Die Allgemeinmedizinerin Lisa-Maria Kellermayr wurde über Monate aus der Coronaleugner- und Impfgegnerszene bedroht.

Foto: Hermann Walkolbinger

Seewalchen am Attersee – Die oberösterreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr wurde am Freitagmorgen tot in ihrer Ordination aufgefunden. Die Staatsanwaltschaft Wels schließt Fremdeinwirkung aus, wie die "Oberösterreichischen Nachrichten" berichten. Auf STANDARD-Anfrage bestätigte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Nachmittag, dass sie von einem Suizid ausgehe. Kellermayr hatte ihre Ordination nach zahlreichen Morddrohungen aus dem Corona-Leugner-Milieu geschlossen.

Die Medizinerin ist mehrfach öffentlich als Expertin aufgetreten und hat dabei stets auf die Wirksamkeit der Impfung verwiesen. Auf ihrer Website teilte sie mit, sie sei seit mehr als sieben Monaten in unregelmäßigen Abständen Repressalien "aus der Covid-Maßnahmengegner- und Impfgegner-Szene" ausgesetzt. Sie habe bereits 100.000 Euro für Schutzmaßnahmen ausgegeben und beschäftigte etwa einen Security-Mitarbeiter, um sich und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen.

Praxis als Traum

Nachdem Kellermayr ihre Praxis im Juni zunächst nur vorläufig geschlossen hatte, stellte sie den Betrieb Mitte Juli dauerhaft ein. Sie könne "ihnen keine Perspektive bieten, ob oder wann es für uns möglich sein wird, unter normalen Umständen zu arbeiten".

Im jüngsten Gespräch mit dem STANDARD betonte Kellermayr, wie wichtig für sie ihre Ordination sei: Als Ärztin in ihrer eigenen Praxis Menschen zu helfen, das sei ihr Traum seit Schultagen gewesen. "Ich habe so viel Geld und Kraft hineingesteckt."

Bedrohungen gab es bis zuletzt. Ein Mann aus Oberbayern, dessen Identität dem STANDARD bekannt ist, schrieb erst vor wenigen Tagen auf Twitter, sie werde vor ein "Volkstribunal" gezerrt werden. Das tat er schon früher, Kellermayr ging auch juristisch gegen ihn vor, aber die deutschen Behörden winkten ab: Die Aussage war wohl von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Kritik an der Polizei

Kellermayr hatte der oberösterreichischen Polizei vorgeworfen, maßgeblichen Anteil an ihrer Situation zu haben. Ein Pressesprecher der Behörde habe sie nach der von ihr kritisierten Teilblockade des Klinikums in Wels durch Impfgegner quasi als Lügnerin hingestellt. Das habe den radikalen Aktivisten signalisiert, dass man sie attackieren könne. Als die Bedrohungen zunahmen, blieben die Ermittlungen der Behörde erfolglos.

Kellermayr hatte daran erinnert, dass mehrere Politiker wie Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) und Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) bei ihren Rücktritten die Drohungen gegen sie hervorgehoben hatten. Kellermayr sagte, der Staat müsse bedrohte Bürger beschützen, egal, ob sie berühmt sind oder nicht.

In ihrem Fall hätten die Behörden versagt. "Was mir passieren kann, das kann jedem Bürger passieren, der kein Promi ist oder über besondere Verbindungen verfügt", sagte Kellermayr in Bezug auf die Drohungen gegen sie.

Gesundheitsminister Rauch: "Hass muss endlich aufhören"

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) drückte Kellermayrs Familie am Freitag sein Beileid aus. Die Morddrohungen gegen sie und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien "brutale Realität" gewesen. "Hass gegen Menschen ist unentschuldbar. Dieser Hass muss endlich aufhören", sagt Rauch.

"Zutiefst schockiert" zeigt sich die Österreichische Ärztekammer von der Nachricht des Ablebens der Kollegin. Schon seit längerem sei das medizinische Personal in Spitälern und Ordinationen einer stetig steigenden Gewalt ausgesetzt. Der aktuelle tragische Fall zeige einmal mehr die Notwendigkeit der Unterstützung für die im Gesundheitswesen Tätigen, sowohl was den direkten Schutz betrifft als auch Angebote von Supervision und Krisenbewältigung im Falle von Bedrohungen.

Am Montag ist eine Gedenkveranstaltung für Kellermayr in Wien geplant. Daniel Landau, Organisator und Initiator von #YesWeCare, gab auf Twitter bekannt, eine Veranstaltung für 20 Uhr am Stephansplatz angemeldet zu haben. (red, odg, APA, 29.7.2022)