Trotz strikter Zensur und harten Vorgehens der Regierung finden Menschen in China immer wieder Wege, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. So zum Beispiel eine Gruppe von Wohnungskäufern aus Zhengzhou in der Provinz Henan.

Anfang dieses Jahres stellten die Wohnungsbesitzer fest, dass sich der Bau ihrer Apartments – die sie bereits abbezahlt hatten – verzögerte und schließlich ganz stoppte. Die Betroffenen organisierten sich und suchten das Gespräch mit den Konzernen Yongwei Real Estate und Jinqiao. Als dies Ende März zu wenig führte, setzte die Gruppe von gutsituierten Käufern auf Social Media und lud ein Video mit Titel "400 Akademiker und Doktoren wollen ein Zuhause" auf diverse Plattformen hoch. Sogar T-Shirts druckte sie und organisierte einen Stadtlauf.

Zahlungsboykott

Nicht überall im Netz stieß die Aktion der rund 2.000 elitären Immobilienkäufer auf Zustimmung. "Warum sollten reichere Leute mehr Aufmerksamkeit bekommen?", fragte eine Kommentatorin. Tatsache aber ist, dass Xitang, wie das Viertel heißt, zu einem der meistgesuchten Begriffe wurde. Die Immobilienkrise des Landes hat die Mittelschicht erfasst. Und das trifft die Regierung an ihrer empfindlichsten Stelle: der sozialen Stabilität.

Wohnungen wurden in China in den vergangenen Jahren zum Spekulationsobjekt. Die geänderten Finanzierungsbedingungen haben offenbart, in welche Schieflage der Sektor geraten ist.
Foto: AFP / Noel Celis

Seit Juni nämlich kommt es im ganzen Land zu Zahlungsboykotts. Wütende Bürger wollen kein Geld mehr an Immobilienkonzerne überweisen, die bereits verkaufte Wohnungen nicht bauen. Die Proteste nehmen im ganzen Land zu. Helfen soll nun ein "Bail-out-Fund", um in Schieflage geratene Unternehmen wieder zu stabilisieren und vor allem noch nicht fertiggestellte Projekte zu beenden. Mit umgerechnet rund 45 Milliarden Euro soll das Problem behoben werden. Ob das ausreichen wird, um die Krise zu beheben, ist eine andere Frage. Denn das Problem sitzt tief.

Überhitzte Branche

Chinas Immobilienbranche gilt seit Jahren als überhitzt. Da in den vergangenen Jahren immer mehr Geld in den Sektor geflossen war, überschuldeten sich die Konzerne. So wurde es gängige Praxis, Wohnungen zu verkaufen, die noch gar nicht gebaut waren. Bald wurde der Bau von bereits verkauften Wohnungen durch den Verkauf neuer Wohnungen finanziert – Kennzeichnen eines Pyramidenspiels.

Das ging gut, solange sich die Maschinerie immer schneller drehte. 2021 entschied die Regierung, Luft aus dem überhitzten Sektor zu lassen und das schuldenbasierte Wachstum zu bremsen. Die neuen Vorgaben (Verhältnis der Verbindlichkeiten zu Vermögenswerten unter 70 Prozent, Nettoverschuldungsgrad nicht höher als 100 Prozent, Verhältnis von liquiden Mitteln zu kurzfristigen Verbindlichkeiten größer als Faktor eins) haben gezeigt, wie tief das Problem sitzt.

Evergrande wankt stark

Evergrande, der zweitgrößte Konzern der Branche, geriet daraufhin recht schnell in Zahlungsschwierigkeiten. Ratingagenturen stuften den Konzern in seiner Kreditwürdigkeit ab, Gerüchte über eine Insolvenz machten die Runde. Einem Insider zufolge soll Evergrande nun seinen 26-stöckigen Hauptsitz in Hongkong über ein Ausschreibungsverfahren zu Geld machen. Mehrere Entwickler aus Hongkong hätten Offerte eingereicht, chinesische Staatsunternehmen hätten sich kaum beteiligt.

Die Zahlungsschwierigkeiten des zweitgrößten Immobilienkonzerns Evergrande sind noch lange nicht ausgestanden.
Foto: Noel Celis / AFP

Ruhiger wird es um Evergrande dennoch nicht: Am vergangenen Freitag mussten CEO Xia Haijun und CFO Pan Darong ihren Rücktritt einreichen, weil sie an der Umleitung von Krediten beteiligt gewesen waren, die sie als Garantien verwendet hatten. Auch das zeigt, dass die Zahlungsschwierigkeiten des zweitgrößten Immobilienkonzerns noch lange nicht ausgestanden sind.

Eine Tochter von Evergrande soll nun 1,3 Milliarden Dollar zahlen, weil sie einen Kredit nicht bedienen kann. Evergrande ist ihren Verpflichtungen einem ungenannten Gläubiger gegenüber nicht nachgekommen, hieß es am Sonntag in einer Evergrande-Pflichtmitteilung an die Börse Hongkong. Daher soll sie eine für den Kredit hinterlegte Garantie nun auszahlen. Dabei handelt es sich um eine Beteiligung an der Bank Shengjing im Wert von 1,3 Milliarden Dollar.

Chinas Wirtschaft leidet

Das spürt auch Chinas Wirtschaft – der Immo-Sektor hat daran einen Anteil von rund 25 Prozent. Mindestens ein Fünftel aller Unternehmen der Branche dürfte betroffen sein. Banken, die Kundengelder in Immo-Anleihen investiert haben, stecken ebenso in Zahlungsschwierigkeiten. Zuletzt fiel auch der Einkaufsmanagerindex für die Industrie im Juli unerwartet auf 50,4 Punkte. Damit hält sich das Barometer nur knapp über der Marke von 50, ab der es Wachstum signalisiert. (Philipp Mattheis, 2.8.2022)