meinem Eindruck arbeiten wirklich alle intensiv an einem solchen Kompromiss. Wird es am Ende des Tages gelingen? Das kann ich heute nicht sagen. Klar ist für den ORF: Koste es, was es wolle – das kann es nicht geben.

STANDARD: Wie würden Sie heute die Chancen bewerten, dass diese Novelle zustande kommt?

Weißmann: Ich bin ein positiver Mensch. Für mich gilt: Das Glas ist halbvoll – nicht halbleer.

STANDARD: Und was passiert, wenn sich die Medienministerin oder die Regierung nicht über diese digitale Novelle trauen? Sorgen und Ablehnung privater Medienhäuser sind massiv.

Weißmann: Dann ist das eine vergebene Chance. Ich nehme die Medienpolitik als verantwortungsvoll wahr; sie sieht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Angebot für alle Österreicherinnen und Österreicher. Das bedingt aus unserer Sicht natürlich auch, dass wir auf neues Nutzungsverhalten und neue technische Möglichkeiten reagieren können, um den ORF zukunftsfähig zu machen. Was wir fordern, ist nur das, was ARD und ZDF in Deutschland, das Schweizer Fernsehen und die BBC längst dürfen. Österreich hinkt da hinterher.

STANDARD: Und wenn die Novelle nicht kommt, wird der ORF vermutlich die geplanten Angebote eins nach dem anderen bei der Medienbehörde nach dem geltenden Gesetz beantragen. Das dauert zwar länger als eine Novelle und bringt vielleicht nicht alle gewünschten Möglichkeiten, aber dafür müssten Sie nicht, wie gerade in den Verhandlungen zentrale Themen, auf ORF.at Meldungszahl und Textlängen beschränken und Radiowerbung begrenzen.

Weißmann: Und darum verhandeln wir natürlich noch sehr ernsthaft. Man muss jetzt einen Kompromiss finden, der für alle Sinn ergibt. Solange verhandelt wird, bin ich optimistisch. Und wenn es nicht gelingen sollte, äußere ich mich gerne zu den nächsten Schritten.

"Jede Bundesregierung heute und in Zukunft kann sich erwarten, dass wir so unabhängig und objektiv wie bisher berichten."
APA / Georg Hochmuth

STANDARD: Was kann sich denn die Regierung, also ÖVP und Grüne, im Gegenzug für eine digitale Novelle vom ORF erwarten?

Weißmann: Einen ORF, der die Österreicherinnen und Österreicher verlässlich informiert, dem die Menschen vertrauen, der seinen gesetzlichen Auftrag perfekt erfüllt. Einen ORF, der viel publikumswirksamen Content liefert, Stichwort Frauenfußball-Europameisterschaft. Einen ORF, der wichtigster Partner der heimischen Filmwirtschaft ist, auch der größte Partner für die heimische Kunst- und Kulturszene. Wir investieren rund 120 Millionen Euro unserer Gebühreneinnahmen in Kunst und Kultur in Österreich. Wir bauen regelmäßig die Barrierefreiheit aus. Wir sind für Minderheiten da – zum Beispiel mit einem neuen Minderheiten-Magazin, das wir starten.

STANDARD: Ich habe die Frage eher auf die politische Berichterstattung bezogen ...

Weißmann: Die politische Berichterstattung im ORF funktioniert unabhängig und weisungsfrei, abgesichert von einem neuen Redaktionsstatut. Jede Bundesregierung heute und in Zukunft kann sich erwarten, dass wir so unabhängig und objektiv wie bisher berichten.

STANDARD: Apropos Redaktionsstatut: Sie haben ein Versprechen Ihres Vorgängers Alexander Wrabetz eingelöst und den Redakteurinnen und Redakteuren die Möglichkeit von Misstrauensvoten gegen ihre Führungskräfte gegeben. Die Letztentscheidung liegt beim Generaldirektor. Aber können Sie nach einem Misstrauensvotum der Redaktion und einer gleichlautenden Empfehlung des internen, paritätisch besetzten ORF-Ethikrates überhaupt noch anders entscheiden, als die Führungskraft tatsächlich abzusetzen?

Weißmann: Das entscheide ich, wenn der Fall einmal eintritt.

"Ich wüsste nicht, warum ich mich fürchten sollte."

STANDARD: Das Land Burgenland hat gerade das ORF-Gesetz vor den Verfassungsgerichtshof gebracht, weil es automatisch für eine Regierungsmehrheit in den ORF-Gremien sorgt – und damit für allzu große Politiknähe. Müssen Sie jetzt um die bürgerliche Mehrheit im Stiftungsrat bangen, die Sie 2021 zum Generaldirektor gemacht hat und die Sie jetzt als General ganz praktischerweise im Rücken haben?

