DER STANDARD hat die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zur Finanzierung des ORF zum Anlass genommen, mit Kommunikationswissenschafterinnen und Medienexpertinnen in und außerhalb Österreichs über öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu sprechen. Nach dem ersten Überblick mit Meinungen zahlreicher Forscherinnen veröffentlichen wir die Gespräche vollständig zum Nachlesen. Den Anfang macht Josef Trappel von der Universität Salzburg.
DER STANDARD: Was war Ihre erste Reaktion zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, dass Gratisstreaming der ORF-Kanäle verfassungswidrig ist?
Josef Trappel: Ich war überrascht, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass der Verfassungsgerichtshof noch im Sommer entscheidet. Inhaltlich habe ich aber keine andere Entscheidung erwartet. Die Gebührenpflicht, so wie sie die österreichische Gesetzeslage kennt, erstreckt sich nach meinem Verständnis selbstverständlich auch auf das Streaming.
DER STANDARD: Wie soll der ORF Ihrer Meinung nach künftig finanziert werden?
Trappel: Österreich ist medienpolitisch wieder einmal Nachzügler und kann aus dieser Perspektive schauen, welche Modelle sich in vergleichbaren Kleinstaaten bewährt haben. Die Schweiz hat den Übergang zu einer Haushaltsabgabe gut gemeistert, und die unabhängige Finanzierung der Schweizer SRG ist gesichert. Ein Verfahren, das sich auch in Österreich bewähren würde.
DER STANDARD: Was halten Sie von einer Haushaltsabgabe?
Trappel: Die Haushaltsabgabe folgt derselben Logik wie die Gebühr, allerdings ohne die oft als lästig empfundene Kontrolle durch die GIS. Diese Abgabe würde ebenfalls von einem nichtstaatlichen Unternehmen eingehoben, das gesetzlich dazu ermächtigt wird. Eine Form von GIS bestünde also weiterhin. Da jeder Haushalt und Betrieb mitzahlt, wird die Abgabe für alle billiger. Zusammen mit dem Gedanken, dass der öffentliche Rundfunk eben uns allen gehört, ist die niedrigere Gebühr der größte Vorteil der Haushaltsabgabe.
DER STANDARD: Was spricht für Sie dagegen?
Trappel: Dagegen spricht nicht viel: Auch dass jene bezahlen müssen, die das ORF-Angebot nicht nutzen, spricht nicht gegen die Abgabe. Schließlich profitieren bei einer gesamtgesellschaftlichen Betrachtung auch diese Leute indirekt von den Leistungen des ORF: Das zu vermitteln ist die große Aufgabe der Medienpolitik.
DER STANDARD: Braucht es den ORF bzw. in welcher Form braucht es den ORF heute?
Trappel: Unbedingt. Die digitalen Plattformen bilden einen unguten Resonanzboden auch für die abstrusesten Ideen und Ansichten, die mit der Kraft der Algorithmen in die Öffentlichkeit geschleudert werden. Ein öffentlicher Anbieter ist zusammen mit der Qualitätspresse mehr denn je unverzichtbar. Das hat sich in der Zeit der größten pandemiebedingten Verunsicherung auch an den hohen Vertrauenswerten des ORF gezeigt.
DER STANDARD: Was würden Sie sich von einem neuen ORF-Gesetz wünschen?
Trappel: Das ist eine große Baustelle, auch jenseits der Finanzierung. Zunächst aber, um beim Thema zu bleiben, muss das ORF-Gesetz die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit des ORF sichern. Zusätzlich wird eine Anpassung des Leistungsauftrags an die digitale Umwelt erfolgen müssen.
DER STANDARD: Wie kann man die Politik aus dem ORF hinausbringen?
Trappel: Schwer. Schließlich müssten die gewählten Parteien und die Länder auf einen Teil ihres Einflusses verzichten. Aber das ist ja der springende Punkt: Politische Unabhängigkeit bedeutet redaktionelle Freiheit. Da hat niemand Einfluss zu nehmen. Angesichts des türkisen Desasters im allgemeinen Postenschacher haben viele Bürgerinnen und Bürger begriffen, dass es so nicht weitergehen soll. Vielleicht lässt sich diese Stimmung in der Bevölkerung produktiv für eine Entpolitisierung des ORF nutzen.
DER STANDARD: Nutzen Sie persönlich ORF-Programme?
Trappel: Ja, die blauen ORF-Seiten im Internet mehrmals am Tag, und ich höre auch viel Radio. Für Fernsehen bleibt mir wenig Zeit.
(Astrid Wenz, 31.7.2022)