Sophie Karmasin und Sebastian Kurz sind weitere Beschuldigte in der Causa Umfragen – es gilt die Unschuldsvermutung.

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Die jüngste Nachricht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) an die Meinungsforscherin Sabine Beinschab dürfte für großes Aufatmen bei der Beschuldigten in der Causa Umfragen gesorgt haben. Am Dienstag hat die Behörde der Beschuldigten mitgeteilt, dass sie den von ihr beantragten Kronzeugenstatus erhält. Die WKStA informierte Beinschabs Anwältin Katrin Blecha-Ehrbar, dass "von der Verfolgung der Sabine Beinschab (…) vorläufig zurückgetreten wird". Das Schreiben liegt dem STANDARD exklusiv vor.

Das betrifft alle Vorwürfe im Zusammenhang mit den Studien und Beinschabs Geschäftsbeziehung zu Sophie Karmasin. Der "Faktenkomplex Inserate" ist noch ausgenommen, weil dieser "noch nicht entscheidungsreif" sei. Da ist die Behörde noch am Prüfen.

Sollte es dereinst in jenen Verfahrenssträngen, die Beinschab als Kronzeugin offengelegt hat, zu Verurteilungen kommen, bliebe sie als Kronzeugin straffrei. Für jene Verfahrensstränge, zu denen sie im Rahmen der Kronzeugenregelung ein Geständnis abgelegt hat, würde ihr die Behörde ein Diversionsangebot vorlegen – ihr also zum Beispiel vorgeben, welche Form der Sozialarbeit sie erbringen muss.

Reumütiges Geständnis

Wie es dazu gekommen ist: Am 6. Oktober des Vorjahres hatten die Ermittler Hausdurchsuchungen durchgeführt, etwa in der ÖVP-Parteizentrale, im Bundeskanzleramt und bei Beinschab und deren vormaliger Chefin und Geschäftspartnerin Sophie Karmasin. Sechs Tage später wurde Beinschab festgenommen – und da hat sie laut dem Schriftsatz der WKStA mitgeteilt, dass sie "bereit sei, freiwillig ihr Wissen über Tatsachen und/oder Beweismittel zu offenbaren", das "die umfassende Aufklärung (…) über ihren eigenen Tatbeitrag hinaus" fördern würde.

Daraufhin legte Beinschab laut WKStA ein "reumütiges Geständnis" ab. Mehr als 65 Stunden wurde sie in mehreren Terminen einvernommen, zudem übergab sie der WKStA Dokumente und Unterlagen, die die Ermittler bei den Hausdurchsuchungen nicht gefunden hatten.

"Konkrete Abläufe" offengelegt

Welche "neuen Taten" hat Beinschab nun "offenbart", wie das Voraussetzung für den Kronzeugenstatus ist? Laut WKStA legte sie anhand von Unterlagen offen, dass das Finanzministerium auch zwischen September 2018 und Dezember 2020 Studien beauftragt und bezahlt habe, die "zum Nutzen von Sebastian Kurz und der ÖVP" gewesen seien. Konkret gehe es um zehn Studien, angefangen vom Thema "Digitalsteuer" über "Bewertung des Wirtshauspakets" bis hin zu anderen Corona-Hilfspaketen.

Darüber hinaus habe Beinschab "detailliert die konkreten Abläufe sowie die Verrechnung im Zusammenhang mit den Studien" offengelegt sowie "wie und in wessen Auftrag die Studienergebnisse zur Veröffentlichung manipuliert wurden" – dabei ging es wie berichtet vorrangig um "Österreich" und andere Medien der Fellner-Gruppe, für die Beinschab tätig war. Zudem habe sie berichtet, wie ihr eigenes Unternehmen von Karmasin sowohl für die Akquisition von Aufträgen als auch zu deren verdeckten Abrechnungen verwendet worden sei. Daraus abgeleitete Verdachtsmomente hatten Anfang März zur Verhaftung der ehemaligen Familienministerin geführt, die rund drei Wochen in Untersuchungshaft verbringen sollte. Die anderen Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe, und für alle hier Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Karmasin wollte Kronzeugenstatus Beinschabs verhindern

Schon Beinschabs Kronzeuginnenantrag hat bei anderen Beschuldigten für Kritik gesorgt. Norbert Wess, der Anwalt von Karmasin, hat sogar eine Stellungnahme dazu eingebracht – und zwar unter anderem bei der Fachaufsicht und der Rechtsschutzbeauftragten, was die WKStA als "unüblich" bezeichnete. Es sei dadurch der "Eindruck entstanden, dass es Karmasin um eine Verbesserung ihrer Verfahrensposition dadurch geht, dass der Kronzeugenstatus für die sie belastende Mittäterin verhindert wird".

Wess hatte sinngemäß unter anderem argumentiert, dass die formalen Voraussetzungen gar nicht vorlägen, weil das Geständnis nach Beinschabs Inhaftierung und somit weder rechtzeitig noch freiwillig erfolgt sei. Am Mittwoch sagte er zum STANDARD, die Entscheidung der WKStA sei für ihn "rechtlich nicht nachvollziehbar".

Die WKStA erklärt ihre Sicht der Dinge in der Mitteilung an Beinschab so: Es sei zwischen der "Kronzeugentat", bei der der Kronzeuge selbst verdächtig ist, sowie der "Aufklärungstat" zu unterscheiden, zu der der Kronzeuge überhaupt erst die Informationen liefert. Auch die Voraussetzung der Freiwilligkeit sei erfüllt worden, weil die Initiative eben von Beinschab ausgegangen war. "Eine psychologische Drucksituation, die etwa durch ein laufendes Ermittlungsverfahren entsteht, schadet nicht", heißt es in dem Schriftsatz der WKStA.

Zudem habe Beinschab trotz ihrer Festnahme damals noch alle Möglichkeiten gehabt, ihr Wissen über andere Sachverhalte, die die Staatsanwaltschaft damals noch nicht kannte, bei sich zu behalten – "mit der Chance, dass der volle Umfang ihrer Taten und jener ihrer Mittäter:innen unentdeckt bleiben würde".

Viele Kronzeuginnen und Kronzeugen gab es in der österreichischen Justiz bislang nicht: Als Erster hatte die 2011 geschaffene Regelung der frühere Telekom-Manager Gernot Schieszler in Anspruch genommen. (Renate Graber, Fabian Schmid, 3.8.2022)