Ayman al-Zawahiri war seit der Tötung Osama bin Ladens die Nummer eins der Terrorgruppe Al-Kaida.

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Ayman al-Zawahiri (li.) und Osama bin Laden (Mitte) bei einer Pressekonferenz 1998 in Afghanistan.

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Washington/Kabul – Der Anführer des Terrornetzwerks Al-Kaida, Ayman al-Zawahiri, ist bei einem Antiterroreinsatz der USA in Afghanistan getötet worden. Al-Zawahiri sei am Sonntagmorgen um 6.18 Uhr Ortszeit bei einem Drohnenangriff in der afghanischen Hauptstadt Kabul getötet worden, sagte eine ranghohe Vertreterin der US-Regierung am Montagabend zu Reuters. US-Präsident Joe Biden äußerte sich bei einem kurzfristig anberaumten Auftritt im Weißen Haus in Washington selbst.

Operation über Monate vorbereitet

Biden hielt seine Ansprache auf einem Balkon der Regierungszentrale. "Es wurde Gerechtigkeit geübt, und dieser Terroristenanführer lebt nicht mehr", sagte der US-Präsident in einer Fernsehansprache. Der Einsatz sei ein klares Signal an alle Feinde der USA: "Egal wie lange es dauert, egal wo du dich versteckst: Wenn du eine Bedrohung für unsere Bevölkerung bist, werden die USA dich finden und ausschalten", erklärte Biden. Der US-Präsident befindet sich derzeit wegen einer Infektion mit dem Coronavirus in Isolation.

Die Regierungsmitarbeiterin sagte, die Attacke sei über Monate vorbereitet worden. Al-Zawahiri sei schließlich getötet worden, als er auf den Balkon seines Unterschlupfs in Kabul getreten sei. Zivile Opfer habe es nicht gegeben, nach US-Erkenntnissen sei lediglich al-Zawahiri ums Leben gekommen. Bei dem Einsatz seien auch keine US-Kräfte in Kabul gewesen. US-Erkenntnissen zufolge hätten Mitglieder der Taliban-Führung gewusst, dass sich der Al-Kaida-Chef in Kabul aufhielt. Sie hätten damit klar gegen Vereinbarungen mit den USA verstoßen.

DER STANDARD | AFP

Nachfolger Osama bin Ladens

Al-Zawahiri sei in der Zeit der Anschläge vom 11. September 2001 Osama bin Ladens Stellvertreter gewesen und nach dessen Tod an seine Stelle gerückt, sagte die US-Sprecherin. Der 71-Jährige sei der ranghöchste Anführer Al-Kaidas gewesen, habe weiter zu Anschlägen gegen die USA aufgerufen und so eine Bedrohung dargestellt. Sein Tod sei ein schwerer Schlag für die Terrorgruppe.

Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte al-Zawahiri im vergangenen September – genau 20 Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. In einer Videobotschaft rief er seine Anhänger damals auf, die Staaten im Westen und ihre Verbündeten im Nahen Osten zu bekämpfen. In den Jahren davor hatte es unbestätigte Gerüchte über seinen Tod gegeben. Sein genauer Aufenthaltsort war unbekannt.

Auch über seinen Gesundheitszustand wurde gerätselt. Medien berichteten 2019 unter Berufung auf Geheimdienstinformationen, al-Zawahiri leide unter Herzproblemen. Seine Tötung kam nun überraschend. Die USA hatten ein Kopfgeld von 25 Millionen Dollar (rund 24,4 Millionen Euro) auf ihn ausgesetzt. Experten hatten zuletzt vermutet, dass sich al-Zawahiri im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan versteckt.

Taliban verurteilen Angriff

Die radikalislamischen Taliban erklärten, ein Wohnhaus in Kabul sei am Sonntag mit einer Drohne angegriffen worden. Sie verurteilten die Attacke und warfen den USA den Bruch internationaler Prinzipien und des Vertrags zum Abzug der US-Truppen aus Afghanistan vor. Die Taliban-Behörden sperrten die Gegend um das Haus im Stadtteil Sherpoor und ließen keine Medienvertreter in die Nähe.

Ein ranghoher Taliban-Beamter sagte der Nachrichtenagentur Reuters, al-Zawahiri habe sich zuvor in der Provinz Helmand aufgehalten und sei nach der Machtübernahme der Taliban im vergangenen August nach Kabul gezogen.

Blinken: Taliban haben Abkommen verletzt

Der Drohnenangriff ist der erste bekannte US-Angriff in Afghanistan, seit die US-Truppen und Diplomaten das Land im August 2021 verlassen haben. Al-Zawahiris Tod wirft auch die Frage auf, ob der Al-Kaida-Chef nach der Übernahme Kabuls durch die Taliban im August 2021 Zuflucht bei ihnen fand. "Die Taliban werden sich für die Anwesenheit von al-Zawahiri in Kabul verantworten müssen, nachdem sie der Welt versichert haben, dass sie Al-Kaida-Terroristen keinen sicheren Hafen bieten werden", sagte Adam Schiff, Vorsitzender des ständigen Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses.

US-Außenminister Antony Blinken sagte, die Taliban hätten das Doha-Abkommen zwischen beiden Seiten "grob verletzt", indem sie al-Zawahiri beherbergten und ihm Unterschlupf gewährten. Das im Februar 2020 abgeschlossene Abkommen verbietet Afghanistan unter anderem, terroristischen Organisationen oder Personen Unterschlupf zu gewähren.

Der ehemalige US-Präsident Barack Obama lobte die Aktion am Montag. "Die heutige Nachricht ist auch ein Beweis dafür, dass es möglich ist, den Terrorismus auszurotten, ohne in Afghanistan Krieg zu führen", erklärte Obama auf Twitter. (APA, Reuters, red, 2.8.2022)