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Auch am "Money-Mindset" von Frauen wird hart gearbeitet – und der Beratungsstil sieht ganz anders aus als bei Männern.

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Das Angebot klingt verlockend: "Dein Traumleben in 2022 manifestieren", das verspricht der Podcast "Mindful Me". "Ich lade dich dazu ein, dir deine Vision vorzustellen", sagt Valerie Husemann mit sanfter Stimme. Als "Soul & Business Mentorin", wie Husemann sich auf ihrer Website bezeichnet, unterstützt sie Frauen dabei, "in ihre Kraft zu kommen", neben Podcast und Buch sind auch Coachings Teil ihres Portfolios. Sogenannte Manifestationen trenden in Social Media, über sieben Millionen Einträge sind allein auf Instagram unter dem Hashtag zu finden. Das Prinzip dahinter scheint simpel: Persönliche Wünsche werden visualisiert oder wiederholt niedergeschrieben und sollen sich so manifestieren – also tatsächlich erfüllen. Unternehmerin Kathrin Zenkina tritt als "Manifestation Babe" auf und verkauft nicht weniger als den amerikanischen Traum vom schnellen Reichtum. Auf ihrer rosa getünchten Seite leitet sie nicht nur zum persönlichen Wachstum, sondern vor allem zu finanziellem Erfolg an. "Das Geld fließt mir immer mühelos und auf unerwartete Weise zu", empfiehlt sie als positive Affirmation, die ein Stück näher an den Reichtum führe.

Du kannst, wenn du willst

Die Welt könne man ohnehin nicht verändern, wohl aber die eigene Einstellung: Es ist das zentrale Mantra, das sich in unzähligen Angeboten zur Selbstentwicklung und -verwirklichung findet. Wer sich häufig auf Netzwerken wie Instagram oder Youtube bewegt, bekommt entsprechende Werbungen unweigerlich in den Feed gespült.

Längst nicht alle hantieren dabei mit esoterischen Inhalten oder versprechen finanziellen Wohlstand im Fünf-Schritte-Programm. Influencer:innen wie MuchelleB leiten in kurzen Videos bloß zum frühen Aufstehen an oder erläutern, warum es sich mit ausgemisteten Schränken besser lebt. Wie so viele Online-Unternehmer:innen verkauft auch MuchelleB ihr eigenes Notizbuch. "Journaling" nennt sich der Supertrend und soll dem guten alten Tagebuchschreiben überlegen sein. Schreiber:innen listen Erfolge auf oder führen Buch, wofür sie dankbar sind, statt bloß Erlebtes festzuhalten.

Das Feld der Selbstverwirklichung scheint indes nach strikter Geschlechtertrennung zu funktionieren. Unzählige männliche Coaches preisen ihre Programme an, die in kantiger Sprache zu Reichtum und beruflichem Erfolg verhelfen wollen, während Frauen meist ganzheitlich abgeholt werden: "Happy, holy & confident", so der Titel des Podcasts von Szenestar Laura Malina Seiler. Auch feministische Botschaften sind beliebt. Bossbabes und Powerfrauen tummeln sich in den Netzwerken, es ist ein Feminismus, der sich weitgehend von der Idee des Kollektivs verabschiedet hat.

Du musst funktionieren

"Aus einer feministischen Perspektive finde ich es gut, Frauen Werkzeuge in die Hand zu geben, die ihre Handlungsfähigkeit erhöhen", sagt Nora Ruck, Vizedekanin an der Fakultät für Psychologie der Sigmund-Freund-Privatuniversität. Die wesentliche Frage sei jedoch, worauf die angestrebte Veränderung abziele. "Auch die Consciousness-Raising-Gruppen der zweiten Frauenbewegung haben bei der individuellen Erfahrung angesetzt. Dort darf es aber nicht stehenbleiben", sagt Ruck. Über das Teilen persönlicher Erfahrung stelle sich das Gefühl ein, nicht alleine zu sein mit der Überforderung. "Daraus kann dann eine gesellschaftliche Analyse entstehen, die auch gesellschaftliche Veränderung anstößt."

