Die atmosphärishe Schockwelle des Vulkanausbruchs in Tonga vom 15. Jänner 2022 war die stärkste, die je gemessen wurde.

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Im Jahr 1816 ließ der Frühling auf sich warten. Noch im April war es in Europa ungewöhnlich kalt, und als im Sommer Dauerregen und mancherorts sogar Schneegestöber folgten, gab die Bevölkerung die Hoffnung auf eine gute Ernte gänzlich auf. Das Getreide verfaulte auf den Feldern, Vieh musste notgeschlachtet werden, die Menschen litten Hunger. In die Geschichte ging 1816 als Jahr ohne Sommer ein.

Auslöser dieses Phänomens war der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im Vorjahr gewesen. Die Eruption verbreitete Asche und klimawirksame Aerosole um den ganzen Erdball und bescherte Europa eine um bis zu drei Grad Celsius geringere Sommertemperatur als im Durchschnitt. In diesem trüben Jahr schuf Mary Shelley am verregneten Genfer See ihren "Frankenstein", während Caspar David Friedrich das durch die Aerosole spektakuläre Abendrot malerisch festhielt.

Ausbruch der Rekorde

Auch dieses Jahr erschütterte ein Vulkan die Welt: Am 15. Jänner brach im südpazifischen Inselstaat Tonga der Unterseevulkan Hunga Tonga-Hunga Ha'apai aus. Die dabei entstandene Druckwelle umkreiste die Erde mehrfach, die Aschewolke erreichte Rekordhöhen. Doch wie Untersuchungen eines Teams um Luis Millán vom California Institute of Technology (USA) zeigen, wird dieser Ausbruch die Erde nicht abkühlen – im Gegenteil.

Verschiedene Satelliten verfolgten die Eruption des Hunga Tonga-Hunga Ha'apai aus der Erdumlaufbahn.
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In der Fachzeitschrift "Geophysical Research Letters" berichten die Forscherinnen und Forscher, dass die Eruption die bisher größte beobachtete Injektion von Wasser in die Stratosphäre war. Die Stratosphäre ist gewöhnlich ein sehr trockener Ort: Da Wasserdampf bereits in geringeren Höhen gefriert, gelangt sehr wenig Wasser in diese Schicht der Erdatmosphäre in etwa 15 bis 50 Kilometer Höhe. Starke Thermiken, besonders heftige Gewitter, die durch Waldbrände entstehen, und auch Vulkanausbrüche können Wasser bis in die Stratosphäre tragen.

Feuchte Eruption

Kaum knallte es im Jänner, richteten Wissenschafter die Messgeräte des Nasa-Satelliten Aura auf die Aschewolke. Dessen Instrumente können Gase anhand ihrer Wärmestrahlung unterscheiden. Es zeigte sich, dass der Hunga Tonga-Hunga Ha'apai vergleichbar wenig Schwefeldioxid freigesetzt hat. Dieses Gas bildet in der Atmosphäre Aerosole, die Sonnenlicht reflektieren und die Erde abkühlen. Dafür schleuderte der Vulkan gewaltige Mengen Wasser in Höhen von bis zu 53 Kilometern – also sogar bis zum Übergang in die nächsthöhere Schicht, die Mesosphäre.

Die Aschewolke des Unterseevulkans erreichte Rekordhöhen.
Foto: REUTERS/Tonga Geological Services

"Insgesamt schoss der Ausbruch etwa 146 Milliarden Kilogramm Wasser in die Stratosphäre, das entspricht 58.000 olympischen Schwimmbecken oder zehn Prozent des normalen Wassergehalts der Stratosphäre", sagt Millán. Ursache für diese feuchte Explosion ist die Lage des Vulkans: Sein Krater befand sich vor der Eruption immerhin 150 Meter unter der Meeresoberfläche. Welche Auswirkungen ein so großer Wassereintrag in die obere Atmosphäre auf das Klima hat, ist noch unklar. Doch es wird wohl wärmer, wie die Forscher schreiben.

Es wird wärmer

Während Schwefeldioxid schnell abgebaut wird, gehen die Wissenschafter davon aus, dass das Wasser bis zu fünf Jahre in der Atmosphäre bleiben wird – um dort die Chemie durcheinanderzuwirbeln. Das zusätzliche Wasser könnte zwar die Menge des Treibhausgases Methan verringern, doch greift es gleichzeitig die gebeutelte Ozonschicht an, die die Erde vor UV-Strahlung schützt. Zusätzlich ist Wasserdampf selbst ein potentes Treibhausgas. Daher gehen die Fachleute davon aus, dass der Ausbruch zur globalen Erwärmung beitragen wird.

Die Expertinnen und Experten werden jedenfalls die Auswirkungen der Rekorderuption des Hunga Tonga-Hunga Ha'apai weiter beobachten. Davon erhoffen sie sich neue Einblicke, wie Vulkane die Atmosphäre und das Klima beeinflussen. (Dorian Schiffer, 29.7.2022)