Das Ziel ist klar, der Weg dorthin allerdings umstritten.

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In einem Punkt sind sich Politik, Energieerzeuger und Umweltschützer einig: Um die Klimaziele zu erreichen, müssen Windräder, Wasserkraftwerke und Solaranlagen künftig schneller genehmigt werden. Daran, wie man dieses Ziel erreicht, scheiden sich allerdings die Geister: Während Umweltorganisationen um ihre Verfahrensrechte kämpfen, pochen Projektwerber auf Abstriche bei Landschaftsbild und Artenschutz.

In der aktuellen Reform der Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren (UVP-Verfahren) musste Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) also zahlreiche widerstreitende Interessen gegeneinander abwiegen. Aber ist ihr das auch gelungen? DER STANDARD hat mit zwei Juristen über die zentralen Punkten der Reform gesprochen. In Genehmigungsverfahren sitzen die beiden auf unterschiedlichen Seiten des Tisches: Benjamin Schlatter, Anwalt bei Schönherr und Vertreter von Projektwerbern, und Paul Kuncio, Jurist beim Umweltdachverband.

Fristen für Beschwerden

Eine Arbeitsgruppe im Klimaschutzministerium hat vergangenen Herbst Vorschläge erarbeitet, wie die Verfahren besser strukturiert und verkürzt werden können. So sollen etwa Nachbarn oder Umweltorganisationen früher im Verfahren darlegen, ob und welche Beschwerden sie vorbringen. Einwendungen gegen ein Projekt müssten Gegner bereits vor der mündlichen Verhandlung erheben. Die Behörde kann für bestimmte Vorbringen zudem kürzere Fristen vorsehen.

Für Anwalt Schlatter ist das das eigentliche "Herzstück" des Gesetzesentwurfs. "Wir erleben in der Praxis, dass von Projektgegnern erst sehr spät neue Themen in das Verfahren eingebracht werden." Tritt das Gesetz in der vorgeschlagenen Form in Kraft, hätten Behörden und Gerichte künftig mehr Möglichkeiten, die Verfahren abzukürzen.

Laut Kuncio kann die bessere Struktur des Verfahrens definitiv zu einer Beschleunigung führen. Wichtig sei, dass sich alle Parteien daran halten müssen, "das macht durchaus Sinn", sagt der Umweltschützer. In dem Punkt sei sich die Arbeitsgruppe des Ministeriums, an der Kuncio teilnahm, einig gewesen. Künftig sei klarer, wann welche Schritte gesetzt werden. Die Einschränkung der Möglichkeit, Einwendungen in der mündlichen Verhandlung zu erheben, sieht er aber kritisch. Immerhin müsse man binnen kurzer Zeit ein vom Projektwerber teils jahrelang geplantes Projekt beurteilen und Einwendungen erarbeiten.

Vorrang für Energiewende

Laut Gewessler soll es eine "Überholspur" für Projekte geben, die der Energiewende dienen – gemeint sind vor allem Windkraftanlagen und Stromleitungen. Ihnen wird per Gesetz ein "besonderes öffentliches Interesse" eingeräumt, was Einfluss auf Abwägungsfragen bei Gericht hat. Zudem sollen Behörden die aufschiebende Wirkung von Beschwerden künftig leichter aberkennen können. Anders formuliert: Einsprüche – etwa von Umweltorganisationen – sollen seltener dazu führen, das Projektwerber mit dem Start ihrer Bauarbeiten zuwarten müssen.

Aus Sicht von Schlatter kann das zwar theoretisch zu schnelleren Verfahren führen, in der Praxis würden Projektwerber im Fall von Beschwerden aber trotzdem eher abwarten. Schließlich wäre es für sie ein großes Risiko, den Bau zu starten, obwohl die Genehmigung noch nicht in trockenen Tüchern ist. Die allermeisten Projektwerber beginnen laut Schlatter daher erst dann mit den Bauarbeiten, wenn das Verfahren beendet ist.