Sich selbst darüber klar werden, wohin der berufliche Weg führen soll, dazu leitet auch ein Workshop im Frauenberufszentrum im burgenländischen Oberpullendorf an. Die Vorzeichen sind jedoch gänzlich andere. Noch immer werde von Frauen erwartet, als "Zuverdienerin" ihre Berufstätigkeit der Familie anzupassen, erzählt Geschäftsführerin Doris Horvath im STANDARD-Gespräch. "Es ist gut und wichtig, sich den eigenen Kompetenzen bewusst zu werden", sagt Horvath. Mit Slogans wie "Die Kraft liegt in dir selbst" habe das jedoch wenig zu tun. "Ich sehe diese ganze Selbstoptimierung sehr kritisch", sagt Horvath. Frauen würden das Gefühl, für alles zuständig zu sein, ohnehin gut kennen. Aus der Überforderung entstehe schnell der Eindruck, nicht zu genügen. "Frauen sollen sich in der Familie um alles kümmern, sie sollen funktionieren, so gut und reibungslos wie möglich", sagt Horvath.

Flexibel in Job und Alltag

Das richtige Mindset, das sich als Denkweise oder Mentalität übersetzen lässt, ist auch im Berufsleben zunehmend gefragt. Eine Gruppe von Wissenschafter:innen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen hat der Begriffsgeschichte im deutschsprachigen Raum nachgespürt. Mit den Ursprüngen in der Kognitionspsychologie habe das Konzept nur noch wenig zu tun, der Begriff sei mittlerweile ein diffuser, erklärt Manuel Nicklich. Ein "agiles Mindset" werde ebenso nachgefragt wie ein "Sustainability-Mindset", einer ganzen Reihe von Bindestrich-Mindsets begegneten die Wissenschafter:innen in ihrer Arbeit. Wer das falsche Mindset mitbringt, kann immer noch an seiner Einstellung arbeiten. "Es ist ganz wesentlich für die Idee, dass das Mindset veränderbar ist. Und darin steckt schon ein impliziter Vorwurf", sagt Nicklich.

Menschen, die "immer noch" anderen die Schuld geben, sind so auch im Coaching von Kathrin Zenkina nicht willkommen, wie die Unternehmerin auf ihrer Website schreibt. "Dass Erfolg individualisiert wird, passt in den Zeitgeist. Wenn du dein Glück nicht gefunden hast, dann kann es nur an dir liegen", sagt Soziologe Manuel Nicklich. Wiederfinden ließe sich diese Ideologie auch in T-Shirt-Sprüchen wie "Machen ist wie wollen, nur geiler".

Zwischen Vereinzelung und kollektiver Schlagkraft

Mit dem "Money-Mindset" arbeitet auch Dani Parthum, die als "Geldfrau" im Netz auftritt. "Ich mag dieses Wort gar nicht, ich spreche lieber von der Einstellung zum Geld", sagt sie im STANDARD-Gespräch. Die Ökonomin und ehemalige Wirtschaftsjournalistin bietet Finanzkurse speziell für die weibliche Zielgruppe an. Frauen müssten ihre Geldanlage selbst in die Hand nehmen, ist Parthum überzeugt – darin stecke auch ein feministischer Ansatz. "Geld ist so etwas wie die letzte Bastion der Männer. Wenn Frauen wirtschaftlich unabhängig sind, dann haben Männer auch keine Macht mehr über sie."

Auf ihrem Blog erklärt Parthum den Leitzins oder so sperrige Begriffe wie das Verwahrentgelt. "Es ist wichtig, Geld und Wirtschaft grundsätzlich zu verstehen", sagt sie.

Wenn Geld in der eigenen Familie tabuisiert oder als Druckmittel eingesetzt worden sei, beeinflusse das die eigene Haltung zu Geld, sagt Parthum. Das zu reflektieren könne Veränderung anstoßen. Als völlige Individualisierung will die geprüfte Finanzanlagenfachfrau das nicht missverstanden wissen. "Wir dürfen gesellschaftliche Benachteiligung nicht auf die Frauen abwälzen, da braucht es politische Maßnahmen wie Quoten und Equal Pay." Das individuelle Selbstbewusstsein im Umgang mit Geld wirke aber auch auf die Gesellschaft zurück, ist Parthum überzeugt.

Rückschritte in der Frauenpolitik belegte indes erst kürzlich ein Bericht des Wifo. Seit 2018 vergrößert sich auch pandemiebedingt der Gender-Gap wieder – eine Entwicklung, die positive Mantras kaum aufhalten werden. (Brigitte Theißl, 1.8.2022)