Glutgrube, Holzofen, Dampfkocherei – lässt sich am Pogusch alles unmittelbar erleben. Aber nur ohne Reservierung.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Heinz Reitbauer grübelt dem Vernehmen nach allabendlich vor dem Einschlafen, wie er das Steirereck jünger machen könne. Als definierender Koch Mitteleuropas weiß er: Rankings, Sterne und Hauben sind das eine. Echte Relevanz aber lässt sich nur unmittelbar, authentisch, am Gast etablieren. Für die Dependance in den steirischen Voralpen gilt das genauso, umso mehr, als die Pogusch-Landwirtschaft und die Kooperationen mit umliegenden Bauern auch für die Versorgung des Stammhauses unverzichtbar sind.

Milchkälber, die täglich zwölf Liter mutterwarme Milch trinken und zum Frühstück zwei Eier schlabbern dürfen, gehören da ebenso dazu wie hauseigene Streuobstwiesen und, seit vergangenem Jahr, zwei sehr spezielle Glashäuser samt bezaubernder, transparent in die Bauten integrierter Schlafzellen für Fans, die neben dem Genießen auch dem Werden der außerordentlichen Lebensmittel beiwohnen wollen. Seit der Erweiterung ist der Pogusch so gut wie energieautark. Auch das ist gelebte Relevanz.

Die seit jeher transportierte Lederhosen-Heiterkeit des Wirtshauses, das mit Hubschrauberlandeplatz und zünftig ausgeschilderten Halbschmähs auf pensionsnahe Austropreneure maßgeschneidert scheint, steht natürlich in frappantem Kontrast dazu. Reitbauer hat zu viel Format, um diesen Zwiespalt nicht zu erkennen. Aber er will, gerade hier, auch so breit wie nur denkmöglich aufgestellt sein. Deshalb ist eine zweite, auch räumlich getrennte Form der Gastronomie entstanden, wo neo-archaisch, in einer mehr als mächtigen Glutküche, auf offenem Feuer gekocht wird und die Atmosphäre explizit jung, zeitgenössisch, geradezu urban wirkt.

Die Schankkuchl hat nur 16 Sitzplätze, die meisten davon in Hühnerleitermanier an der langen Budl. Reitbauer hat dafür mit Küchenchef Manuel Weissenböck, Flora Zweytick und Leon Holzapfel gleich drei Köche abgestellt. Reservieren kann man hier nicht, dafür kommt das Essen aber zügig und kontinuierlich an die Gäste. Weil die Nächsten hinter einem schon an Stehtischen aufs Freiwerden warten, lässt man die Nachspeise im Zweifel halt gut sein.

Dampf machen

Wer der Küche Carte blanche gibt (kostet, je nachdem, wo man stopp sagt, zwischen 85 und 125 Euro), umgeht dieses Problem und kann sich dem Stakkato der Köstlichkeiten aus dem Feuer gewissenlos ergeben. Knusprig rauchige Topinambur-Schalen zum Beispiel, gefüllt mit köstlich poppender Tapioka ("Bauern-Kaviar"), knusprigem Quinoa und Schnittlauch – ein explizit weltläufig inszenierter vegetarischer erster Happen mit explizit heimeliger Aromatik.

Oder knackige Gemüse und Pilze, in eine dünne Scheibe allerbesten Schweinebauchs gerollt, die man in bissige Wasabivinaigrette tunkt. Oder ein Topf taufrischen Gemüses, der bei Tisch gedämpft wird, bevor er in einem bemerkenswerten Sugo aus Lammsalami von einem befreundeten Bauern baden darf – Letzteres schmeckt dank hoch aromatischer Tagetes-Blüten nur halb so rustikal, wie es klingt.

Zander vom Neusiedler See
Foto: Gerhard Wasserbauer

Zander vom Neusiedler See (s. Foto) wird mit BBQ-Rub eingelassen und gegrillt, bis die Haut knusprig scharf ist und die Muskeln sich glasig entblättern, dazu gibt es Papaya-Ragout aus glashauseigenem Anbau und eine im besten Sinne schmutzige Vadouvan-Mayonnaise obendrauf.

Kalbsniere, im eigenen Fett gegrillt, wird mit Herz, knusprigem Salbei und Gluterdäpfeln auf eine fantastisch zarte Paradeisersalsa gebettet, molto elegante. So geht es dahin, die Liwanzen mit aufwendig fermentierter und karamellisierter Apfelcreme und Rahmeis will man sich aber trotz fortgeschrittener Sättigung nicht vorenthalten. Und hinterher? Das Bett im Glashaus gilt alleweil als sportliche Variante.(Severin Corti, RONDO, 5.8.2022)

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