Miley Cyrus und andere Popgrößen haben die virale Relevanz von Plattformen wie Tiktok längst erkannt und nutzen dies mit gezielten Aktionen auch für sich.

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An Musikstreaming haben sich viele Menschen mittlerweile gewöhnt. Ähnlich wie beim Streamen von Filmen und TV-Serien wechselt trotz regelmäßiger Zahlungen kein Tonträger den Besitzer, dennoch hat etwa Platzhirsch Spotfiy rund 433 Millionen Nutzer – knapp die Hälfte davon zahlt monatlich, um die neuesten Songs von Harry Styles, Dua Lipa und Ed Sheeran ins Ohr geträllert zu bekommen.

Nachdem Spotify am Montag eine Preiserhöhung ihrer Abos ankündigte und Apple Music trotz starker Bemühungen ihren Platz an der Sonne offenbar nicht mehr erreichen werden, meldete Tiktok-Eigentümer Bytedance Anfang der Woche ein neues Patent an. Unscheinbarer Name der Markenanmeldung: Tiktok Music. Ein paar erklärende Worte zu dem möglicherweise kommenden Format finden sich ebenfalls: "Ermöglichung des Kaufs, der Wiedergabe, des Austauschs und des Herunterladens von Musik und Liedern". Der Kampf um die Musikstreaming-Krone könnte also demnächst einen neuen Mitspieler bekommen.

Die Big Four des Musikstreamings

Der Marktführer Spotify hat mit rund 433 Millionen Nutzern und 188 Millionen zahlenden Premium-Kundinnen den Mammutanteil am Musikstreaming-Markt zu verzeichnen, und der Erfolg ist kein Zufall. Spotify stellt seinen gesamten Musikkatalog von etwa 75 Millionen Songs kostenlos zur Verfügung. Ebenjene Gratisversion nutzt dann potenziell störende Werbeunterbrechungen und limitierte Song-Skips, um Nutzer für ein kostenpflichtiges Abonnement zu gewinnen. Dieser "Kostenlos-zu-kostenpflichtig-Trichter" ist ein gewinnbringendes Modell, akquiriert Neukundinnen in einem frühen Stadium und gewöhnt beziehungsweise bindet sie an die Plattform, bis sie sich entschließen, die kostenpflichtige Version zu abonnieren. Diese Bindung wird vor allem durch das inhaltliche Angebot auf Spotify gefördert.

Die Plattform ist bekannt für ihren treffsicheren Musikempfehlungs-Algorithmus, welcher Playlists basierend auf dem individuellen Verhalten seiner Hörer erstellt. Zusätzlich hat man in den letzten Jahren stark auf das Podcastformat gesetzt und mit sogenannten Spotify Exclusives eine treue Hörerschaft aufgebaut. Nicht zu unterschätzen ist auch Spotifys ganzheitlicher Zugang zu Social Media, als vernetzendes Element über die Musikplattform hinaus. Künstlerinnen können ihre Spotify-Kanäle mit Social-Media-Accounts vernetzen und Fans über die Spotify-App auf dem Laufenden halten, ohne dass sie diese je verlassen müssen. Darüber hinaus weiß der Musikstreaming-Dienst sich in Szene zu setzen, und das Plattform übergreifend, wie zum Beispiel der Spotify-Jahresrückblick zeigt.

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Der zweitstärkste Musikstreaming-Anbieter ist Apple Music, mit geschätzten 78 Millionen Abonennten. Seine Popularität wird unter anderem durch die nahtlose Integration mit dem Apple-entwickelten iOS Betriebssystem und dem umfassenden Musikkatalog (ca. 90 Millionen Songs) begründet. Anders als bei Spotify gibt es für Apple Music keine kostenfreie Version, und Einzelpersonen in Österreich können den Service ab einer Gebühr von monatlich 9,99 Euro nutzen. Diese Kostenpflicht ist allerdings auch der Grund, warum einige Künstlerinnen exklusive Deals eingehen und Musik zuerst auf Apple Music veröffentlichen — ein potenzielles Kaufargument für Fans.

Nicht zu unterschätzen ist weiters der Bedarf vieler Audiophiler nach Musikdateien mit besonderer Audioqualität. Apple Music wirbt mit verlustfreier Datenkompression, sprich einer Songwiedergabe, welche der Aufnahmequalität ähnelt und nicht durch den Upload auf die Streamingplattform an Qualität verliert.

