Im Gastblog reflektiert Bernhard Jenny über die moralische Verantwortung von jenen, die aus der Politik ausscheiden.

Dass es mit dem Wahrheitsgehalt von öffentlichen Statements nicht unbedingt weit her ist, davon ist im Falle des "unheiligen" Sebastian selbst die WKSTA überzeugt. So weit, so schlecht.

Dass selbst hartgesottene Journalistinnen und Journalisten kürzlich beim "Salzburg Summit" der Industriellenvereinigung samt edlem Empfang sich in einer Zeitreise vermuten mussten, weil dort praktisch die gesamte türkise Ex-Politik quietschvergnügt ins Blitzlicht marschierte, geriet zu einer ernsthaften Konkurrenz für jedes Gruselkabinett oder Geister-Praterfahrgeschäft.

Sebastian Kurz will nicht mehr in die Politik - doch ist er überhaupt aus dieser ausgeschieden?
EPA/ANTHONY ANEX

Netzwerk der Ex-Politik

Dass die Interessensvertretung der österreichischen Industrie sich ein solches Netzwerk baut, scheint auf den ersten Blick unverständlich. Kurz, Blümel, Schramböck, Köstinger - fast alle türkisen Säulenheiligen breiteten der Industrie einen wohligen Stimmungsteppich für jenen Gipfel der "anderen Art" aus. Das Motto war wohl "nichts ist passiert".

Mehr als einmal musste der "Unheilige" bisher und auch beim "Salzburg Summit" die Frage beantworten, ob er denn wieder in die Politik zurückwolle. Er versuchte gebetsmühlenartig "definitiv auszuschließen", dass er jemals in die Politik zurückkehren wird.

Mit Insider-Wissen in die Privatwirtschaft

Was gerne übersehen wird: der "Unheilige" macht weiter. Und das auf eine besonders bedenkliche Art. Als ehemaliger Minister und späterer Regierungschef hat er Kenntnis über das Innenleben des österreichischen Staates, interne Prozesse der Europäischen Union - und über deren Verletzlichkeit.

Sensible Schwachstellen sind es, die von darauf spezialisierten Konzernen zu Geld gemacht werden. Nicht zu Geld der österreichischen oder europäischen Gesellschaft, sondern zu ihrem eigenen Nutzen.

Der neue Arbeitgeber des "Unheiligen" kann also mit Sicherheit gut beurteilen, wieviel der neue Jungvater und Altkanzler als Mitarbeiter wert ist. Dazu müsste er nur all das heikle Wissen, die sensiblen Informationen und offenen Unzulänglichkeiten "strategisch" weitergeben.

Das ist lukrativ, sehr lukrativ für jene, die mit ihren Geschäften genau diese Informationsvorsprünge ausnützen können. Es handelt sich also um eine Privatisierung über die personelle Hintertür. Dazu braucht der Altkanzler tatsächlich nicht mehr zurück in die Politik.

Interesse von Privaten an staatlichem Wissen

Diese Art von Verwertung des öffentlichen und auch des streng geheimen Wissens über Land, Infrastruktur, Sicherheit, Verwaltung, strategischen Planungen und hochnotpeinlichen Verletzlichkeiten, betreibt jetzt einer, der es wissen muss: der "Unheilige" hat eine klare Vorstellung davon, welchen finanziellen Wert dieses Know-how für Konzerne, die wenig Interesse an Demokratie und Grundrechten haben, hat. 

Wenn also der "Unheilige" sagt, er will nicht in die Politik zurück, so ist das wieder einmal eine Ablenkung von der Wahrheit. In Wahrheit ist er mit als Wissensträger ein potenzieller Zuarbeiter für jene, die alles andere im Sinn haben, als das gesellschaftliche Wohl oder das Wohl des Landes. (Bernhard Jenny, 4.8.2022)

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