Keine Zurückhaltung: die "Krone" über den Suizid Lisa-Maria Kellermayrs.

Foto: Kronen Zeitung/Faksimile

Wien – Die Kronen Zeitung titelte ihre Sonntagsausgabe mit: "Letzte Abrechnung der Impf-Ärztin" und veröffentlichte Auszüge aus Lisa-Maria Kellermayrs Abschiedsbriefen, und Falter-Chefredakteur Florian Klenk erwähnte in seinem Newsletter die genaue Suizidmethode: Für beide hagelte es am Wochenende heftige Kritik in sozialen Netzwerken. Aber nicht nur dort.

Denn auch der Österreichische Presserat wird sich nach seiner Sommerpause im September mit Beschwerden befassen, die Leserinnen und Leser gegen die Berichterstattung der beiden Medien eingebracht haben. Bis Montagnachmittag waren es jeweils sieben.

Konkret geht es um die Punkte 5 und 12 des Ehrenkodex der Österreichischen Presse, die tangiert worden sein könnten. Einerseits erlischt der Persönlichkeitsschutz auch post mortem nicht und umfasst auch Angehörige der Toten, und andererseits soll bei Berichten über Suizide generell Zurückhaltung geübt werden. Grund dafür ist die Nachahmungsgefahr, die durch Identifikation entstehen kann.

"Werther-Effekt"

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass eine sensationsträchtige mediale Berichterstattung über Suizide weitere Suizide auslösen kann, was als "Werther-Effekt" bezeichnet wird. Das Gegenteil ist der "Papageno-Effekt", der bei Berichten über die Bewältigung einer suizidalen Krise helfen kann. Medien könnten so einen Beitrag zur Prävention leisten.

Im Leitfaden des Kriseninterventionszentrums zur Berichterstattung über Suizid steht, dass Medien "große und sensationsträchtige" Überschriften und Platzierungen auf der Titelseite vermeiden sollen. Weiters sollen sie davon Abstand nehmen, über Details zur Suizidhandlung zu berichten. Das gilt sowohl für die Methode als auch für den Ort.

Für Presserat-Geschäftsführer Alexander Warzilek muss nun das Selbstkontrollorgan entscheiden, ob die Abschiedsbriefe von öffentlichem Interesse sind, da in ihnen ja auch Vorwürfe gegen die Behörden erhoben wurden. Allerdings bräuchte es dafür wohl keine wörtlichen Zitate, sagt Warzilek zum STANDARD.

Suizidmethode

Er wolle dem Senat nicht vorgreifen, der sich mit diesen Causen befassen wird, das Nennen der Suizidmethode hält er allerdings für einen "heiklen Punkt", der zur Nachahmung führen könnte. Die Kronen Zeitung ist nicht Mitglied des Presserats, der Falter schon.

Positiv sieht Warzilek, dass Klenk sehr rasch auf die Kritik reagiert habe. Der Satz wurde kurz nach Erscheinen der Mail von der Falter- Webseite gelöscht sowie der entsprechende Share-Link des Newsletters entfernt.

Klenk: Fehler passiert

Falter-Chefredakteur Klenk zeigt sich einsichtig und spricht von einem "Fehler", der ihm unterlaufen sei. "Das geschah nicht in böser Absicht, sondern um Kellermayrs Verzweiflung zu beschreiben. Die Schilderung hätte laut den einschlägigen Richtlinien über Suizidberichterstattung nicht passieren dürfen." Er bat im nächsten Newsletter die Falter-Leserschaft um Entschuldigung.

Das Thema Suizidberichterstattung steht immer wieder auf der Agenda des Presserats. Im Jahr 2018 führten etwa Berichte über den Tod von DJ Avicii zu Rügen. Die Artikel in Österreich, auf heute.at und krone.at breiteten Details über den Suizid des Musikers aus, unter anderem mit einer genauen Schilderung, auf welche Art und Weise er zu Tode gekommen war. (Oliver Mark, 1.8.2022)