Ende April war es so weit: Fabrice Leggeri trat von seinem Amt als Direktor der EU-Grenzschutzbehörde Frontex zurück. Viel zu spät, monierten viele, stand er zuvor schon jahrelang in der Kritik, weil seine Behörde offenbar in Pushbacks hunderter Flüchtlinge und Migranten involviert war – die asylrechtlich verbotene Zurückweisung von Schutzsuchenden an der Grenze.

Hier kontne geholfe werden: Die Organisation Sea-Watch im Mittelmeer.
Foto: Reuters/SEA-WATCH/NORA BORDING

Dass Leggeri tatsächlich den Schlussstrich zog, lag unter anderem an den drei Medien Der Spiegel,Le Monde und Lighthouse Reports, die hartnäckig Missstand um Missstand aufdeckten. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch ein Untersuchungsbericht der EU-Antibetrugsbehörde Olaf, der Leggeris Machenschaften unter die Lupe nahm. Was darin stand, blieb lange geheim – bis das genannte Medientrio nun Details daraus publizierte.

Und die haben es in sich: So ist belegt, wie Frontex gezielt wegsah, wenn griechische Behörden Pushbacks durchführten. In einem Fall vom 5. August 2020 wurde eine Zurückweisung sogar live in die Warschauer Frontex-Zentrale gestreamt, doch unternommen wurde nichts. In anderen Fällen zog die EU-Behörde sogar Patrouilleflugzeuge ab, um nicht wieder Zeuge von Menschenrechtsbrüchen zu werden.

EU-Gelder für Pushbacks

Hinzu kommt: Die griechische Küstenwache setzte laut Bericht Schiffe für Pushbacks ein, die von Frontex mitfinanziert wurden – im Endeffekt europäisches Steuergeld.

All dies vertuschten Leggeri und seine Gefolgsleute und belogen dabei laut Bericht sogar das EU-Parlament. Zu diesem Bild passt, dass Menschenrechtsbeauftragte innerhalb von Frontex bei der Arbeit behindert oder in Whatsapp-Nachrichten gar mit dem kambodschanischen Diktator Pol Pot verglichen wurden.

Leggeris interimistische Nachfolgerin, Aija Kalnaja, hat den Olaf-Bericht eigenen Angaben zufolge gar nicht gelesen. Sie will noch mehr Beamte entsenden, um der griechischen Küstenwache zu helfen. Dabei wäre sie laut Frontex-Regularien verpflichtet, eine Mission sofort abzubrechen, wenn es dabei zu Grundrechtsverletzungen kommt – was in der Ägäis auch heute noch der Fall ist, wie Videos und Zeugenaussagen belegen.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock beim griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis.
Foto: AFP/LOUISA GOULIAMAKI

Baerbock will Aufklärung

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat am Donnerstag und Freitag Griechenland besucht. Bei der Visite eines Frontex-Büros in Piräus forderte sie, Pushbacks systematisch aufzuklären. Dabei hat der Olaf-Bericht schon vieles ans Tageslicht gebracht. Nun läge es an der dafür zuständigen EU-Kommissarin Ylva Johansson, Konsequenzen zu ziehen.

Sie könnte Athen Gelder von mehreren Hundert Millionen Euro kürzen, die für das Management von Migration gedacht sind. Oder sie könnte auch ein EU-Vertragsverletzungsverfahren einleiten.

Dass bisher nichts davon geschah, könnte laut dem Bericht der drei Medien an Margaritis Schinas liegen. Der Vizepräsident der EU-Kommission ist Parteifreund seines Landsmanns, des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, und soll bei politisch heiklen Angelegenheiten gerne seinen Einfluss geltend machen. (Kim Son Hoang, 30.7.2022)