Nach dem Tod von Lisa-Maria Kellermayr wird der Ruf nach mehr Maßnahmen gegen Hass im Netz immer lauter.

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Auch Tage nach ihrem Tod sorgt das Ableben der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr für Bestürzung. Der grüne Nationalratsabgeordnete Georg Bürstmayr kündigt in sozialen Medien an, Gespräche mit den Sicherheitssprechern aller Parteien zu konkreten Maßnahmen zu führen. "Eine Welle des rechten Hasses rollt durch Österreich", schrieb Bürstmayr. Die Strafgesetze gegen Hass im Netz gebe es bereits, allerdings müssten die Behörden und Ministerien nun reagieren. Auch Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) kommentierte die Geschehnisse: Aus ihrer Sicht ist am Vorgehen der Behörden zu prüfen, an welcher Stelle es "vielleicht besser gemacht" hätte werden können. "Ich weiß aber auch, im Nachhinein sagt sich das leicht."

DER STANDARD

Mehrere Ermittlungen

Mittlerweile habe die Staatsanwaltschaft München gegen einen Verdächtigen "wegen des Verdachts der Beleidigung und der Bedrohung" Ermittlungen eingeleitet, sagt eine Sprecherin. Hierzulande wurde Kellermayr nunmehr auf Wunsch von Angehörigen obduziert. Dem vorläufigen Ergebnis zufolge dürfte es zu keiner Fremdeinwirkung gekommen sein. Eine toxikologische Untersuchung steht noch aus. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Wels erläutert auf Anfrage, dass weiterhin wegen des Tatbestands der gefährlichen Drohung gegen unbekannte Täter ermittelt werde. Zudem werde geprüft, ob die österreichischen Behörden im Fall des mutmaßlichen Täters, der in Deutschland sitzt, verantwortlich sind.

Das Verfahren war zuvor aufgrund mangelnder territorialer Zuständigkeit eingestellt worden: Aufgrund vergangener Höchstgerichtsurteile sind im Fall von gefährlichen Drohungen die Behörden im Herkunftsort der Täter verantwortlich.

Kritik

Der Strafrechtsexpertin Ingeborg Zerbes von der Uni Wien zufolge sind die österreichischen Behörden aufgrund des Suizids von Kellermayr "spätestens jetzt" zuständig. Juristisch gesehen sei der Tatort Österreich, da die Ärztin – als Folge der in Deutschland begangenen Drohung – hierzulande verstorben ist. "Der dadurch bedingte österreichische Tatort löst die Zuständigkeit der heimischen Behörden zur Strafverfolgung aus, bei einem deutschen Täter unter Beanspruchung von Rechtshilfe aus Deutschland", sagt Zerbes. Aufgrund des Suizids der Ärztin liegt der Strafrahmen bei bis zu zehn Jahren.

Doch aus Zerbes’ Sicht besteht der Eindruck, dass die Behörden bereits früher durchaus Anlass zu Ermittlungen gehabt hätten. Schließlich wurde Kellermayr seit November 2021 laufend bedroht. Selbst wenn die Drohungen quantitativ von niedriger Zahl wären, bestünde allein aufgrund des Schweregrads dieser Drohungen der Verdacht des sogenannten Cyberstalkings, der zu prüfen gewesen wäre. Kellermayr wurde mit Gewaltfantasien bedroht – und war immer wieder Ziel von Angriffen.

"Wenn man die Medienberichte liest, kommt da schon der Verdacht der beharrlichen Verfolgung auf", sagt Zerbes. Mit Blick auf die Ermittlungen kritisiert sie: "Warum das nicht früher passiert ist, ist nicht zu erschließen." Sie findet, dass "Hass im Netz noch ein schwacher Ausdruck" für das sei, was Kellermayr widerfuhr. "Das ist die Androhung schwerwiegender grausamer Gewalt, die in Österreich strafbar ist und auch hier zu verfolgen wäre."

Juristisches Vorgehen

Indes geht der Polizeisprecher der oberösterreichischen Landespolizeidirektion juristisch gegen einen Beitrag auf Twitter vor. Er hatte Kellermayr Ende Juni unterstellt, sie habe sich in die Öffentlichkeit gedrängt und die Lage "sehr, sehr dramatisch" dargestellt. Ein Nutzer kritisierte daraufhin, der Polizeisprecher habe mit seinen "depperten Aussagen Blut an den Händen". Der Anwalt des Polizeisprechers sieht diese Aussage als überschießend, da sie dem Sprecher unterstelle, Schuld an dem Tod zu tragen. (Muzayen Al-Youssef, 3.8.2022)