Der Tod der oberösterreichischen Ärztin wird weiterhin rege diskutiert: Hätten die Behörden anders handeln können? Und welche Lehren lassen sich für die Zukunft ziehen?

Foto: Robert Newald

Sie behandelte Corona-Erkrankte und warb für die Impfung: Dafür war die oberösterreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr monatelang dem Hass von Corona-Maßnahmengegnern ausgesetzt. Die Kritik, dass die Behörden die Ärztin zu wenig schützten, reißt auch Tage nach ihrem Tod nicht ab.

Wie arbeitet die Polizei die Geschehnisse nach dem ersten Schock auf? Aktuell scheint die Antwort zu lauten: kaum. So weist die Behörde jede Schuld von sich, alle "gesetzlich möglichen Maßnahmen" seien "ausgeschöpft worden", heißt es von der oberösterreichischen Landespolizeidirektion (LPD).

Dabei ist fraglich, wie aktiv die Behörden dabei waren, den Hass gegen Kellermayr zu verfolgen. Das Innenministerium betont auf Anfrage, dass schon früh Maßnahmen gesetzt worden seien. Kellermayr sei seit November 2021 polizeilich beraten worden, dabei sei auch die Sicherheitslage besprochen worden. Die polizeilichen Schutzmaßnahmen rund um die Ordination seien dann erhöht worden.

"In die Öffentlichkeit drängen"

Doch ein eher zaghaftes Vorgehen in dem Fall suggerieren die Ermittlungen bezüglich einer Moddrohung, die Kellermayr gemeldet hat. Diese waren bald eingestellt worden – ohne Ergebnis. Bald darauf ließ sich das Umfeld des Verfassers durch eine externe Netzaktivistin kurzfristig feststellen. Die oberösterreichische LPD verteidigte sich damit, dass Mittel genutzt worden seien, die ihr nicht zur Verfügung stünden – was sich später als unwahr herausstellte. Mehr noch: Die LPD richtete der Ärztin aus, sie würde sich "in die Öffentlichkeit drängen" und mit ihrer Kritik an mangelnder Hilfe durch die Behörden "das eigene Fortkommen fördern" wollen. Derzeit läuft ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Täter, das bei der Staatsanwaltschaft Wels liegt.

Die Oberösterreichische Ärztekammer, die Kellermayr ausrichtete, sie solle sich nicht mehr öffentlich "exzessiv zu Wort" zu melden, sieht keinen Grund für ein Fehlereingeständnis. Hinter vorgehaltener Hand sagen Vertreter der Ärztekammer Österreich allerdings, dass die Aussagen der Landeskammer unglücklich gewesen seien. Offiziell lässt sie den STANDARD wissen, dass der Fall intern aufgearbeitet werde.

Politik hält sich zurück

Von politischer Seite spricht Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) auf Anfrage von einer "furchtbaren Tragödie". Die Polizei und die Ärztekammer hätten versichert, "dass sie alles unternommen haben, um Kellermayr in dieser Situation zu unterstützen". Er wisse zwar, dass es "schwierig ist für die Behörden, weil sich viele Radikale unter dem Deckmantel der Anonymität verstecken, aber da würde ich mir teilweise schon ein härteres und schnelleres Vorgehen erwarten".

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sagt, dass es wichtig sei, Strafrechtliches zu verfolgen. "Aber es ist weiterhin ein neues Phänomen. Da braucht es eine Sensibilisierung aller Beteiligten." Die rechtlichen Voraussetzungen seien da, nun müsse man analysieren, an welcher Stelle man es "vielleicht besser gemacht" haben könnte. "Ich weiß aber auch, im Nachhinein sagt sich das leicht", sagt Edtstadler.

Beschimpfungen

Kellermayr wurde auch oft auf Telegram beschimpft, wo gezielte Angriffe gegen sie organisiert wurden. "Grundsätzlich sind Plattformen zur Herausgabe von Daten verpflichtet, wenn dies zur Verfolgung von Straftaten notwendig ist", sagt die Juristin Lisa Seidl. Das gestaltet sich speziell bei Telegram zur Herausforderung: Die Plattform reagiert oft nicht auf Anfragen der Behörden, wie das Innenministerium sagt. "Dadurch ist es schwer, bedenkliche Inhalte löschen zu lassen und Verantwortliche ausfindig zu machen. Vereinzelt konnten Erfolge erzielt werden", sagt ein Sprecher. Deutschland konnte durch politischen Druck die Konzernspitze Telegrams zu einer intensiveren Zusammenarbeit bewegen – in Österreich ist das allerdings bisher nicht geschehen. (Muzayen Al-Youssef, Sandra Schieder, Markus Sulzbacher, 2.8.2022)