In Hongkong gab es Proteste von Pro-China-Aktivistinnen und Pro-China-Aktivisten gegen Pelosis Besuch.

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Als Nancy Pelosi am Dienstag spätabends in Taipeh landete, wurde sie von hunderten Menschen begrüßt. Doch die Volksrepublik China war alles andere als erfreut über die Reise des Sprecherin des US-Repräsentantenhauses: Für Peking ist der Besuch der Nummer drei der USA ein Affront, ein "Spiel mit dem Feuer", wie sich hochrangige Stellen wiederholt ausdrückten. Doch was ist für Peking so schlimm an dem Besuch? Und warum fliegt Pelosi überhaupt nach Taiwan?

Frage: Wie erklärt Pelosi ihren Besuch in Taiwan?

Antwort: Bereits bei ihrer Ankunft sagte Pelosi, dass ihr Besuch ein Akt der Solidarität mit dem demokratischen Taiwan sei. Die Insel sei zunehmend unter chinesischer Bedrohung. Die USA können "nicht daneben stehen, wenn die kommunistische Partei Chinas Taiwan – und die Demokratie als solche – gefährdet", hieß es in einem Kommentar, der zum Zeitpunkt ihrer Ankunft in Taiwan in der "Washington Post" veröffentlicht worden war. Pelosi nannte darin expliziert auch Entwicklungen in Hongkong, Tibet und Xinjiang.

Bei einem Treffen mit der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen am Mittwoch betonte Pelosi, dass die Entschlossenheit der USA, die Demokratie in Taiwan und im Rest der Welt zu bewahren, eisern sei. Während die USA das "Ein-China-Prinzip" respektieren würden, sei "unsere Solidarität wichtiger denn je". Die USA würden Taiwan nicht im Stich lassen.

Frage: Was ist mit dem "Ein-China-Prinzip" gemeint – und was ist das Problem damit?

Antwort: Anfang der 1990er-Jahre haben sich Peking und Taipeh auf einen Konsens geeinigt, der sich auf das "Ein-China-Prinzip" stützt. Er stellte so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den zwei Streitparteien dar. Im Kern besagt er, dass es nur ein China gibt – wer der rechtmäßige Vertreter ist, das ist umstritten. Beide Seiten beanspruchen diese Stellung.

Peking hat vor allem seit Xi Jinping 2012 an die Macht gekommen war mit zunehmender Vehemenz die Wiedereingliederung der Insel in das chinesische Territorium gefordert – zur Not auch mit Gewalt. In den vergangenen Jahren sind häufiger chinesische Flugzeuge in den taiwanischen Luftraum eingedrungen, die Drohgesten nahmen zu.

Die USA unterstützen Taiwan traditionell beim Ausbau seiner Verteidigungssysteme, dazu haben sie sich auch im "Taiwan Relations Act" vertraglich verpflichtet. Ob das Land aber im Fall der Fälle Taiwan selbst verteidigen würde, das lassen die USA traditionell offen.

Frage: Wie kam es eigentlich zu dem Konflikt?

Antwort: Der Konflikt um die Insel geht auf die Gründung des modernen chinesischen Staates zurück. Nachdem 1911 der chinesische Kaiser gestürzt worden war, wurde ein republikanischer Staat errichtet. In den Folgejahren entbrannte ein Bürgerkrieg zwischen eben jenen Republikanern unter Chiang Kai-shek (Kuomintang) und den Kommunisten unter Mao Tse-tung. Mao setzte sich durch und rief 1949 die Volksrepublik China aus. Die Kuomintang flohen auf die Insel Taiwan.

Die USA und die Mehrheit der internationalen Gemeinschaft erkannten allerdings Taiwan als rechtmäßigen Vertreter Chinas bei der Uno an. Im Zuge der Annäherung zwischen den USA und China Anfang der 1970er-Jahre musste Taipeh diese Position an Peking abgeben, sukzessive verlor Taiwan seine Anerkennung bei den Vereinten Nationen. Heute gibt es nur noch eine Handvoll Staaten, die aufseiten Taiwans stehen. Auch die USA unterhalten schon lange keine offiziellen diplomatischen Beziehungen mehr mit Taiwan.

Frage: Warum spitzt sich der Konflikt gerade in den vergangenen Jahren zu?

Antwort: Dafür gibt es mehrere Gründe, die ihrerseits wiederum nicht unabhängig voneinander wirken. Auf internationaler Ebene ist es so, dass die USA spätestens unter Donald Trump neues Interesse an Taiwan zeigten. Seine China-kritische Politik wird von Joe Biden weitergeführt, wenn auch moderater im Ton, aber in manchen Belangen vehementer in der Sache.

