Makellose Haut, ein strahlend weißes Lächeln, im Hintergrund ein traumhafter Strand oder eine atemberaubende Landschaft. Fotos dieser Sorte finden wir tagtäglich in den Social Media. Die Aufnahmen sind kitschig schön und zumeist meilenweit von der Realität entfernt.
Die perfekte Selbstdarstellung, die durch Instagram, Tiktok und Facebook verstärkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist, ist keineswegs ein Phänomen unserer Zeit. Bereits die Porträts, auf denen Diego Velázquez (1599–1660) den spanischen König Philipp IV. verewigte, waren unrealistisch und geschönt.
Flut der Idealbilder
"Idealisierte Porträts sind keine neue Erfindung, der Unterschied ist, dass wir heute von so vielen dieser Bilder umgeben sind", sagt Charlotta Björklind von der Swedish Psychoanalytical Association. Die Psychoanalytikerin beschäftigt sich seit Jahren mit den Bereichen Identität, Selbstbild und idealisiertes Selbstbild in einer Gesellschaft, in der wir konstant von bearbeiteten Bildern umgeben sind oder diese auch selbst produzieren und online mit der Welt teilen.
Anders als viele ihrer Kolleginnen und Kollegen versteht Björklind diesen Trend nicht als Anzeichen für eine narzisstischer werdende Gesellschaft. "Wir sollten aufpassen, dass wir nicht alles, was mit zeitgenössischer Kultur zu tun hat, pathologisieren", erklärt sie. In ihrer Tradition als altehrwürdige Denkschule beäuge die psychoanalytische Gemeinschaft neue Entwicklungen oft skeptisch.
Aufmerksamkeit als Droge
Problematisch werde die Fixierung auf Bilder, wenn Menschen in eine Spirale geraten, aus der sie nicht ausbrechen können. Björklind sprach bei der diesjährigen Jahrestagung der Europäischen Psychoanalytischen Föderation, die unter dem Thema "Ideale" stattfand und vom Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse mitorganisiert wurde.
In ihrem Vortrag "Confusing yourself with your ideal self" stellte die Praktikerin ein Beispiel aus ihrem Berufsalltag vor, in dem die Fixierung auf die ideale Selbstpräsentation bedenkliche Züge angenommen hatte.
Es handelt sich um eine junge Frau, die Stunden damit zubrachte, ihre Bilder vor dem Posten zu bearbeiten und die Reaktionen darauf zu überwachen. Sie habe immer größeren Aufwand betrieben und doch immer weniger Befriedigung aus der Online-Aufmerksamkeit gezogen, erzählt Björklind. "Es war wie eine Droge für sie."
Überfluss und Frustrationstoleranz
Die Ursache für dieses Verhalten liegt ihrer Meinung nach in einer Sehnsucht nach externer Anerkennung, die einem zeigt, dass man wertvoll und liebenswert ist. Doch auch hier warnt Björklind vor voreiligen Schlüssen. Nicht immer müsse ein tiefgreifender Mangel hinter dem Bedürfnis nach ständiger Anerkennung stecken.
Das zeige die Entwicklung in westlichen Gesellschaften. "Unsere Lebensumstände haben sich glücklicherweise laufend gebessert." Das könne dazu führen, dass man mit Zeiten des empfundenen Mangels schwer umgehen kann. "Wir müssen auch lernen, eine gewisse Frustrationstoleranz zu entwickeln."
Manipulation und Deepfakes thematisieren
Für die Psychoanalytikerin gilt der Fall ihrer Patientin dennoch als Ausnahme, der Großteil insbesondere junger Menschen könne mit der von Bildern dominierten Welt sehr gut umgehen, schließlich seien sie damit aufgewachsen. Auch sieht sie die vielen Bilder im Gros der Fälle schlicht als neue Kommunikationsform.
Dass manche Länder Werbungen, die mit Photoshop oder anderen Programmen bearbeitet wurden, eigens kennzeichnen wollen, begrüßt sie dennoch. "Es ist gut, dass wir diese Diskussionen führen und mehr Menschen ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie stark Bilder, Videos oder auch Livestreams manipuliert werden können." Insbesondere im Hinblick auf Deepfakes müsse man sich darauf einstellen, dass diese Technologien gekommen sind, um zu bleiben.
Normal oder krankhaft?
Vielfach hört sie von besorgten Eltern, dass die Kinder ständig am Handy hängen. Verbunden ist diese Feststellung meist mit der Frage, ob dieses Verhalten denn bedenklich sei. "Das muss keinesfalls schlecht sein, schließlich macht es auch Spaß, die eigenen Fotos zu bearbeiten, oft dient das schlicht der Unterhaltung", sagt Björklind.
Zudem können Idealbilder der eigenen Person auch motivieren. Solange sich Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene nicht völlig von der Außenwelt isolieren, bestehe kein Anlass zur Sorge. (Marlene Erhart, 6.8.2022)