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Eine "massive Bedrohung" Israels durch russische Cyberangriffe befürchtet der führende Russland-Analyst in Israel, Arkady Mil-Man. Der frühere israelische Botschafter in Russland und Regierungsberater in Russland-Fragen glaubt, dass die aktuellen diplomatischen Spannungen zwischen Israel und Russland den Beginn einer längeren diplomatischen Krise markieren. "Das ist nur ein Symptom, wir müssen uns auf mehr einstellen", sagt Mil-Man.

Der gegenwärtige Konflikt wurde durch Russlands Ankündigung ausgelöst, die Niederlassung der Jewish Agency in Russland zu schließen. Moskau schiebt dabei rechtliche Gründe vor. Dass die Agentur Daten von jüdischen Russinnen und Russen sammelt, verstoße gegen das Recht auf Privatsphäre, behauptet das russische Außenministerium. Zuvor hatte Moskau die Niederlassungen einiger renommierter, weltweit agierender NGOs wie Amnesty International schließen lassen. Ausländische Einrichtungen stehen in Moskau unter dem Generalverdacht, antirussische Propaganda zu verbreiten.

Von Russland nach Israel ausgewandert

Israel betrachtet die Schließung der Jewish Agency als schwere Provokation.
Die Agentur ist nicht nur die wichtigste nichtreligiöse Anlaufstelle für russische Jüdinnen und Juden, sie wickelt auch die Auswanderung nach Israel ab. Laut Schätzungen sind seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine über 50.000 russische Jüdinnen und Juden nach Israel ausgewandert. Mehr als 30.000 warten derzeit in Russland auf ihr israelisches Visum.

Die aktuelle Affäre könnte das Ende der bisher sehr guten russisch-israelischen Beziehungen einläuten, befürchtet Mil-Man. Wladimir Putins Generalverdacht gegen ausländische Agenturen richte sich nun immer mehr auch gegen jüdische Institutionen. "Die Juden werden als fünfte Kolonne betrachtet", sagt der Experte, der Antisemitismus in Russland habe seit Kriegsbeginn stark zugenommen. Nicht nur deshalb wandern viele Jüdinnen und Juden aus Russland aus, sondern auch weil "sie Angst haben, dass der Eiserne Vorhang wieder fällt und sie dann nicht mehr hinauskommen".

Gerichtsverhandlung am 19. August

Für die in Russland und unter russischer Besatzung lebenden Jüdinnen und Juden sei es äußerst wichtig, dass sie so schnell wie möglich das Land verlassen können, sagt Mil-Man. Eine israelische Delegation reiste Mittwochabend nach Moskau, um in der Affäre zu vermitteln. Ob sie erfolgreich sein wird, ist fraglich: "Russland hat schon in der Vergangenheit keine Gelegenheit ausgelassen, die Jewish Agency zu kritisieren. Der Druck auf die Agentur wurde immer größer." Offiziell wird die Causa von einem Gericht entschieden, die nächste Verhandlung über die Schließung der Agentur findet am 19. August statt.

Mil-Man, der die Russland-Abteilung im renommierten israelischen Institut für Nationale Sicherheitsstrategien (INSS) leitet, warnt die israelischen Parteien davor, die Affäre im kommenden Wahlkampf zum Thema zu machen und für sich zu nutzen. Falls die Krise mit Russland vor der Wahl öffentlich diskutiert wird, könne das fatale Folgen haben. Konkret warnt Mil-Man vor der Gefahr russischer Cyberattacken, um den israelischen Wahlkampf zu beeinflussen. "Das Beispiel der USA hat gezeigt, dass sie davor nicht zurückschrecken."

Russische Cyberattacken waren in Israel bereits in der Vergangenheit ein Problem, allerdings gab es bisher keine Hinweise auf Wahlbeeinflussung. Sollte Russland im Wahlkampf ein Thema sein, dann steige die Wahrscheinlichkeit für solche Angriffe. "Das ist eine reale Bedrohung für die israelische Demokratie, und die Parteien sollten alles tun, um das abzuwenden", warnt Mil-Man.

Netanjahu kritisiert aktuelle Regierung

Ob er damit Gehör findet, wird sich zeigen. Derzeit sieht es jedenfalls nicht danach aus: Der frühere und mögliche nächste Premierminister Benjamin Netanjahu widmete dem Thema eine eigene Pressekonferenz, um Alarmstimmung zu schüren und seinen stärksten politischen Gegnern, Regierungschef Jair Lapid und Verteidigungsminister Benny Gantz, die Schuld an der aktuellen Krise zu geben.

Er selbst habe stabile Beziehungen mit Russland entwickelt, sagte Netanjahu. "Ich bin besorgt, dass das, was wir jahrelang aufgebaut haben, nun vor unseren Augen untergraben wird." Die aktuelle Regierung, so der rechte Oppositionschef, "gefährdet unsere nationale Sicherheit". (Maria Sterkl aus Jerusalem, 29.7.2022)