Die zwei Grundsatzreden von Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei der Eröffnung der Festspiele in Bregenz und Salzburg sind bedeutsame und rechtzeitige Weckrufe. Die Tatsache, dass er im Gegensatz zum Schweigen ehemaliger Bundeskanzler und Minister, die von Wladimir Putin und seinen Oligarchen lukrative Verträge erhalten haben, selbstkritisch zugab, er selbst habe sich täuschen lassen, verleiht seinen Warnungen vor dem Diktator und Appellen für die Solidarität mit der Ukraine zusätzliches Gewicht.

Je mehr Zeit nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine vergeht, desto lautstärker werden auch in Österreich die ahnungslosen Beschwichtiger, die geschäftstüchtigen oder naiven Schönredner. Bei den unbelehrbaren "Putin-Verstehern" in Politik und Medien handelt es sich keineswegs nur um den rechten Rand, um die FPÖ und die Anhänger der Verschwörungstheorien. Es gibt auch Stimmen aus der SPÖ, die, zum Teil wegen eines unterschwelligen, mit Antikapitalismus vermischten Antiamerikanismus, auch heute noch ein außenpolitisches Wunschdenken verbreiten.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele.
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Der herausragende deutsche Historiker (und SPD-Mitglied!) Heinrich August Winkler schrieb kürzlich im Spiegel (11. 6.): "Der sozialdemokratische Programmansatz, dass es Frieden nicht gegen, sondern nur mit Russland geben kann, ist korrekturbedürftig. Wie zur Zeit des Kalten Kriegs bedarf es einer glaubwürdigen Abschreckung, um sich mit Russland auf Frieden in Europa verständigen zu können. Die westlichen Demokratien müssen in der Lage sein, den Frieden auch gegen Russland zu sichern."

Wenn er sagt, das sei eine Lehre, die durchaus in Einklang mit der Ostpolitik Willy Brandts stehe, dann muss man hinzufügen, dass das auch für die Haltung Bruno Kreiskys gilt, der in einer großangelegten Rede im Sommer 1968 auf drei Lehren aus der Invasion in der ČSSR hingewiesen hatte: Hoffnungen, eine kommunistische Diktatur zu "demokratisieren", seien trügerisch; die militärische Intervention gehöre zum Inventar aller Diktaturen, und schließlich machten auf Diktaturen nicht Willfährigkeit und Leisetreten Eindruck, sondern ein Zusammenstehen und entschlossenes Auftreten.

Die besten Köpfe, von Henry Kissinger bis Timothy Snyder, von Herfried Münkler bis Timothy Garton Ash, sprechen sich heute für den einzigen Weg zum Verhandlungsfrieden aus, nämlich die Ukraine so stark zu machen, dass sie sich gegen Russland behaupten und zu keiner als Kompromiss getarnten Kapitulation gezwungen werden kann.

Die deutschen Sozialdemokraten unter Bundeskanzler Olaf Scholz haben endlich mit den von Ex-Kanzler Gerhard Schröder genährten Illusionen über Putin gebrochen. Dagegen empfiehlt Andreas Mailath-Pokorny ,der ehemalige SPÖ-Kulturstadtrat von Wien, in einer verwirrten Kritik am Bundespräsidenten eine "Realpolitik von Profis", auf Deutsch: einen Unterwerfungsfrieden für die Ukraine.

Die innenpolitisch so lernfähige SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner sollte sich jedenfalls in der Russland-Politik an die klare und auch international beachtete Linie des Bundespräsidenten halten und das "Brückenbau"-Gewäsch der Unbelehrbaren ignorieren. (Paul Lendvai, 2.8.2022)