Es sei "inakzeptabel", dass ein führender Politiker "den Massenmord der Nazis so leicht herunterspielt", schreibt Lipstadt.

Foto: Reuters / Abdel Hadi Ramahi

Washington/Budapest – Die USA halten die Äußerungen von Viktor Orbán für "unverzeihlich" und verurteilen die Worte des ungarischen Premiers über "Rassenvermischung". Das betonte der US-Außenamtssprecher Ned Price laut Radio Free Europe am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Price zitierte aus der Erklärung der Antisemitismusbeauftragten der US-Regierung, Deborah Lipstadt.

Darin heißt es: "Es ist tief besorgniserregend", dass der rechte nationalistische Ministerpräsident Ungarns eine "Rhetorik verwendet, die eindeutig die Nazi-Rassenideologie heraufbeschwört." Jahrzehnte nach dem Holocaust sei es "inakzeptabel", dass ein führender Politiker "den Massenmord der Nazis so leicht herunterspielt", formulierte Lipstadt.

Aussagen "kulturell und nicht biologisch"

Orbán hatte mit seiner Rede im rumänischen Kurort Baile Tusnad am Samstag und seinen dortigen Aussagen über "Rassenvermischung" sowie einer Anspielung auf die Gaskammern der Nazis im Zusammenhang mit dem Gas-Notfallplan der EU für internationale Empörung gesorgt. Bei einem Besuch bei Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) rechtfertigte sich Orbán mit den Worten, diese seien "kulturell" und nicht "biologisch" zu verstehen. "Es kommt vor, dass ich manchmal missverständlich formuliere", räumte er ein.

Im Zusammenhang mit der Orbán-Aussage hinsichtlich der "Mischrassen" wandte sich unterdessen auch ein syrischstämmiger Ungar an die ungarische Staatspräsidentin Katalin Novák. In einem auf Facebook veröffentlichten Brief stellte Viktor Nassli, der teils syrische, teils ungarische Vorfahren hat, die Frage: "Bin ich auch 'gemischtrassig'?" Müsse er sich dann "als ein andersgearteter Staatsbürger betrachten und deswegen ein äußeres Zeichen oder Symbol zwecks Kennzeichnung tragen"? Weiter hinterfragte Nassli, ob seine Kinder, die bereits nur zu einem Viertel "gemischtrassig" seien, noch als solche gälten? Nassli möchte weiter von Novák wissen, an welches übergeordnete Organ er sich wenden kann, wenn er die öffentlichen Äußerungen Orbáns als "Hetze" gegen seine Person empfindet.

Beschleunigen Aussagen EU-Verfahren gegen Ungarn?

Der liberale Europaabgeordnete Guy Verhofstadt hat in einem offenen Brief an EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola gefordert, den EU-Rechtsstaatsmechanismus (Artikel-7-Verfahren) gegen Ungarn angesichts der jüngsten Aussagen Orbáns nun endlich voranzutreiben. "Das ist ein klarer Bruch mit den Normen und Werten der Europäischen Verträge und erinnert uns an die dunkelsten Tage der europäischen Geschichte", hieß es in Verhofstadts Schreiben, das er auch auf Twitter veröffentlichte.

Der ungarische EU-Abgeordnete Tamás Deutsch warf dem früheren belgischen Premierminister im Gegenzug "Verleumdungen" vor. Bei Verhofstadts Vorwürfen handle es sich um "ungarnfeindliche rassistische Aussagen", so das Urgestein der ungarischen Regierungspartei Fidesz am Freitag auf Facebook.

Beraterin wendet sich doch nicht von Orbán ab

Orbáns Beraterin Zsuzsa Hegedüs, die am Dienstag in einem aufsehenerregenden Schritt aus Protest gegen die Aussagen des Premiers als Beauftragte für die soziale Integration zurückgetreten war, machte unterdessen einen Rückzieher. Aufgrund der Klarstellungen des Regierungschefs bei dessen Besuch in Wien am Donnerstag sei ihr Rücktritt "mittlerweile unbegründet", so die Soziologin in einem offenen Brief, das vom Portal "Mandiner" am Freitag veröffentlicht wurde. Nach ihrer Interpretation hatte sich Orbán von seinen früheren Aussagen in Wien "öffentlich distanziert". "Ich bin stolz auf Dich", schrieb Hegedüs an Orbán. "Du kannst auf meine Hilfe, wie auch in den vergangenen 20 Jahren, immer zählen." (APA, 29.7.2022)