Cranach d. Ä. zeigte die sonst überhöhte Madonna schlicht.
Foto: Johannes Plattner / TLM, Dompfarre St. Jakob Innsbruck

Die unerhörte Zartheit und Glätte der Haut, die mit feinst gemahlenem Pigment extrem dünn ausgeführte Malerei, die emailleartige Wirkung der roten und blauen Stoffe des Marien-Gewands: kann man sonst nur aus der Ferne erahnen. Das Gnadenbild Mariahilf von Lucas Cranach dem Älteren hängt normalerweise am Hochaltar des Innsbrucker Doms zu St. Jakob. Es ist eine der bekanntesten und meist kopierten Marien-Darstellungen im süddeutschen Raum, aber es gibt kaum je die Gelegenheit, das um 1537 entstandene Original aus nächster Nähe zu betrachten.

Es ist also keine Übertreibung, wenn jetzt von einer "Jahrhundertchance" die Rede ist, denn die berühmte Cranach-Madonna verlässt ihren angestammten Platz höchst selten – von einer spärlich dokumentierten, aber zweifellos abenteuerlichen Evakuierungsaktion während der Bombardierungen Innsbrucks im Zweiten Weltkrieg einmal abgesehen.

Frau mit transparentem Schleier

Die aktuellen Gründe für den Ausflug Mariens in weltliche Gefilde sind trivialer: Der Dom wird derzeit saniert, das Gnadenbild wurde deshalb zuerst ans Innsbrucker Stadtmuseum, jetzt ans Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum ausgeliehen. Dort ist es nun Auf Augenhöhe zu sehen, so der Titel einer kleinen Präsentation, die sich auch der Verbreitung und kultischen Verehrung des Motivs widmet. Um es zu finden, muss man nicht einmal zwingend ins Museum gehen, mit der Cranach-Madonna sind auch zahlreiche Häuser in der Innsbrucker Altstadt verziert. In den Museumsvitrinen tummeln sich auch mit dem Motiv versehene Andachtsbilder, Uhren, Schnupftabakdosen, Kuhglocken und sogar aus Bein geschnitzte Löffel.

Die Verehrung der auf eine dünne Buchenholztafel gemalten Madonna mit Kind mag typisch katholisch sein, hat aber eigentlich reformatorische Wurzeln. Cranach, ein Freund Martin Luthers, stellte sie nicht als überhöhte Heiligenfigur dar, sondern als lediglich mit einem transparenten Schleicher bedeckte Frau aus dem Volk, der sich das Kind schutzsuchend zuwendet. Mit der Schlichtheit war es später allerdings nicht mehr weit her: Zahlreiche Kopisten haben Mutter und Kind prunkvolle Kronen aufgesetzt.

Gemalt hat Cranach das Gnadenbild einst für den sächsischen Hof in Dresden, in dessen Kunstkammer es aufgestellt wurde. Als Geschenk an Habsburgs Erzherzog Leopold V. gelangte es Anfang des 17. Jahrhunderts zunächst nach Passau, und als Leopold zum Tiroler Landesfürsten ernannt wurde, nahm er das Bildnis 1625 mit nach Innsbruck. Während des Dreißigjährigen Kriegs wurde es bei Marienandachten öffentlich angebetet – der Beginn einer bis heute andauernden Karriere als vielfach kopiertes Andachts- und Wallfahrtsbild.

Rauf aufs Baugerüst!

In Innsbruck kommt man derzeit aber nicht nur der berühmten Cranach-Madonna ungewöhnlich nahe, sondern auch den vom bayerischen Künstler Cosmas Damian Asam geschaffenen, spätbarocken Deckenfresken im Dom. Wer will, kann das zur Innensanierung des Doms aufgestellte Gerüst erklimmen und entdeckt hoch droben unter anderem eine Szene des Freskenzyklus, in der der Kirchenpatron Jakobus auf einen Marienaltar weist: eine Anspielung auf die berühmte Cranach-Madonna im Hochaltar. (Ivona Jelcic, 31.7.2022)