Das Lichtermeer am Stephansplatz am Montagabend.

Foto: IMAGO/Martin Juen

Es waren berührende Szenen am Wiener Stephansplatz: Mit einem Lichtermeer, bestehend aus Kerzen, Taschenlampen und Smartphones, wurde dort am Montagabend der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr gedacht. Viele Monate lang war Kellermayr von Hassnachrichten und Morddrohungen heimgesucht worden. Vergangene Woche setzte sie ihrem Leben ein Ende. Wie weit jene Menschen, die ihre Opfer monatelang mit Drohungen tyrannisieren, bereit sind zu gehen, dürfte immer mehr öffentlich exponierte Ärztinnen und Ärzte beschäftigen. In der Corona-Pandemie wurden sie zur Zielscheibe.

Ermittlungen eingestellt

Bei dem Wiener Infektiologen Christoph Wenisch dürfte es mit einem Foto zu tun gehabt haben. Er war es, der zum Start der Impfkampagne in Wien den ersten Stich erhielt und dazu jubelnd die Faust ballte. Das Foto kennt man. Daraufhin wurde ihm per Brief angedroht, ihm "den Kopf abzuschneiden". Wenisch erhielt auch eine Collage, "das war grauslich und wirkt natürlich nach", erzählte er bereits vergangenes Jahr. Die Polizei kam, führte eine Spurensicherung durch, die Täter konnten jedoch nicht gefasst werden. Das Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Korneuburg eingestellt, weil "kein gerichtlich strafbarer Tatbestand nachgewiesen werden konnte".

Auf das gestiegene Bedrohungsszenario für Ärztinnen und Ärzte in der Pandemie verwies auch bereits David Blum, der stellvertretende Direktor der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) und Leiter des Nachrichtendienstes, im Februar. Damals marschierten Corona-Maßnahmen-Gegner im Wochentakt vor Spitälern auf.

Dieses Bild machte den Infektiologen Christoph Wenisch zur Zielscheibe.
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Gegenüber der Kronen Zeitung schildere ebenfalls ein anonymer Mediziner, Morddrohungen erhalten zu haben. Aus diesem Grund habe er sich nicht mehr aus dem Haus getraut. Der Arzt habe außerdem nicht das Gefühl, dass große Anstrengungen unternommen werden, um zu helfen. Er fordert mehr Unterstützung für Betroffene.

Das fordert auch die Zara-Beratungsstelle gegen Hass im Netz. Demnach müssten die Polizei, die Staatsanwaltschaft und Gerichte verstärkt zu Hass im Netz sensibilisiert werden. Gerade eine psychologische Unterstützung sei wichtig, hieß es gegenüber dem STANDARD.

Keine Hassstatistik

Wie viele Ärzte und Ärztinnen von Drohungen betroffen sind, lässt sich nicht sagen. Weder in der Ärztekammer noch im Gesundheitsministerium oder bei der Justiz scheint eine Statistik darüber auf, wie viele Ärzte seit Pandemiebeginn mit Gewalt konfrontiert wurden. Ärztekammer-Vizepräsident Edgar Wutscher verweist in der Krone darauf, dass auch bereits vor Corona jeder zehnte Wiener Hausarzt einmal körperlich attackiert wurde. "In der Pandemie haben die Attacken deutlich zugenommen. Auch in ihrer Intensität." (red, 2.8.2022)