Über 900 Beamtinnen und Beamte unterstützten im November 2020 die "Operation Luxor" gegen mutmaßliche Mitglieder der Muslimbruderschaft. Die Ergebnisse des Einsatzes sind bisher überschaubar.

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Wien – "Die Muslimbruderschaft ist einer der prominentesten Akteure des politischen Islams", sagte der damalige Innenminister und heutige Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am 9. November 2020 bei einer Pressekonferenz anlässlich der "Operation Luxor." Über ein Jahr lang ermittelte die Staatsanwaltschaft Graz gegen rund 70 Verdächtige, ehe bei einer Razzia von über 900 Polizistinnen und Polizisten dutzende Gebäude durchsucht und 30 Menschen zur sofortigen Einvernahme mitgenommen wurden.

Der Erfolg der Aktion ist bisher überschaubar: Mehrere Ermittlungsschritte wurden vom Oberlandesgericht Graz mittlerweile für rechtswidrig erklärt, eingefrorene Gelder, die angeblich der Terrorfinanzierung dienten, wieder freigegeben und einzelne Verfahren eingestellt. Eine Anklage durch die Grazer Staatsanwaltschaft steht dagegen noch aus.

Eindeutige Aussagen in Interview

Die unklare Verdachtslage hinderte das Onlinemedium exxpress.at nicht daran, am 22. Juli 2021 ein Interview mit Herrn Z. zu veröffentlichen, einem der Kronzeugen der Grazer Anklagebehörde, in dem er Verdächtige namentlich nannte. In dem Gespräch, das auf der exxpress-Webseite nicht mehr abrufbar ist, für das man sich aber online immer noch lobt, stellte Z. diverse Behauptungen auf. So meinte er, der Politikwissenschafter Farid Hafez und Ammar S. seien Muslimbrüder, die Organisation islamistisch und militant. Die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ), die beispielsweise mit Exkursionen ins deutsche Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau heranwachsende Muslime für die Folgen von Antisemitismus sensibilisieren will, bezeichnete Z. als "Kaderschmiede der Muslimbruderschaft", wogegen die MJÖ erfolgreich juristisch vorging.

Auch Hafez und S. wollten sich nicht nachsagen lassen, Muslimbrüder zu sein, und brachten eine Klage wegen übler Nachrede gegen Z. ein, über die Richter Stefan Romstorfer in einem mehrtägigen Verfahren entscheiden muss.

Zeuge will keine Quellen nennen

Am letzten Prozesstag bietet Verteidiger Michael Sommer zwei Zeugen auf, mit deren Hilfe er versuchen will, den Wahrheitsbeweis für die Aussagen seines Mandanten zu erbringen. Der erste, der ein Ein-Mann-Onlinemedium betreibt, bleibt konkrete Beweise schuldig. Er sagt zwar, er habe immer wieder gehört, dass die beiden Kläger gesagt hätten, sie seien Muslimbrüder, die Quellen will er aber nicht nennen oder höchstens gegen Zusicherung von Anonymität.

"Da die Leute unterhalb von Hafez und S. psychischen Terror ausüben", lässt er übersetzen. Richter Romstorfer hätte dafür gerne ein Beispiel. "Zum Beispiel habe ich in einem Facebook-Post geschrieben: 'Es wir behauptet, Muslimbrüder kontrollieren die MJÖ.' Daraufhin kam eine Klagsandrohung über 35.000 Euro." – "Sie meinen, wenn man sich zivilrechtlich oder strafrechtlich wehrt, ist das Psychoterror?", ist Romstorfer etwas überrascht. Der Zeuge bleibt dabei: "Die Muslimbruderschaft hat große Kontrolle über verschiedene Sektoren, wirtschaftlich, politisch, sozial", zeichnet er das Bild einer einflussreichen Parallelgesellschaft.

