Kanzler Nehammer rutscht in eine Obmanndebatte.

Foto: AP Photo/Theresa Wey

Das ging jetzt schnell. Mitte Mai jubelten ihm die Delegierten noch zu und wählten ihn mit 100 Prozent zum neuen Parteiobmann. Wenige Wochen später taumeln Kanzler Karl Nehammer und seine ÖVP jetzt offenbar abermals in eine Obmanndiskussion. Das hat sich abgezeichnet.

Mit Karl Nehammer ging zwar ein Ruck durch die Partei – aber eben in die falsche Richtung. Die Volkspartei verlor auch unter seiner Obmannschaft weiter an Boden. Nehammer konnte nicht Tritt fassen, fand keine politische Linie, keine klaren Botschaften und Antworten auf die dringenden Fragen dieser Tage. Es mangelt ihm an Leadership in dieser Krise.

Patscherte Sager

Die PR-Versuche mit seiner sonderbaren Reise zu Putin und die höchst fragwürdige Aktion, dem Rechtspopulisten Viktor Orbán bei dessen Wien-Besuch einen roten Teppich auszurollen, brachten nichts ein außer übler Nachrede. Dazu die patscherten, ja peinlichen Sager über "Alkohol- und Psychopharmaka" oder "die Viren, die mich heute nicht kümmern".

Nehammer vermittelt mit seiner bisherigen Kanzler- und Obmannperformance den Eindruck, Opfer des Peter-Prinzips geworden zu sein. Eine Stufe zu hoch gestiegen. Auch der ehemalige Innenminister konnte seine Partei nach dem Absturz von "Ikarus" Kurz, in dessen Folge die ÖVP im Korruptionsstrudel mitgerissen wurde, bisher nicht konsolidieren.

Grüner Halt

Die Volkspartei befindet sich zweifellos in einer schweren Existenzkrise, und es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet der kleine Koalitionspartner, der die "türkise Schnöseltruppe" (Werner Kogler) seinerzeit durch Sonne und Mond kritisiert hatte, diese ÖVP nun in der Regierung hält. Solange die Grünen pakttreu bleiben, kann bis zu den regulären Wahlen 2024 wenig passieren – und die ÖVP an der Macht bleiben. Es ist beinahe rührend zu beobachten, wie die ehemals aufmüpfige und freche grüne Klubchefin Sigrid Mauer nun die große Verteidigerin der ÖVP gibt. Großes Theater.

Grüne und Türkise werden jedenfalls weiterhin sämtliche Neuwahlanträge im Parlament abschmettern.

Hinnehmbare Niederlagen

So gesehen, könnte es die ÖVP wirklich schaffen – wie es Udo Lindenberg reimte –, "keine Panik auf der Titanic" aufkommen zu lassen und die Sache auszusitzen. Egal ob weiter mit Karl Nehammer, ob vielleicht doch, wie in Gerüchten kolportiert, mit Karoline Edtstadler, Finanzminister Magnus Brunner oder Verbund-Chef Michael Strugl. Solange der kleine Koalitionspartner treu zur Seite steht, bleibt alles im grünen Bereich. Die Koalitionspartner ahnen ja: Bei Neuwahlen drohen beide im Bund unterzugehen. Daher sind auch schwere Niederlagen in den Bundesländern letztlich hinnehmbar und werden kaum Anlass für ein Platzen der Koalition geben.

Die Wirtschaftskrise und die Pandemie werden die türkis-grüne Regierung weiter permanent unter Stress stellen. Der Druck wird enorm steigen, aber wenn sich die ÖVP nicht selbst erledigt und ihrer alten Lust nach Intrigen nachgibt, wird der Wahltermin trotz aller Obmanndebatten halten.

Da kann sich die Opposition auf den Kopf stellen. (Walter Müller, 1.8.2022)