Kaum ein Vulkanausbruch wurde fotografisch und filmisch so festgehalten wie der des isländischen Fagradalsfjall im Vorjahr.

Foto: imago images/Ritzau Scanpix

Die Erde in Island bebt wieder. Für die Vulkaninsel und die dort ansässige Bevölkerung ist das per se nichts Außergewöhnliches. Aktuell sorgt die Anzahl und Heftigkeit der Erdstöße allerdings für Alarmbereitschaft. Nachdem bereits in den vergangenen Tagen tausende Erschütterungen gemessen wurden, kamen in den vergangenen 48 Stunden über 3.000 Erdbeben hinzu.

Die allermeisten davon traten auf der Halbinsel Reykjanes, südwestlich der isländischen Hauptstadt Reykjavík, auf. Einige davon waren mit einer Magnitude von über 5 auch dort noch stark spürbar beziehungsweise sorgten für umgestürzte Regale in Geschäftslokalen und andere kleinere Gebäudeschäden. Personen dürften ersten Berichten zufolge bislang nicht verletzt worden sein.

Eruption von Fagradalsfjall

Die Region ist spätestens seit dem Vorjahr weltbekannt, als der Ausbruch des Vulkansystems Fagradalsfjall für spektakuläre Bilder und Videos sorgte. Da dem Magma-Austritt im März 2021 ebenfalls sogenannte Schwarmbeben vorangegangen waren, fürchten Fachleute nun, dass es erneut zu einem Ausbruch kommen könnte. Neben Fagradalsfjall beherbergt die Halbinsel weitere Vulkansysteme wie Krýsuvík, aus denen das über 1.000 Grad heiße Magma an die Erdoberfläche treten könnte.

Der Vulkanausbruch des Fagradalsfjall wird auch oft nach der Eruptionsspalte im Tal Geldingadalur bezeichnet.
Olivier Grunewald

"Das Zentrum der erhöhten Seismizität liegt nordöstlich von Fagradalsfjall und in der Nähe der Ortschaft Grindavík. Satellitendaten zeigen im Zusammenhang mit den Beben auch deutliche Bodenbewegungen, was auf Magmenbewegungen im Untergrund hindeutet", sagt Vulkanforscher Edgar Zorn vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam dem STANDARD. Da das Magma in der Region nur wenige Kilometer unter der Erdoberfläche schlummere, könne es relativ schnell an die Oberfläche gelangen und austreten. Gleichzeitig könne kein Mensch seriös vorhersagen, ob und wann das tatsächlich passiert.

Riesiges Magmafeld im Untergrund

Folgte den seismischen Aktivitäten und auftretenden Schwarmbeben im Frühjahr 2021 ein Ausbruch, blieben ähnliche Erschütterungen um Weihnachten 2021 vorerst folgenlos. Sorgen bereitet Fachleuten, dass unter dem Fagradalsfjall ein riesiges Magmafeld von mehreren Kubikkilometern vermutet wird. Bei dem sechs Monate dauernden Ausbruch im Frühling 2021 war aber nur ein Bruchteil davon an die Oberfläche gelangt. Das steigere das Risiko für wiederholte Eruptionen, ein anhaltender Lavafluss könnte aber auch weiter entfernte Wohngegenden bedrohen.

Die Erdbebendaten sind unter anderem auf der Website vafri.is/quake abrufbar.
Screenshot: vafri.is/quake

Tektonisch ist das Gebiet hochinteressant. Genau unter ihm verläuft der sogenannte Mittelatlantische Rücken, eine unterhalb des Meeresspiegels liegende Gebirgskette, die die nordamerikanische und die eurasische Kontinentalplatte trennt. Anders als bei einigen anderen bekannten Erdbebengebieten, wo häufig Platten aufeinandertreffen, driften Nordamerika und Europa langsam auseinander. Dieser Prozess ist mit ein Grund für die starken seismischen Aktivitäten in Island.

Einige der nun wieder auftretenden Befürchtungen sind historisch bedingt. Denn gerade diese Region ist bekannt dafür, hunderte bis tausend Jahre von Eruptionen verschont zu bleiben. Traten diese in der Vergangenheit auf, dauerte die Phase der Aktivität dann aber oft über mehrere Jahrzehnte bis zu einem Jahrhundert an. Forschende hegen folglich die Befürchtung, dass die über 800 Jahre lang schlummernden Vulkansysteme auf der Halbinsel in solch eine aktive Phase mit wiederholten Ausbrüchen treten könnten.

Aschewolke wie bei Eyjafjallajökull?

Anders als bei beim Ausbruch des Eyjafjallajökull im Jahr 2010, dessen riesige Aschwolke den Flugverkehr in halb Europa lahmlegte, könnten etwaige Ausbrüche in der nun betroffenen Region weniger explosiv ausfallen. "Beim Eyjafjallajökull handelt es sich um einen Vulkan, der sich unter einem Gletschersystem befindet. Als das Magma an die Oberfläche trat, traf es auf das eiskalte Schmelzwasser", erklärt Vulkanexperte Zorn. "Der entstehende Wasserdampf hat die Lava förmlich zerrissen und so für die explosive Aschenbildung gesorgt."

Martin Rietze

Auf der Reykjanes-Halbinsel seien derartige Ascheeruptionen weniger wahrscheinlich. Eher seien sogenannte Spalteneruptionen wie im Vorjahr zu erwarten, bei denen das Magma aus den entstehenden Bruchstellen an der Erdoberfläche austritt. Neben dem Lavafluss könne bei einem größeren Ausbruch aber auch die Gasentwicklung ein Problem werden. Davon könnten nicht nur Island, sondern auch Teile Europas betroffen sein, gibt Zorn zu bedenken.

Im 18. Jahrhundert sorgte etwa der Ausbruch des Laki-Vulkans in Island dafür, dass geschätzte 120 Millionen Tonnen an giftigem Schwefeldioxid und über 40 Millionen Tonnen Kohlendioxid in der Atmosphäre landeten. Aus der zwölf Kilometer langen Spalte, die nach einer Serie von Erdbeben aufgerissen war, flossen ab dem Ausbruch im Jahr 1783 knapp 15 Kubikkilometer an basaltischer Lava aus, was etwa 42 Milliarden Tonnen entspricht. Die mit Wasser reagierenden Vulkangase verseuchten die Natur und ließen Nutztiere verenden. Zudem brachten sie das Wetter über Jahre großräumig durcheinander.

"Vulkane sind unberechenbar"

So weit ist es auf der isländischen Halbinsel aber noch nicht. "Vulkane sind und bleiben unberechenbar. Ob morgen, nächste Woche oder erst in mehreren Jahrzehnten etwas passiert, ist äußert schwierig vorherzusagen", erklärt Zorn. Die seit zwei Jahren wiederholt auftretenden Erdbebenschwärme seien jedoch selbst für das erdbebenerprobte Island außergewöhnlich. "Es ist in dieser Region definitiv sehr unruhig geworden. Das war davor nicht so." (Martin Stepanek, 2.8.2022)