US-Präsident Joe Biden verkündete in der Nacht auf Dienstag den Tod von Ayman al-Zawahiri.

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Al-Kaida-Chef Ayman al-Zawahiri wurde ausgerechnet in der afghanischen Hauptstadt Kabul erwischt.

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Der Triumph von US-Präsident Joe Biden, in seiner Amtszeit den Führer der Terrororganisation Al-Kaida zur Strecke gebracht zu haben, hat gleich mehrere Makel. 21 Jahre, eine menschliche Generation lang, hat er seit 9/11 in Freiheit gelebt. Aber besonders bitter ist, dass Ayman al-Zawahiri ausgerechnet in Kabul erwischt wurde: Eine traurige Erinnerung an den bevorstehenden Jahrestag des unrühmlichen chaotischen US-Abzugs aus der afghanischen Hauptstadt, die nach 20 Jahren Krieg wieder den Taliban überlassen wurde.

Lange Zeit waren die Taliban für die US-Strategen identisch mit Al-Kaida, der Organisation von al-Zawahiris Vorgänger Osama bin Laden, die am 11. September 2001 die USA angegriffen hatte. Diese Vereinfachung war genauso falsch, wie 20 Jahre später zu meinen, die Taliban hätten sich seitdem grundlegend geändert und würden in Afghanistan auch nur den Ansatz von Diversität zulassen.

Biden überging, als er den Tod des 71-jährigen Ägypters verkündete, diese Umstände. Ohne Wissen der Taliban, mit denen Bidens Vorgänger Donald Trump verhandelte – was nach 9/11 niemand für möglich gehalten hätte –, hätte sich al-Zawahiri nicht in Kabul aufhalten können. Zu Al-Kaida haben die Taliban, deren alte ultrakonservative Führung sich in den vergangenen Monaten wieder durchgesetzt hat, nicht nur eine historische Beziehung, weil sie ihr in den 1990er-Jahren Unterschlupf gewährten. Al-Kaida ist auch die Konkurrenzorganisation zum "Islamischen Staat" (IS), dessen Terror die Taliban seit ihrer Machtübernahme nicht eindämmen konnten.

DER STANDARD | AFP

Al-Kaida hat überlebt

Seit sich der IS ausbreitete und seinen Terrorismus auch in den Westen, besonders nach Europa, trug, trat Al-Kaida international in den Hintergrund. Es wäre jedoch ein Fehler, sie als erledigt zu betrachten: Was in Kabul passiert, zeigt, dass sie noch immer mitspielt. Vielleicht war al-Zawahiri, der als Intellektueller in der Führung galt, ja auch jemandem im Weg.

Al-Kaida wird oft abgeschrieben, weil der IS auch noch nach seiner territorialen Niederlage im Irak und in Syrien noch immer den internationalen Jihadismus dominiert. Das schrecklichste Erbe Osama bin Ladens und seines Nachfolgers Ayman al-Zawahiri ist jedoch, dass sich in den vergangenen 20 Jahren zu viele Menschen in der islamischen Welt an eine Ideologie wie die ihre gewöhnt haben. Im Westen Syriens, in Idlib, keine 100 Kilometer vom "Mare Nostrum", dem Mittelmeer, entfernt, hat sich eine zur Al-Kaida zählende Gruppe als mächtigste Kraft etabliert. (Gudrun Harrer, 2.8.2022)