Apple hat eine bewegte Vergangenheit in der Musikbranche. Der iPod hatte auch dank iTunes eine sehr erfolgreiche Zeit.
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Wie in so vielen Lebensbereichen mischt Amazon auch beim Musikstreaming mit. Vor allem das eigens geschaffene Ökosystem hat hier ein vorteilhaftes Umfeld für bestehende Prime-Kunden geschaffen. Amazon offeriert eine kostenfreie Version mit limitiertem Musikkatalog und Werbeschaltungen unter dem Namen Amazon Music. Für Nutzerinnen mit einem Prime-Account gibt es darüber hinaus eine Version des internen Musikstreaming-Dienstes mit rund zwei Millionen Songs ohne zusätzliche Kosten und Amazon Music Unlimited mit den vollen 90 Millionen Songs für 8,99 Euro monatlich. Amazon bietet verlustfreie Datenkompression für Musikliebhaber, kann sich seinen Wurzeln allerdings nicht gänzlich entziehen und lässt mit Verknüpfungen zu Merchandise-Seiten seine Identität durchblitzen.

Obwohl Youtube primär eine Videostreaming- und keine Musikstreaming-Plattform ist – die Teilhabe an der Musikbranche kann man ihr nur schwer absprechen. Youtube verzeichnet die meisten Nutzerinnen (ca. zwei Milliarden) auf der Plattform, jedoch die wenigsten zahlenden Kunden für ihre zusätzlichen Services Youtube Premium und Youtube Music. Obgleich die kostenpflichtige Youtube-Music-Version vor allem durch Livemusik-Material punktet und man den bestehenden Musikkatalog durch Hochladen eigener Audiodateien erweitern kann, ist bei vielen Nutzerinnen die originale kostenlose Version beliebter.

Tiktok als Musikstreaming-Anbieter

Wer in Anbetracht der jüngeren Entwicklungen am Musikstreaming-Markt David und wer Goliath ist, ist schwierig zu identifizieren. Tiktok ist mit einer Milliarde aktiven Nutzerinnen eine der beliebtesten sozialen Plattformen und nimmt bereits jetzt Einfluss auf die Musikindustrie. Videos werden auf dem sozialen Medium in den meisten Fällen mit Musik hinterlegt und beteuern so die intrinsische Verbundenheit mit Musik und die Entwicklung zu einer der wichtigsten Plattformen, um neue Musik zu entdecken. Plattenfirmen und Künstler nutzen Tiktok aktiv als Tool in ihrer Release-Strategie, aber auch organische Entfaltung von Songs findet auf der Plattform statt.

Miley Cyrus hat beispielsweise eine private Zoom-Session mit 15 Tiktokern vor der Veröffentlichung ihrer neuen Single veranstaltet, um ihnen einen Vorgeschmack auf das musikalische Projekt zu geben. Tiktok-Musik-Challenges können nutzergenerierte Videos fördern, virale Trends auslösen und die Musikcharts beeinflussen, weil Nutzerinnen die Audioschnipsel in voller Länge hören wollen. Zuletzt ist das der britischen Sängerin Kate Bush mit ihrem Song "Running Up That Hill" gelungen. Der Song wurde eigentlich 1985 veröffentlicht, hat es jedoch dank eines viralen Tiktok-Trends 2022 wieder an die britische Chartspitze geschafft.

Tiktok will sich offenbar auch ins Musikstreaming-Geschäft werfen.
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Junge Zielgruppe

Der Erfolg von Tiktok und dessen Einfluss auf die Musikindustrie hängt auch mit der Nutzer-Demografie zusammen. 2018 wurde Tiktok mit der primär von Acht- bis 17-Jährigen genutzten Video-App Musical.ly zusammengelegt. Die Nutzerinnen von Musical.ly zeigten sich anfänglich vor allem beim lippensynchronen Nachsingen von Songs. Sollte Tiktok Music einen Musikstreaming-Service auf den Markt bringen, könnte der Altersdurchschnitt relevant sein, vor allem im Bezug auf Verweildauer und Nutzung von Apps. Weiters hat es Tiktok geschafft, die Distanz zwischen Musikentdecken und Musikmitgestalten zu verringern. Durch Beschreibungen wie "Bearbeitung von Audio und Video" würde die Markenanmeldung zu Tiktok Music ebenfalls auf ein interaktives Element hinweisen.

Tiktok hat vor allem mit der nächsten Generation von Konsumentinnen einen Stein im Brett, und davon kann auch Goliath ein Lied singen: Manchmal ist ein einzelner Stein alles, was es braucht. (Sophie Werner, 1.8.2022)