Weißmann: Ich wüsste nicht, warum ich mich fürchten sollte. Aber ich kommentiere laufende Verfahren nicht. Wenn der Verfassungsgerichtshof etwas beanstandet, dann liegt der Ball beim Gesetzgeber, nicht bei der ORF-Führung.

STANDARD: Sie bekämen womöglich einen neuen Stiftungsrat – dessen Zustimmung Sie für jedes Budget, jedes Programmschema, jede Gebührenerhöhung, jede Direktionsbestellung und alle größeren unternehmerischen Fragen brauchen.

Weißmann: Gute Zusammenarbeit mit dem Stiftungsrat oder einem Aufsichtsrat ist die Aufgabe jedes Managements.

STANDARD: Sie haben den ORF als gewichtigen Auftraggeber für Produktionen genannt. Die Regierung hat gerade ein Anreizmodell für Film, TV und Streaming angekündigt, das Produzenten 30 bis 35 Prozent des Produktionsvolumens in Österreich abgelten soll. Kommt da der große Streaming- und TV-Produktionsboom auf uns zu?

Weißmann: Das ist ein richtiges und richtungsweisendes Modell, ein wirklich gutes Signal – und eine langjährige Forderung der heimischen Filmwirtschaft. Österreich kann damit an den internationalen Standard anschließen.

"Entscheidend ist doch das Gesamtangebot, und das kann sich sehen lassen."

STANDARD: Womit wir bei Programmfragen wären. Im Tagesprogramm von ORF 1 reiht sich Kaufserie an Kaufserie, Wiederholung an Wiederholung – das wurde gerade in der Debatte über GIS und Digitalnovelle heftig kritisiert. Wie rechtfertigen Sie dieses Programm in einem öffentlich-rechtlichen Sender?

Weißmann: Entscheidend ist doch das Gesamtangebot, und das kann sich sehen lassen. Wir haben in ORF 1 die besten Quoten seit zehn Jahren, wir haben eine Vielzahl von Eigenproduktionen und Koproduktionen. Wir investieren in ORF 1 in Eigenproduktionen in der Kernzone Vorabend und Hauptabend. Und wir haben starke Programme in der Pipeline: Im September kommt ein großer Teuerungs- und Energieschwerpunkt über alle Sender und Plattformen. Wir haben eine neue Serie mit Franziska Weisz, "Tage, die es nicht gab". Wir haben zwei neue "Landkrimi"- und weitere Filmpremieren im Programm. Im Herbst ein Mini-Event mit Kabarett und Comedy – mini, weil die Fußballweltmeisterschaft diesmal im November und Dezember läuft.

STANDARD: Und untertags kann man sich nur Kaufserie um Kaufserie leisten mit 650 Millionen Gebühren und einer Milliarde Gesamtumsatz?

Weißmann: Das Thema hat mehrere Dimensionen. Wir setzen unsere Schwerpunkte sinnvollerweise für ein größeres Publikum in der Kernzone zwischen 17 und 23 Uhr. Zweitens: Wenn man mit internationalen Produktionsfirmen verhandelt, bekommt man Topfilme nur im Paket mit Serien, wie wir sie in ORF 1 untertags zeigen. Zum Dritten: Wir arbeiten laufend an einem größeren eigenen Angebot insbesondere auf ORF 1 – während andere lineare Sender ihr Angebot reduzieren.

STANDARD: Das Casting für den Comedy-Schwerpunkt im Herbst hat für eine kleine Aufregung in den sozialen Medien gesorgt – abgesehen von den Aufgaben dort gab es Kritik an der Bezahlung, die Rede war von Präkariatscasting.

Weißmann: Ich habe diese Kritik nur von einer Person auf Facebook wahrgenommen.

"ORF 2 goes Europe – wir sind auf einem sehr guten Weg, dass die 'Starnacht am Wörthersee' kommendes Jahr von der ARD übernommen wird."

STANDARD: ORF 2 wiederum scheint sich zu einer Art Ö-Regional des Fernsehens zu entwickeln. Baut der ORF da am "Landesstudio Österreich", vor dem der legendäre ORF-General Gerd Bacher einmal bei seiner Nachnachnachfolgerin Monika Lindner gewarnt hat?

