Im Jahr 2007 war die Welt noch in Ordnung. Der Energiemarkt boomte, Versorgung und günstige Preise schienen dauerhaft gewährleistet. Eine damalige Festschrift zur Eröffnung des Gasspeichers Haidach strotzt nur so vor feierlichen Worten. Eine "Bilderbuchlagerstätte" sei das, liest man da, die "einen wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit Europas" leiste. Gelobt wird auch die "sehr gute internationale Zusammenarbeit" mit der russischen Gazprom.

Von all dem ist keine Rede mehr, seit Russland Ende Februar die Ukraine überfallen hat. Haidach, der zweitgrößte Gasspeicher Mitteleuropas unter der Ägide Gazproms, ist stattdessen zum Problemfall geworden. Zum Symbol für die Abhängigkeit von Russland. Zum Streitobjekt zwischen Österreich und Bayern – denn München fürchtet, Wien könne Gas aus Haidach für sich selbst abzweigen.

Die Geschichte von Haidach erzählt viel über die Energiekrise und die enge Partnerschaft zwischen Österreich und Russland, die unter anderem den Boden dafür bereitet hat.

Haidach, der zweitgrößte Gasspeicher Mitteleuropas unter der Ägide Gazproms, ist zum Problemfall geworden.
Foto: APA / Barbara Gindl

Nahe der Gemeinde Straßwalchen, im Norden Salzburgs, befindet sich ein ehemaliges natürliches Erdgasreservoir, entdeckt im Jahr 1997, das sich bestens als Speicherstandort eignet. Die potenzielle Speicherkapazität ist riesig: 2,6 Milliarden Kubikmeter, das entspricht einem Drittel des Fassungsvermögens aller heimischen Speicher zusammen.

Wenig Interesse

Um die Jahrtausendwende entstand deshalb der Plan, in Haidach einen Speicher zu errichten. Das Problem: Es gab keine Nachfrage. Österreichs Energieunternehmen hatten schon mehr als genug Speicher für ihre Kunden, weil es hierzulande viele gut dafür geeignete Orte gibt. Das rief einen ausländischen Konzern auf den Plan, ohne den Haidach wohl nie errichtet worden wäre: Gazprom. Der Staatskonzern suchte nach Möglichkeiten, seine exportierten Gasreserven nahe an den Endkunden in Westeuropa zu lagern.

Gazprom wollte damit gewappnet sein für den Fall, dass Pipelines in den Westen ausfallen – dann hat man vor Ort bereits Reserven. Überdies schwang bei den Russen geopolitisches Kalkül mit: Sollte es etwa mit der Ukraine zum Streit um die Durchleitung von Gas kommen – wie es 2009 tatsächlich geschah –, steht Russland stärker und verlässlicher da, wenn es über volle Lager im Westen verfügt.

Versorgungssicherheit

Aus diesen Gründen legte sich Gazprom zu dieser Zeit nicht nur in Haidach Speicherplatz zu, sondern etwa auch in Deutschland, Tschechien und Serbien. Die Gazprom-Pläne schienen Europas Versorgungssicherheit zu erhöhen. Sie wurden deshalb "recht positiv aufgenommen", erklärt Carola Millgramm, Chefin der Gas-Abteilung der Regulierungsbehörde E-Control, in Petajoule, einem Podcast der Österreichischen Energieagentur.

Was aber tun mit dem vielen neuen Speichergas, an dem in Österreich kein Bedarf besteht? Haidach wurde konzipiert, um den süddeutschen Raum zu versorgen, speziell die gasintensiven Chemiebetriebe Bayerns. Der Speicher ist, wenn man so will, ein Stück deutsche Gasinfrastruktur, das sich aufgrund geografischer und geologischer Bedingungen auf österreichischem Boden befindet. Nur wenig Gas fließt – via Deutschland – weiter nach Tirol und Vorarlberg. Zum ostösterreichischen Gasnetz hat Haidach nicht einmal eine Anbindung.

"Vermarktung" der Speicher

Technisch betrieben wird die Anlage von der RAG Austria AG (Rohöl-Aufsuchungsgesellschaft), die mehrheitlich der niederösterreichischen EVN gehört und über eine Lizenz zum Betrieb von Gasspeichern verfügt.

Bundespräsident Van der Bellen besichtigte den Gasspeicher.
Foto: APA / Bundesheer / Carina Karlovits

Die wirtschaftlichen Betreiber jedoch sind zwei Auslandstöchter der Gazprom, GSA und Astora. Die beiden "vermarkten" die Speicher, wie man in der Branche sagt. Sie vermieten also Speicherplatz an Interessenten. Vermutlich – genau weiß man das nicht – handelt es sich bei einem wichtigen Mieter um Gazprom selbst.

Alles lief glatt – bis zum Jahresende 2021. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Füllstände im – bisher stets gut gefüllten – Haidach sukzessive niedriger. Am 29. März 2022 schließlich, einen Monat nach Beginn des Überfalls auf die Ukraine, war einer der beiden Großspeicher, jener der GSA, vollständig entleert.

Füllstand: 0,0 Prozent

Gazprom setzt also heute seine Speicher als Waffen ein, um die Gaspreise in die Höhe zu treiben und die Europäer im Ukraine-Krieg zum Einknicken zu zwingen. Was dagegen tun? In den vergangenen Monaten arbeitete die Regierung in Wien an neuen Gesetzen, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Eines davon ist eine sogenannte Use-it-or-lose-it-Klausel bei Gasspeichern. Das Grundprinzip: Wer seine Speicher nicht füllt, verliert die Nutzungsrechte.

Und so geschah es. Mit 1. August startet nun die Befüllung des Speichers Haidach. Dafür verantwortlich ist nunmehr nicht mehr die Gazprom-Tochter GSA, der dieses Recht entzogen wurde, sondern vorübergehend die Regulierungsbehörde E-Control. Sie sucht nun nach einspeicherwilligen Unternehmen oder anderen Akteuren.

Einen davon kennt man bereits: die Republik Österreich. Sie wird einen Teil ihrer neuen strategischen Gasreserven, die zur Krisensicherung angekauft werden, in Haidach einlagern. Haidach spielt eine wichtige Rolle beim Plan der türkis-grünen Regierung, bis Winterbeginn die Füllstände von Österreichs Speichern auf insgesamt 80 Prozent zu bringen. Zu diesem Zweck soll der Speicher auch rasch ans österreichische Netz angeschlossen werden. Denn im Notfall soll das Gas über eine stabile Verbindung Richtung Ostösterreich fließen können.

Bayern protestiert

Es gibt jedoch einen Protagonisten, den Österreichs neues Interesse an Haidach verstört: Bayern. "Wir beobachten die Entwicklungen mit großer Sorge", sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Montag – und appellierte an seine eigene Bundesregierung in Berlin, "zu sagen, wann und wie viel Gas aus Haidach nach Bayern fließt".

Ein einstiges Vorzeigeprojekt wurde also zum Streitfall, ein Bilderbuch zum Lehrbuch über Energieknappheit. Über Haidach wird man in den kommenden Monaten garantiert noch viel hören. (Joseph Gepp, 30.7.2022)