Das Hass-im-Netz-Paket habe an der Bedrohungslage und an Lisa-Maria Kellermayrs Alleingelassensein weder zum Guten noch zum Schlechten irgendetwas verändert, sagt Nikolaus Forgó, Professor für Technologierecht an der Universität Wien, im Gastkommentar.

Mehr Schutz im Internet, mehr Schutz im realen Leben forderte diese Frau Montagabend bei der Mahnwache für die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr vor dem Stephansdom in Wien.
Foto: APA / Georg Hochmuth

Im Herbst 2020, im Jahr eins der Pandemie, wurde in Österreich mit großem Brimborium das Hass-im-Netz-Gesetzespaket und als dessen Teilinhalt das Kommunikationsplattformengesetz beschlossen. Man warb damals mit dem Satz: "Mit dem heute beschlossenen Gesetzespaket stellen wir sicher, dass Nutzerinnen und Nutzer künftig effektiver gegen strafrechtswidrige Inhalte im Internet vorgehen können, und geben dabei auch den Kommunikationsplattformen einen klaren Rahmen vor." Österreich wollte, wie später dann zum Beispiel auch bei der Impfpflicht, mal wieder (fast) Erster sein in Europa, hier wie dort agierte man gegen den Rat mancher Expertinnen und Experten und brachte das Gesetz rasch durch, schließlich war ja Pandemie, und man musste schnell sein.

Weiterer Höhepunkt des Hasses

Zwei Jahre später, im Jahr drei der Pandemie, stehen wir vor den Trümmern (auch) dieses Gesetzes. Nicht nur, dass weite Teile, wie schon damals erwartet, sang- und klanglos wieder verschwinden werden müssen, weil sie durch Europarecht verdrängt werden; das Paket hat außerdem auch nicht dazu geführt, dass es in Österreich erkennbar weniger Hass im Netz geben würde.

Vielmehr entstand im Gegenteil, mit dem mutmaßlichen Suizid einer engagierten Ärztin, Dr. Lisa-Maria Kellermayr, die systematisch verfolgt und bedroht wurde, ohne dass ihr auf ihre expliziten und mehrfach geäußerten Bitten hin erfolgreich geholfen wurde, nur ein weiterer Höhepunkt des Hasses und seiner Folgen. Nur ein weiterer Höhepunkt deshalb, weil Frau Kellermayr auch post mortem weiter verhöhnt wird und weil auch nach diesem Suizid sehr ähnliche Inhalte gegen andere (zumeist weibliche) Personen weiterhin jeden Tag aufs Neue verbreitet werden.

Rechtswidrig und strafbar

Deswegen ist es Zeit, Einsichten zu wiederholen, die schon vor zwei (oder vor zehn) Jahren sichtbar waren:

Erstens: Hass, Drohungen und Gewalt verschwinden nicht einfach, wenn man sie verbietet. Alles Bekannte, was gegen Kellermayr gerichtet war, war schon nach alter Rechtslage rechtswidrig und strafbar. Es sind, zu einem Gutteil, primitivste, obszönste, abstoßende Gewaltfantasien, kombiniert mit realen Bedrohungen im realen Leben. Das Hass-im-Netz-Paket hat an der Bedrohungslage und an Kellermayrs Alleingelassensein weder zum Guten noch zum Schlechten irgendetwas verändert. Vielmehr wurde sie trotz oder gerade wegen des Pakets weiter belastet durch eine Mischung aus mutmaßlicher Inkompetenz und Wurschtigkeit der mit der Sache befassten Stellen, kombiniert mit einer sehr österreichischen "Da könnt ja jeder kommen"-Mentalität, als die Vorwürfe gegen die Behörden öffentlich(er) diskutiert wurden und zur Empfehlung führten, Kellermayr solle doch besser nicht so die Öffentlichkeit suchen, also mit anderen Worten sich ihrem Schicksal fügen und einfach still sein.

Zweitens: Während der Pandemie ist eine aggressiv staats- und demokratiefeindliche Szene entstanden, die bis in manche Parlamentspartei reicht. Sie wurde (und wird) nicht nur sträflich unterschätzt, sondern durch wissenschaftsfeindliche, evidenzfeindliche, die Pandemie und ihre Folgen verharmlosende Egoismen zugunsten scheinbare Mehrheiten fördernder Positionen bis in die Mitte der Gesellschaft hineingetragen und hier ständig weiter genährt. Diese Szene bekommt man nicht in den Griff, indem man dafür plädiert, innezuhalten und Gräben zuzuschütten, erst recht nicht, wenn man gleichzeitig Wissenschafterinnen und Wissenschaftern weiter ausrichtet, sie mögen sich denn nun bitte bei Äußerungen zur Pandemie besser zurückhalten, denn sie verstünden die Komplexität der Probleme nicht, sie seien ja nur Expertinnen und Experten, was hier nur ein Euphemismus ist für Fachidioten.

Jeder kann Adressat sein

Drittens geht es in dieser aggressiven Szene und in dieser Debatte unter anderem um eine Besetzung des öffentlichen Raums, darum, wer die Deutungshoheit zu den großen Geschichten dieser Pandemie erlangen soll. Dabei organisiert sich die oben beschriebene Szene so, dass sie schwarmartig potenziell über jeden und alles herfällt, was den eigenen Interessen und Sichtweisen widerspricht.

Jeder engagiert auftretende Wissenschafter, jede Staatsbürgerin, jede Ärztin, selbst jeder Minister kann jederzeit Adressatin oder Adressat derartiger Attacken werden, manchmal online, manchmal offline; wer das nicht riskieren kann oder will, verschwindet aus dem öffentlichen Raum, im traurigen Extremfall, wie dem Kellermayrs, endgültig.

Viertens: Bei Hass im Netz geht es ums Netz. Wer ihn also bekämpfen will, muss auch etwas vom Netz verstehen. Der beklagenswerte Zustand, dass technisch und sozialwissenschaftlich (und oft auch juristisch) Ahnungslose Zielzustände in Normen gießen, die mit der Realität und mit einer faktischen Realisierbarkeit nichts gemein haben, während Verfolgungsbehörden gleichzeitig schulterzuckend davor kapitulieren, dass etwas – angeblich – im Darknet oder jenseits der Grenzen geschieht, muss enden. Digitale Grundbildung muss endlich zu mehr werden als einem neuen Schulfach, und es muss aufhören, dass Behörden ihr Nichtstun hinter angeblichen technischen oder rechtlichen Zwängen – Darknet hier, angebliche Datenschutzanforderungen da – verstecken können. (Nikolaus Forgó, 3.8.2022)