Weißmann: ORF 2 ist so erfolgreich wie schon lange nicht mehr. Und im Gegenteil, ORF 2 goes Europe – wir sind auf einem sehr guten Weg, dass die "Starnacht am Wörthersee" kommendes Jahr erstmalig nach langer, langer Zeit wieder von der ARD übernommen wird. Und zum Dritten: Unsere Landesstudios sind eine ganz wichtige Säule für den ORF, "Bundesland heute" ist im täglichen Match mit der "Zeit im Bild" um die quotenstärkste Sendung des Landes. Die Landesstudios machen tolles Programm und liefern viel für das Hauptprogramm zu.

"Gratulation an unsere Mitbewerber beim Radiotest. Das duale System funktioniert sichtlich."

STANDARD: Donnerstag kam der Radiotest heraus – die Privatsender haben nun gemeinsam Ö3 deutlich hinter sich gelassen. Ein Alarmsignal bei einem Sender, der die Werbeeinnahmen des ORF wesentlich mitträgt?

Weißmann: Erstens: Gratulation an unsere Mitbewerber. Zweitens: Das duale System funktioniert sichtlich. Drittens: Nach wie vor entfallen sieben von zehn gehörten Radiominuten im Land auf ORF-Sender. Aber wir werden uns das intern genau ansehen und daran arbeiten, dass der nächste Radiotest für uns wieder besser ausfällt.

STANDARD: Ö1 macht den Hörerinnen und Hörern gerade sehr deutlich, wie viele Wiederholungen es gerade sendet. Sagt die Kennzeichnung "Sommerfahrplan" nicht gar deutlich: "Achtung, schon wieder eine Wiederholung!"

Weißmann: Wir geben unserem Publikum immer gern Orientierung. Aber danke für den Hinweis. Es ist immer wichtig, auf Publikumsresonanz zu reagieren, das nehme ich gerne mit.

Eine ORF-Geschäftsführungsklausur zur krisenhaften Wirtschaftsentwicklung findet kommende Woche statt.
APA / Georg Hochmuth

STANDARD: War nicht für Juli eine neue, aktualisierte Prognose über die wirtschaftliche Entwicklung des ORF bis Jahresende angekündigt?

Weißmann: Stimmt, die kommt in Kürze.

"Es sieht nach einer ähnlich schwierigen Phase aus wie in der Weltwirtschaftskrise 2008/2009."

STANDARD: Wird sie besser ausfallen als die im Frühjahr prognostizierten zwölf Millionen Euro Verlust statt eines ausgeglichenen Ergebnisses 2022?

Weißmann: In einer gemeinsamen Anstrengung mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es gelungen, den Überzug im Wesentlichen zu halbieren. Wir werden es, wie angekündigt, schaffen, das Jahr 2022 trotz der dramatischen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit einer schwarzen Null abzuschließen. Wir haben zeitgerecht Maßnahmen gesetzt. Wir müssen, wie alle Menschen, alle Unternehmen auf die Teuerung reagieren. Kommende Woche überlegen sich ORF-Geschäftsführung und Landesdirektorinnen und Landesdirektoren in einer Klausur, wie wir auf diese Rahmenbedingungen reagieren. Es sieht nach einer ähnlich schwierigen Phase aus wie in der Weltwirtschaftskrise 2008/2009.

STANDARD: Das klingt nach sehr deutlich zweistelligen Sparvorgaben für das Budget 2023.

Weißmann: Wir verhandeln auch das lieber hinter verschlossenen Türen und nicht in der Öffentlichkeit. Aber natürlich: Wir müssen auf die Situation reagieren – wie viele andere Unternehmen.

STANDARD: Sie treffen regelmäßig Ihren Vorgänger Alexander Wrabetz zum Austausch. Nach Ihrem Amtsantritt als General wurde zu Jahresbeginn viel spekuliert über einen Beratungsvertrag für Wrabetz mit dem ORF oder auch ORF-Funktionen über den Beiratsvorsitz von ORF 3 hinaus. Ist das vom Tisch – und Wrabetz setzt auf einen Job als Medienminister in einer Regierung mit SPÖ-Beteiligung?

Weißmann: Alexander Wrabetz hat keinen Beratervertrag mit dem ORF, und es ist auch keiner angedacht. Wir tauschen uns tatsächlich sehr regelmäßig aus. Wir haben eine gemeinsame Leidenschaft – und das ist der ORF. Aber was seine Zukunftspläne betrifft, da muss man ihn fragen.

STANDARD: Sie sind seit Anfang 2021 Wrabetz’ Nachfolger als ORF-General. Haben Sie es schon bereut, dass Sie sich 2021 für die ORF-Generaldirektion beworben haben?

Weißmann: Nein, überhaupt nicht, es ist ein fordernder, aber großartiger Job. Aber Sie können ja den Stiftungsrat fragen. (Harald Fidler, 30.7.2022)