Auch bei einem weiteren Kanzleraustausch scheinen Grünen-Chef Kogler und Klubchefin Maurer auf Weitermachen gepolt.

APA / Georg Hochmuth

Die Gerüchte wurden lauter. Immerhin so laut, dass sich sowohl der Kanzler als auch der am öftesten als potenzieller Nachfolger Genannte bemüßigt fühlten, ihnen entgegenzutreten. Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer und sein Parteikollege Finanzminister Magnus Brunner rückten am Montag und Dienstag nämlich aus, um die grassierenden Ablösegerüchte um den in Umfragen schwächelnden Kanzler als "mediale Sommerlochdebatte" darzustellen. Auch wenn es sich bei den Gerüchten tatsächlich eher um ein Sommerlüfterl handeln sollte, lehrt allerdings die politische Erfahrung: Wenn in der Öffentlichkeit alle hinter einem stehen, schadet es nicht, sich gelegentlich umzudrehen.

Eine tatsächliche Ablöse Nehammers, egal wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich sie auch sein mag, würde jedenfalls ein gewisses Dilemma für den grünen Koalitionspartner bedeuten – auch wenn man sich in der Partei aktuell bemüht zu vermitteln, dass ein solches nicht in Sicht sei. Denn in Hintergrundgesprächen war aus den grünen Schaltzentralen bis vor kurzem noch zu hören gewesen, dass ein weiterer Kanzlerwechsel in der ÖVP – es wäre der dritte innerhalb von weniger als einem Jahr – wohl das Ende der türkis-grünen Koalition bedeuten würde.

Allerdings: An einer Neuwahl könnte den Grünen auch bei einem weiteren Kanzlertausch kaum gelegen sein. Abseits der staatspolitischen Verantwortung inmitten von Ukraine-Krieg, Teuerungswelle, Energie- und Gaskrise sowie weiter grassierender Pandemie und ausstehender grüner Prestigeprojekte wie des neuen Transparenzgesetzes dürften auch die aktuellen Umfragewerte eher keine Wahlkampfstimmung aufkommen lassen. Bei der Nationalratswahl 2019 noch bei fast 14 Prozent gelandet, liegen die Grünen in Befragungen derzeit nur bei neun bis zehn Prozent.

"Wenig Aufregung"

Wohl auch deshalb gibt man sich bei den Grünen nach außen hin betont entspannt, was eine etwaige Nehammer-Ablöse angeht. Wer sich in der Partei umhört, erfährt, dass intern nur relativ wenig debattiert werde. Das dürfte zwar auch an der aktuellen Haupturlaubszeit liegen. Es herrsche aber auch grundsätzlich "wenig Aufregung" über die Gerüchte beim Regierungspartner, wie es jemand aus dem Kreis der grünen Abgeordneten formuliert.

Einerseits würden viele in der Partei einen tatsächlichen Austausch Nehammers – nicht zuletzt wegen des Mangels an zugkräftigen personellen Alternativen – nicht für allzu wahrscheinlich halten. Andererseits würde die Instabilität, die eine weitere Kanzlerablöse manifestieren würde, auf die ÖVP abfallen und nicht auf einen selbst, zeigen sich viele in der Partei überzeugt. Es handle sich dabei in erster Linie um ein "Problem der ÖVP", war von mehreren Grünen zu hören. "Ich sehe nicht, dass wir zu arbeiten aufhören wollen, weil es den Koalitionspartner schleudert", sagt ein Parteimitglied zum STANDARD.

Auch die grüne Klubchefin Maurer hat erst am Sonntag verbale Pflöcke zum Weiterregieren eingeschlagen. Es gebe eine "stabile Bundesregierung, die große Krisen zu bewältigen hat". Einen Grund, über Neuwahlen oder andere Koalitionskonstellationen zu spekulieren, sehe sie nicht.

Abgehärteter Partner

In der Tat sind die Grünen bereits von deutlich größeren Sorgen hinsichtlich ihres Koalitionspartners abgehärtet. Als unter der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz eine mögliche Anklage des Kanzlers wie ein Damoklesschwert über der ÖVP hing, stellte das die bisher größte Zerreißprobe für die Koalition dar.

Das Weiterregieren unter einem angeklagten Regierungschef hätte einer Partei, die gerne mit Schlagwörtern wie "saubere Politik" wahlkämpfte, schließlich sowohl in der Öffentlichkeit als auch an der eigenen Basis Glaubwürdigkeitsprobleme eingebracht. Für viele in der Partei wäre mit der Kurz-Anklage eine rote Linie erreicht gewesen.

Zugeständnisse statt Wahl

Ein weiterer Kanzlertausch wegen interner Unruhe in der ÖVP nähme sich dagegen als vergleichsweise kleineres Problem für die Grünen aus. Das Wahrnehmen der Regierungsverantwortung inmitten der aktuellen multiplen Krisen würde sich als plausibler Grund verkaufen lassen – umso mehr, als gerade die Gas- und Energiekrise grüne Kernthemen berührt.

Auch der Politikwissenschafter Peter Filzmaier geht im STANDARD-Gespräch davon aus, dass die Grünen einen Kanzlertausch akzeptieren würden. Für ihre Zustimmung würden sie wohl einen "politischen Preis verhandeln" – also inhaltliche Zugeständnisse einfordern –, aber keine Neuwahl anstreben, sagt der Politologe. Und dann könnte da noch eine Rolle spielen, was ein grüner Parlamentarier im Gespräch andeutet: "Eine instabile ÖVP", sagt er, "muss für die Umsetzung der grünen Regierungsprojekte nicht unbedingt ein Nachteil sein." (Martin Tschiderer, 2.8.2022)