Türme aus Geld: Die Hyperinflation hatte Deutschland in den 1920ern im Griff.

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Im Laufe der Zeit dämmerten Anna Eisenmenger die dramatischen Verluste, die Inflation und Währungsreformen ihrer Familie bescherten. "Alle, die nicht schlau genug waren, die verbotenen, stabilen Fremdwährungen oder Gold zu horten, haben ausnahmslos Verluste erlitten", resümierte sie 1924. Und ärgerte sich, denn sie hätte es in der Hand gehabt, zumindest einen Teil des Vermögens zu retten.

Anna Eisenmenger war eine typische Hausfrau des gehobenen Mittelstandes. Bis zum ersten Weltkrieg lebte sie mit ihrer Familie beschaulich und finanziell scheinbar abgesichert in einer stillen Seitengasse eines bürgerlichen Wiener Bezirks. Der bereits verstorbene Ehemann war ärztlicher Leiter in einem Wiener Krankenhaus gewesen. In der großen Wohnung wohnten bis zu acht Personen – Dienstbote anfangs inklusive. Man war am habsburgischen Kaiserhaus orientiert ohne fanatisch zu sein. Tagespolitik interessierte nicht so sehr, eher interessierten die schönen Dinge des Lebens: Theaterbesuche, gepflegte Gesprächen bei Tisch, Musizieren mit der Familie.

Tagebücher geben tiefe Einblicke

Dass diese Frau bei Ökonomen und Wirtschaftshistorikern zu einer Berühmtheit wurde, ist darauf zurückzuführen, dass sie Tagebuch führte. In den Jahren 1914 bis 1924 notierte sie fein säuberlich die Preissteigerungen bei Lebensmitteln und die Kosten für das tägliche Leben. Da klagte sie über die Schwierigkeiten, einen Haushalt zu führen und alle satt zu kriegen. Und sie beschrieb, wie das ansehnliche Vermögen der Familie im Laufe der Zeit zerbröselte. Denn die Inflation war wie eine Hochwasserkatastrophe, die nichts ausließ. Je länger der Krieg dauerte und je mehr sich die Geldentwertung hochschraubte, desto verbitterter wurden ihre Aufzeichnungen, auch wegen kriegsbedingter familiärer Schicksalsschläge.

Es sind zehn Tagebücher, eigentlich Kalender, in denen Eisenmenger regelmäßig Notizen machte. In den 1930er Jahren wurden die Bücher vom Deutschen ins Englische übersetzt und danach – gestrafft und teilweise in einen historischen Kontext gesetzt – von Ray Long & Richard R. Smith, New York, herausgegeben. Der Verlag widmete das Buch "Allen Frauen dieser Welt". Getitelt wurde es etwas zufällig mit "Blockade".

Aufkommen der Schleichhändler

Während des Kriegsregimes zwischen 1914 und 1918 wurden Rationierungskarten ausgegeben, die es erlaubten, zu einem fixen niedrigen Preis eine angegebene Menge an Lebensmitteln zu erwerben. Das war aber viel zu schmal bemessen. "Da muss man ja hungern!", klagte die Witwe. Schleichhändler boten ihre Dienste an und verlangten das Fünf- bis Sechsfache von dem, was offizieller Preis war. Das war zwar verboten, aber viele Menschen kauften dort ein, wo es noch Angebot gab. Auch, wenn sie ihre Ersparnisse dafür angreifen mussten.

Am Anfang bemühte sich Eisenmenger, strikt nach Vorschrift zu wirtschaften. Sie hamsterte nicht und sie machte keine Einkaufstouren ins Umland. Noch zu Lebzeiten ihres Ehemannes hatte dieser Lebensmittelgeschenke, die ihm als Wiener Spitalsarzt angeboten wurden, aus Prinzip abgelehnt. Das war gegen sein ärztliches Ethos – und diese Haltung übernahm sie, anfangs.

Kapitalkontrollen und hohe Gebühren

Besonders was die Finanzkontrollen betraf, hielt sich Anna Eisenmenger weitestgehend an die vielen, sich verschärfenden Regeln. Zuerst gab es abschreckend hohe Gebühren für gewisse Kapitaltransaktionen und Wechselgeschäfte. Dann kamen Kapitalkontrollen, später Verbot eines Transfers von Geld ins Ausland. Viele Bürger hielten sich nicht daran. Es war "eine Flucht der inländischen Währung" zu beobachten, wie die Neue Freie Presse am 29. März 1923 berichtete.

Auch Eisenmenger hätte die Möglichkeit dazu gehabt. Ihr Gatte hatte ihr ein ansehnliches Sparbuch und Staatsanleihen vermacht. Dieses Vermögen war ihr scheinbarer Rückhalt. Am 26. Oktober 1918 beschreibt sie, wie sie eine größere Summe Kronen behob und der langjährige, ihr vertraute Bankbeamter leise riet, das abgehobene Geld doch in Schweizer Franken umzuwechseln. "Aber das ist doch verboten!", notierte sie am Abend empört. Wie automatisch nahm sie an, dass die Versprechen, die mit ihrer Anlage einherging, halten würden. Ein fataler Irrtum.

Aktien als erhoffter Ausweg

Schon bald danach, nämlich am 15 Dezember 1918, beschreibt sie lebendig, wie sie in der großen Kassenhalle ihrer Bank – man sieht vor dem geistigen Auge förmlich das ehemalige Creditanstalt-Gebäude am Ring – darauf wartet, dass ihr altes Geld in neues umgetauscht würde. Da sie den früheren Tipp ihres Bankbeamten, ausländische Währung zu kaufen, abgeschlagen und so herbe Verluste erlitten hatte, nahm sie nun seinen nächsten Rat an. Von dem eingetauschten Restgeld kauft sie Aktien von Firmen, die an der österreichischen Börse notieren. Anfangs stiegen die Aktien ja, aber als der österreichische Börsenmarkt 1924 in sich zusammenfiel, verlor Eisenmenger das Familienvermögen.

Auch als Hausfrau lief nichts glatt. Viele Händler und Bauern nahmen keine Geldscheine. Der informelle Handel rutschte in einen Austausch Ware gegen Ware. Anfangs zahlte sie mit den Zigarren, die der verstorbene Gatte hinterlassen hatte; aber die hielten nicht lange vor. "Ich brauche neue Einkommensquellen", schreibt sie einmal. Die Tochter bekam einen kleinen Job und Eisenmenger vermietete ein Zimmer ihrer Wohnung. Als die Preise schwindelerregend stiegen und die Familie nicht ausreichend ernährt werden konnte, begann sie Hamstertouren. Sie fuhr zu Bauern im Wiener Umland. Ihre Käufe muss sie verschämt über Feldwege und Äcker zum Zug schleppen, denn die Polizei kontrolliert solche Ausflüge und bestrafte auch hamsternde Hausfrauen. (Johanna Ruzicka, 31.7.2022)