Umweltjurist Kuncio sieht das anders: Die Mehrheit der Projektwerber warte zwar auf die endgültige Genehmigung, aber nicht alle. Die Möglichkeit, dass es künftig leichter sein soll, sogleich mit dem Bau zu beginnen, sieht er daher "besonders kritisch". Fraglich sei, wie das Bundesverwaltungsgericht zukünftig beurteilt, ob die Beschwerden hinreichend konkret dargelegt wurden und daher der Beschwerde aufschiebende Wirkung zukommt – die Projektwerber also mit dem Bau warten müssen.

Energieraumpläne

Ein zentraler Punkt der aktuellen Reform betrifft sogenannte Energieraumpläne, die in den meisten Bundesländern mittlerweile Standard sind. Sie legen fest, welche Gebiete für Windkraftanlagen geeignet sind und welche nicht. Hat ein Bundesland solche Flächen ausgewiesen, sollen Windkraftanlagen künftig sofort beantragt werden können – auch wenn die Flächenwidmung der Gemeinde fehlt. In Bundesländern, in denen es keine Energieraumplanung gibt, gilt dasselbe, wenn die jeweilige Standortgemeinde zustimmt. Das betrifft vor allem Vorarlberg, Tirol und Salzburg.

Anwalt Schlatter sieht das durchaus positiv. "Besonders in diesen Bundesländern erhöht sich damit der Druck gegen die bislang bestehenden Widerstände." Abgesehen von der Widmung sei die Zustimmung der Gemeinden aber auch in vielen anderen Bereichen relevant, woran die aktuelle Reform nichts ändere.

Aus Sicht von Paul Kuncio, Jurist beim Umweltdachverband, ist fraglich, ob die Reform bei den Energieraumplänen in der vorgeschlagenen Form verfassungsrechtlich zulässig ist. "Rechtsexperten sind sich uneinig, ob die Vorgangsweise erlaubt ist." Inwieweit sie tatsächlich zu schnelleren Verfahren führen würde, werde man erst in der Praxis sehen. Künftig würde man sich zwar die Vorfrage der Flächenwidmung ersparen, dafür müsse man im eigentlichen Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren erst recht genau erörtern, ob der jeweilige Standort geeignet ist und welche Auswirkungen ein Projekt hat.

Weniger Bodenverbrauch

Der Schutz von Böden soll künftig auch bei UVP-Verfahren einen höheren Stellenwert bekommen. Wenn möglich müssen beim Bau von Anlagen zunächst bereits versiegelte Flächen genutzt werden. Das betrifft vor allem Industrie- und Gewerbeparks, Einkaufszentren oder große Parkplätze, bei denen der Bodenverbrauch laut Gesetzesentwurf möglichst gering ausfallen soll.

Aus Sicht von Schlatter ist allerdings fraglich, was mit "möglichst gering" gemeint ist. "Wir werden sehen, wie der Begriff in der Praxis ausgelegt wird." Denn bei mehrspurigen Autobahnen oder Logistikzentren sei eine Begrenzung des Bodenverbrauchs kaum möglich. Projekte im Bereich erneuerbarer Energien – etwa Windkraftanlagen – wären aber weniger stark von der geplanten Bestimmung betroffen.

Für Kuncio ist dieser Vorschlag "sehr wichtig". Dass eine strengere Berücksichtigung des Bodenverbrauchs auf bestimmte Vorhaben beschränkt wurde, kann er aber nicht nachvollziehen. Das Thema Bodenverbrauch sei in den letzten Jahrzehnten in Österreich stiefmütterlich behandelt worden. In den Griff bekommen werde man das Problem aber nicht allein durch die Reform bei den UVP-Verfahren. "Den viel größeren Hebel haben die Länder und Gemeinden bei der Raumplanung." (Jakob Pflügl, 2.8.2022)