Facebook-Posting mit Davidstern

Margot Rest, Anwältin der Kläger, legt daraufhin Screenshots von Facebook-Beiträgen des Zeugen vor. Sie hält diese für antisemitisch, der Zeuge bestreitet das. Der Richter ist nach kurzer Durchsicht neuerlich überrascht. "Da ist zum Beispiel ein Bild von einem Schiff und Assad mit einem Davidstern. Dabei steht: 'Europa, nehmt den Müll, den ihr uns geschickt habt, zurück.' Das ist für Sie nicht antisemitisch?" – "Nein, nein, nein, natürlich ist das nicht antisemitisch, das ist eine Kritik am Assad-Regime."

Als zweiter Zeuge tritt der Universitätsprofessor Mouhanad Khorchide auf. Zweitkläger S. kennt er überhaupt nicht, Hafez dagegen sehr wohl. Ob dieser ein Muslimbruder sei, will Romstorfer wissen. "Es gibt Indikatoren für Sympathien zur Muslimbruderschaft", formuliert Khorchide es vorsichtig. Hinweise für ihn seien, dass Hafez in Beiträgen nur einseitig positiv über die Organisation berichtet habe, was für einen Wissenschafter unstatthaft sei. Auch Auftritte in Medien wie Al-Jazeera, die der Zeuge dem Dunstkreis der Muslimbruderschaft zurechnet, sind für ihn so ein Indiz.

"Sachen, die sich so rumsprechen"

Allerdings ist er auch überzeugt, dass es keine "Mitgliedschaft" oder entsprechende Mitgliederlisten bei den Muslimbrüdern gebe, wiewohl er von einem "Treueschwur" wisse. Gehört habe auch er von der Mitgliedschaft der beiden Kläger, aber "das sind Sachen, die sich so rumsprechen in der Community". Auch er kann sich nicht erinnern, wann und von wem er etwas gehört habe.

Verteidiger Sommer versucht, konkreter zu werden, und erleidet Schiffsbruch. "Sie haben jetzt gesagt, Hafez und S. hegen Sympathien für die Muslimbruderschaft. Bei der Staatsanwaltschaft Graz haben Sie noch gesagt, die beiden zählen zur Muslimbruderschaft", hofft er auf eine klare Ansage, wird aber vom Richter unterbrochen. "Das 'zählen' steht in der Zusammenfassung des Herrn Staatsanwalt, und die ist fragwürdig, meiner Ansicht nach", stellt Romstorfer klar. Denn in der Aussage selbst habe Khorchide damals ebenso nur von Indizien gesprochen.

Klägervertreterin Rest hält in ihrem Schlussplädoyer fest, dass Z. der Wahrheitsbeweis für seine Behauptungen nicht gelungen sei. Im Gegenteil, im Laufe des Verfahrens sei ihm mehrmals nachgewiesen worden, dass er die Unwahrheit gesagt habe. Der Beklagtenanwalt kontert: "Wie kann man den Wahrheitsbeweis für die Mitgliedschaft in einem Verein, den es de facto nicht offiziell gibt, erbringen? Nur über Indizien und Hinweise", zeigt er sich überzeugt, dass Z. freizusprechen sei.

Teilbedingte Geldstrafe von 3.500 Euro

Der Richter kann dieser Argumentation nicht folgen und verurteilt Z. wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen à 25 Euro, gesamt also 3.500 Euro. Die Hälfte der Strafe wird auf zwei Jahre bedingt nachgesehen. Für Romstorfer handelt es sich bei den inkriminierten Zitaten um Tatsachenbehauptungen und keine persönliche Wertung, begründet er.

Das im Verfahren vorgebrachte Tatsachensubstrat reiche ihm aber selbst bei einer Einstufung als Wertung nicht. "Irgendwer hat irgendwas von irgendwem gehört und dann weitererzählt", sieht er lediglich Gerüchte, aber keinen Beweis. Zu zwei bei einem früheren Verhandlungstermin aufgetretenen Entlastungszeugen findet er noch deutlichere Worte: "Ich habe ihnen nicht geglaubt." Während die Kläger mit dem Urteil einverstanden sind, meldet Z. Berufung an, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 1.8.2022)