Das Urteil war mit großer Spannung erwartet worden. Am Freitag wurde Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache vom Vorwurf der Bestechlichkeit freigesprochen – im Zweifel. Weder habe der ebenfalls angeklagte Unternehmer Siegfried Stieglitz den Politiker mit seiner Spende an einen FPÖ-nahen Verein und Einladungen zu seinem Geburtstagsfest in Dubai und in ein Wiener Eventlokal, die Strache nicht wahrnahm, bestochen, auf dass er in den Asfinag-Aufsichtsrat kam, noch habe sich Strache bestechen lassen.

Die Richterin ging davon aus, dass die Motivation von Stieglitz sehr wohl in seiner Freundschaft zu Strache begründet gewesen sei.
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Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sah es gemäß ihrem Plädoyer dagegen für nachgewiesen an, dass "Netzwerker" Stieglitz aus Eigeninteresse gehandelt und Amtsträger Strache nicht aus Freundschaft eingeladen habe. Nein, es habe sich da um eine "Zweckgemeinschaft" gehandelt. Ein Freund, so argumentierte der Staatsanwalt sinngemäß, hätte das nie getan, ein Freund würde einen Freund nicht in Schwierigkeiten bringen.

Die Richterin sah es anders. Sie ging davon aus, dass die Motivation von Stieglitz sehr wohl in seiner Freundschaft zu Strache begründet gewesen sei. Von den Spenden habe Letzterer (im Zweifel) nichts gewusst, und für die Aufsichtsratsbestellung sei er nicht zuständig gewesen. Dass Stieglitz intensiv wegen des Aufsichtsratsjobs intervenierte, sei zwar "unschön" gewesen, aber nicht strafrechtlich relevant.

Viel Abstand stünde Politikern gut an

Diese – nicht rechtskräftige – Entscheidung einer unabhängigen Richterin ist zu akzeptieren. Auf einem ganz anderen Blatt steht die Frage, ob Politiker Strache und sein Freund, der ehrgeizige Unternehmer, anständig gehandelt haben. Es könne doch nicht sein, dass Einladungen an Politiker verboten seien, argumentierte der Verteidiger von Stieglitz. Stimmt, verboten sind sie nicht, aber Politikern stünde Distanzgewinnung gut an. Abstand wäre angesagt, viel mehr Abstand.

Kleine Geschenke, auch in Form von Einladungen, erhalten nicht die Freundschaft, sondern lassen den Anschein von Korruption entstehen. Wann immer Amtsträger tätig werden, gibt es keine Freundschaft, da gilt es nur, Abstand zu halten. Das sollte schön langsam auch Österreichs Politikpersonal beherzigen. Erst recht nach der türkis-blauen Ära, in der der Machterhalt durch "steuerbare" Steigbügelhalter (fast) perfektioniert wurde.

Gut, dass das Gericht Angeklagte im Zweifel freispricht, wie es die Rechtsordnung vorsieht. Aber Anstand und Moral standen nicht vor Gericht, über sie wurde nicht verhandelt. (Renate Graber, 29.7.2022)