Auch in China selbst haben sich die Verhältnisse in den vergangenen Jahren geändert: Das Land beeindruckte mit einem rasanten Wirtschaftsaufschwung die Welt. Auf dem Weg zur neuen Weltmacht gilt es vor allem als Lebenstraum von Xi, Taiwan wieder mit dem Festland zu vereinigen. Immer wieder hat er angekündigt, dass der Schritt auf der Agenda stehe.

Und in Taiwan selbst haben sich die politischen Umstände ebenfalls geändert: 2016 kam die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) mit Tsai Ing-wen an die Macht, die weniger vehement am Ein-China-Konsens festhält. Man liebäugelt mit der Unabhängigkeit von China. Die Stimmen, die das fordern, werden lauter auf der Insel. Für China ist das natürlich eine rote Linie.

Frage: Wie reagiert China auf den Besuch?

Antwort: Wie bereits im Vorfeld angekündigt, ist Pelosis Besuch nicht folgenlos geblieben. China hat militärische Übungen in der Meerenge von Taiwan angekündigt. Bereits am Dienstag drangen Kampfflugzeuge in den taiwanischen Luftraum ein. Ab Donnerstag, also nach Pelosis Besuch, will China außerdem weitere militärische Manöver um die Insel durchführen, mit scharfer Munition. Tokio zeigte sich über die Ankündigung besorgt, weil das Manöver unter anderem in Japans exklusiver Wirtschaftszone stattfinden soll.

Peking setzte außerdem den Handel mit Taiwan teilweise aus. Betroffen sind etwa Sandimporte und Nahrungsmittelexporte Taiwans.

Beobachter sprechen bereits von einer "vierten Taiwan-Krise" – die letzten solchen Spannungen ereigneten sich Mitte der 1990er-Jahre, nachdem der taiwanische Präsident in die USA geflogen war. Der russische Überfall auf die Ukraine Ende Februar hatte zuvor bereits Spekulationen darüber angeheizt, ob Xi den Vorfall als Präzedenzfall für Taiwan nehmen könnte.

Frage: Wie reagiert Russland auf die Spannungen?

Antwort: Der Kreml hat den Besuch bereits im Vorfeld scharf verurteilt. Pelosis Besuch würde bloß Spannungen anheizen, hieß es am Dienstag. Am Mittwoch ließ der russische Außenminister Sergej Lawrow wissen, dass der Besuch bloß die "Freizügigkeit der USA" zeigen würde und dahinter der Wunsch stehe, China zu irritieren.

Frage: Warum reist Pelosi gerade jetzt nach Taiwan? Braucht es eine weitere Krise?

Antwort: Warum Pelosi gerade jetzt nach Taiwan fliegt, darüber kann nur spekuliert werden. Den Besuch hatte die 82-Jährige bereits für April angekündigt, musste ihn dann aber wegen einer Covid-Infektion verschieben. Pelosi galt immer schon als China-kritische Politikerin. Sie forderte etwa den diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele 2008 und 2022; bereits 1991 verärgerte sie die kommunistische Führung mit einer Aktion auf dem Tian'anmen-Platz in Peking.

Joe Biden hatte sich eigentlich gegen ihren Besuch ausgesprochen. Gleichzeitig arbeitet seine Administration daran, in Asien ein Gegengewicht zu China herzustellen. Seine Regierung sucht etwa Allianzen im Indopazifik, wo sie Sicherheitskooperationen stärkt, unter anderem mit Indien, Japan und Australien.

Frage: Ist eine militärische Eskalation wahrscheinlich?

Antwort: Die Spannungen um Taiwan waren schon lange nicht mehr so groß, trotzdem rechnen Beobachterinnen und Beobachter nicht mit einer Eskalation – wenn, dann würde es bei dem aktuellen Säbelrasseln zu einer "unabsichtlichen Eskalation" kommen. Auf den ersten Blick ist der Besuch eine Provokation für Peking und ein Gesichtsverlust für Präsident Xi. Doch vielleicht könnte Xi den Vorfall sogar für seine Zwecke nutzen. Im November will er beim 20. Parteikongress seine dritte Amtszeit bestätigen lassen – ein Schritt, der seine Macht zementieren soll. Ein offener militärischer Konflikt wäre zu dem Zeitpunkt nicht in seinem Sinne – den starken Mann gegenüber den zunehmend provokanteren USA zu spielen aber sehr wohl. (Anna Sawerthal, 3.8.2022)