Für den Besuch ihres wiedereröffneten Lieblingsclubs hat sich Beyoncé eine ideale Dienstkleidung ausgesucht. Immerhin geht es zurück in die 1970er-Jahre, ins legendäre New Yorker Studio 54.
Foto: Sony

Sechs Jahre sind seit ihrem letzten großen Soloalbum Lemonade vergangen. Damals beschäftigte sie sich mit Zeitungsschlagzeilen, Alltagsrassismus und der Lage des Landes. Danach veröffentlichte sie "afrikanische" Postkarten-Idyllen für Disney in Gestalt des Soundtracks für The Lion King und den arg verkitschten Black Panther-Tribut Black Is King. Nun reitet Beyoncé in für das Clubbing geeigneter Badekleidung auf einem Glaspferd zurück in die Disco.

Das Cover ihres neuen Albums Renaissance verweist auf die legendäre Geburtstagsparty von Rockstargattin Bianca Jagger im berühmten New Yorker Club Studio 54 am 2. Mai 1977. Allerdings fehlt auf Beyoncés Cover ein wichtiges Detail. Das Pferd mit Bianca obendrauf wurde damals von einem nackten Schnauzbartmann namens Hugo in den Saal geführt. Wenn da nicht ihre Verbindungen zu sittlich gefestigten Konzernen wie Disney oder Sony wären, dann wäre auf dem Cover so ein sexy Stallknecht thematisch durchaus drin gewesen.

Das Revier markieren

Gleich im ersten Stück I’m That Girl wird Tacheles geredet und das Wort "Motherfucker" inflationär wiederholt. Es geht in dieser rotzfrechen, aber gesanglich recht schwülstigen und rhythmisch zwischen Maschinenpistolengeknatter herumtorkelnden Selbstermächtigungsballade immerhin darum, dass sich unsere resolute Multimillionärin – mit einem echten Straßenrapper namens Jay-Z zu Hause – aber schon rein gar nichts von irgendwelchen "Zuhältern" und anderen "Huren" und "Ludern" gefallen lässt. Beyoncé hat nämlich unten im Höschen einen geilen Po hängen, der geschüttelt werden will. Verhaftet sie, aber: "Meine Liebe ist meine Schwäche." Das Revier ist damit nach dreieinhalb Minuten markiert. Starke Ansage.

Beyoncé dazu: "Meine Absicht war es, einen sicheren Ort zu schaffen, einen Ort ohne Urteil. Einen Ort, an dem man frei von Perfektionismus und Überlegungen ist. Einen Ort, an dem man schreien, loslassen und Freiheit spüren kann. Ich hoffe, ihr findet Freude an dieser Musik und sie inspiriert euch dazu, mit dem Hintern zu wackeln und euch so einzigartig, stark und sexy zu fühlen, wie ihr seid."

BeyoncéVEVO

Der Albumtitel Renaissance bezieht sich nicht etwa auf ihre Urlaubsreise vor einigen Jahren nach Florenz und ihren Besuch der Uffizien. Die knausrigen Italiener wollten ihr übrigens damals Michelangelos David nicht um die Burg verkaufen. Dabei hätte er so gut ins Vorzimmer gepasst. Schmäh. Es handelt sich bei dieser einstündigen Tour de Force durch die 16 Songs von Renaissance tatsächlich nicht um Kunstgeschichte, sondern um eine Wiedergeburt durch Strahlentherapie mit Discokugel.

Nach den Jahren der häuslichen Klausur geht es endlich wieder in die Clubs. Das Beste, das wir jetzt tun können, ist tanzen. Reine verschwitzte Körperlichkeit wird in Stücken wie Cuff It verhandelt. Zärtlich wird da die männliche "Hydraulik" während eines nächtlichen Ausritts geknufft, bevor sie ausgequetscht wird. Als Gast steuert zu dieser klassischen Disco-Nummer aus den 1970ern eine Genregottheit Gitarrenlicks bei, Nile Rodgers von Chic (Le Freak, 1978), eine der meistgesampelten und -kopierten Bands der Geschichte. Sheila E. von der alten Prince-Band The Revolution wurde für einen Perkussionsbeitrag ebenfalls eingeflogen. US-Streaming-Superstar Drake war auch an Bord. Gatte Jay-Z, Skrillex oder The Neptunes produzierten die Stücke. Man gönnt sich ja sonst nichts.

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Auch im phänomenalen Song Alien Superstar werden die Music-Lovers dieser Welt tatsächlich mit Opulenz überfahren und aufgegamselte Schleckerbussis verteilt. Abgesehen davon, dass im Stück Move neben der jungen nigerianischen Sängerin und Produzentin Tems Studio-54-Veteranin Grace Jones höchstselbst für einen Gastbeitrag vorbeischaut, handelt es sich bei Alien Superstar um eine hart pumpende Hommage an die jamaikanische Disco-Königin der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre. Ein Höhepunkt eines Albums, das die Geschichte der Tanzmusik und die Freuden diverser körperlicher Betätigungen in abgedunkelten Räumen verhandelt.

Selbst in Stücken wie Church Girl oder America Has a Problem wird nicht etwa des lieben Herrn Jesus oder ehemaliger US-Präsidenten gedacht, sondern Erlösung von dem Bösen in der Körpermitte gesucht.

Leicht gequälter Gesang

Beyoncé hat über die Jahre das Rappen für sich entdeckt. Das wird 2022 intensiv eingesetzt, was der Hochleistungsschau zwischen Hip-Hop, House, Disco und ein klein wenig Eurotrash im Wesentlichen guttut. Leider wird ihrem immer etwas gequält klingenden Divengesang weiterhin zu viel Platz eingeräumt. Das Album endet in Summer Renaissance mit einem Sample von Donna Summers I Feel Love. Wenn Beyoncé nicht dazu extemporieren würde, könnte man meinen, dass gleich Right Said Fred mit I’m Too Sexy in der Disco einlaufen werden. (Christian Schachinger, 30.7.2022)