Die Lavendelernte hat heuer früher begonnen. Die Trockenheit setzt Pflanzen und Bauern zu.

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Die Sonne sinkt auf der Hochebene von Valensole. Nach einem glühend heißen Nachmittag frischt endlich der Mistral auf. Der Nordwind bringt als kleines Geschenk der Natur ebenso frische Gerüche mit sich – von den violetten Lavendelfeldern rundherum.

Es ist ein herrlicher Duft. Rémi Angelvin riecht ihn längst nicht mehr, wie er lachend eingesteht. "Ich bin wie Obelix als Kleinkind in den Kessel gefallen, wobei der Zaubertrank aus Lavendel bestand", scherzt der stämmige Provenzale mit dem lokalen Akzent, während er zum Feierabend noch ein paar Maschinen einfettet, um frühmorgens bereit zu sein für die Ernte.

Hier in der Hochprovence brachten die Bauern den Lavendel seit jeher im August oder September ein. Mit dem Klimawandel findet die Ernte immer früher statt. "Das wäre nicht weiter schlimm, wenn es nur endlich regnen würde!", klagt Rémi Angelvin. Seit Dezember hat die Region zwischen Côte d’Azur und Voralpen keine anhaltenden Niederschläge mehr erlebt. "Das stresst die Pflanzen und zieht Schädlinge an", sagt der Lavendelzüchter. "Vor allem die Cicadelle (Zwergzikade) setzt dem Lavendel zu. Aber die Trockenheit schlägt dieses Jahr alles.

"Langsam befürchte ich, dass einzelne Stauden eingehen und nächstes Jahr nicht mehr blühen. Es wäre das erste Mal, dass ihr Zehnjahreszyklus unterbrochen wird." Das erste Mal in fast einem Jahrhundert: Die Angelvins bewirtschaften das Gut in vierter Generation.

Ertrag geht zurück

Bevor es eindunkelt, sucht Rémi noch kurz die Brennerei auf, wo das ätherische Öl aus den Lavendelstauden destilliert wird. Der Landwirt öffnet einen Hahn und lässt die bleichgelbe Flüssigkeit in einen Bottich laufen. Ein Rinnsal. "Ich bin als Landwirt daran gewöhnt, dass der Ertrag nicht jedes Jahr gleich ausfällt. Aber so wenig wie heuer gab es noch nie", sagt der Lavendelzüchter, der die heurige Produktion auf 60 Prozent früherer Jahre schätzt. Das verdirbt sogar einem fidelen Charakter wie ihm die gute Laune. "Wenn wir nur noch 50 Prozent einfahren, können wir den Laden dichtmachen."

Lavendel-Bauer Rémi Angelvin destilliert Öl aus den Blüten.
Foto: Brändle

Im Verkaufsladen bedient Rémis Frau Laetitia Kunden aus allen Ländern und Kontinenten. Sie wissen nichts von den Sorgen der Familie und kaufen die duftenden Produkte – Öle, Cremes, Seifen, Geruchssäcklein, Parfums, Bügelstärke, Kosmetika oder Sprays. Die Ladenschlusszeit ist schon vorbei und Laetitia müde vom langen Tag. "Und jetzt will uns die EU auch noch den Verkauf dieser Produkte verbieten", bricht es aus ihr hervor.

Ihre Feststellung mag übertrieben klingen. Tatsache ist, dass Brüssel im Hinblick auf den europäischen Green Deal die Direktiven Reach und CLP verschärfen will. Ziel ist es, die Konsumenten besser vor chemischen Substanzen zu schützen. "Dabei ist Lavendelöl eine völlig natürliche Substanz", sagt Laetitia. "Und durch reine Destillation erzeugt, ohne jeden Zusatz."

EU will Spielregeln verändern

Die EU will aber die "huiles essentielles", also die ätherischen Öle, teilweise wie chemische Stoffe behandeln. Eines der 600 – natürlichen – Moleküle im Lavendelöl, das zum Beispiel auch in Orangenschalen vorkommt, ist der Duftstoff Linalool, der potenziell Allergien verursachen kann. "Das gilt auch für zahlreiche andere Stoffe, die die Natur hervorgebracht hat", sagt Philippe Soguel vom Lavendel-Berufsverband PPAM und Züchter aus dem Drôme-Gebiet. "Keine wissenschaftliche Studie hat jemals eine gesundheitsschädigende Wirkung des Lavendels belegt." Die EU will die Lavendelbauern dennoch zu teuren Tests zwingen – und vermutlich auch zur Anbringung eines kleinen Totenkopfs auf den Etiketten der Lavendelöle. Das soll auf eine potenzielle Gefährdung hinweisen. "Als wäre schon mal jemand an Lavendel gestorben!", ereifert sich Soguel am Telefon. "Dieses Öl enthält auch keine endokrinen Disruptoren oder anderen potenziell krebserregenden Stoffe."

Frankreichs Lavendelbauern – die mit Abstand größte Zunft vor der bulgarischen oder italienischen Konkurrenz – beginnen nun zu mobilisieren. In einer Petition verlangen sie, dass der natürliche Charakter von Aromastoffen, Rinden oder Pflanzen anerkannt wird. Nur so sei gewährleistet, dass sie nicht kollaterale Opfer der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie würden und plötzlich wie Erdöl unter chemische Substanzen fielen.

Kulturerbe als Lösung

Dieser Tage haben die drei südfranzösischen Departements Vaucluse, Drôme und Alpes-de-Haute-Provence eine Aktion gestartet, um die Lavendeltradition in das Weltkulturerbe der Unesco einzuschreiben. Das soll eine Schutzwirkung ausüben: "Wenn ein Kulturerbe einmal anerkannt ist, wird niemand mehr sein Verschwinden zulassen", erklärte Branchenvertreter Francis Vidal. "Alles wird gemacht, um es zu bewahren und ihm zu helfen."

Laetitia und Rémi Angelvin trauen der Sache nicht ganz. Sie beginnen wie andere Lavendelproduzenten zu diversifizieren und experimentieren mit dem Anbau von Salbei. Nachbarn versuchen es mit Thymian, der wie viele Provence-Kräuter mit sehr wenig Wasser auskommt. Nur würde es dann im Sommer nicht mehr so frisch riechen, wenn der Mistral über die Hochebene von Valensole bläst. (Stefan Brändle aus Paris, 30.7.2022)