Eineinhalb Jahre nach dem Anschlag in Wien hat sich an den Ermittlungsergebnissen der Behörden nicht mehr viel geändert.

Foto: Lisi Niesner

Eineinhalb Jahre nach dem jihadistischen Terroranschlag in Wien, bei dem der Terrorist K. F. vier Menschen getötet und etliche weitere verletzt hatte, stellte die Staatsanwaltschaft ihre Anklage nun fertig. Sie liegt dem STANDARD in voller Länge vor. Demnach müssen sich insgesamt sechs Beschuldigte vor Gericht verantworten. Bis auf eine Person befinden sich alle seit Monaten in Untersuchungshaft.

Die sechs Personen hätten den Terroranschlag vom 2. November 2020 "ermöglicht, erleichtert, abgesichert oder in einer anderen Weise gefördert", heißt es in der Anklageschrift. Ein Angeklagter reiste mit dem Attentäter in die Slowakei, um Munition zu kaufen; ein anderer habe ihn "aus Anlass eines Abschiedsbesuchs in seinem Entschluss zur Tatbegehung bestärkt". Ein dritter habe ihn bei der "Auswahl seines Anschlagsziels aktiv unterstützt" und ein Abschiedsposting positiv kommentiert.

Mehr als 20 Zeugen geladen

Ein vierter Angeklagter habe den Anschlag mit dem Attentäter geplant sowie "Tatwaffen samt Munition und weiterer Anschlagsutensilien" vorbereitet; ein weiterer habe ihm die Waffen und Munition übergeben sowie einen Tag vor dem Anschlag "bei der Munitionierung der Pistole" geholfen. Der sechste Beschuldigte wird angeklagt, weil er den "Waffen- und Munitionskauf" mitorganisiert haben soll.

Die Anklageschrift legt eine deutlich engere Tatbeteiligung der Beschuldigten nahe, als bisher bekannt war. Geladen werden laut Anklageschrift mehr als 20 Zeugen. Darunter auch jener Mann, M. O., der das Sturmgewehr und die Pistole samt Munition nach Wien gebracht und gemeinsam mit dem mutmaßlichen Verbindungsmann A. M. an den Attentäter verkauft haben soll. Das soll "im Wege der Rechtshilfe mit den slowenischen Behörden" passieren. In der Anklage wird der Slowene O. auch explizit als "Waffenlieferant" bezeichnet.

Auch die Angestellten jenes slowakischen Waffengeschäfts sollen vernommen werden, bei dem der spätere Attentäter und der nun angeklagte A. F. im Sommer 2020 vergeblich versuchten, Munition für das Sturmgewehr zu kaufen. Den beiden fehlte der Waffenschein.

Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. Sie bestreiten die Vorwürfe. Die Anklage ist noch nicht rechtskräftig und kann noch beeinsprucht werden.

Enger Kontaktmann wird getrennt verhandelt

In der Anklageschrift scheint ein enger Kontaktmann des Attentäters nicht mehr auf: Die Vorwürfe gegen den mutmaßlichen Jihadisten A. G. werden getrennt verhandelt. Dessen Anklage wurde bereits vor einigen Wochen fertiggestellt und liegt dem STANDARD vor. Darin wird dem heute 24-jährigen Nordmazedonier die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen.

A. G. gilt als enger Freund des Wiener Terroristen und nahm auch am observierten internationalen Jihadistentreffen im Sommer 2020 in Wien teil. Aus Sicht der Ermittler habe der amtsbekannte Jihadist eigens eine Wohnung in St. Pölten angemietet, um IS-Sympathisanten anzuwerben. Auch der spätere Wiener Attentäter tauchte dort auf – das letzte Mal kurz vor dem Anschlag.

Der Bewohner der Attentäterwohnung

Die Ermittler haben sich auch lange damit beschäftigt, dass einer der Beschuldigten, H. Z., in der Wohnung des Attentäters gelebt hatte. Z. wird nämlich einem radikalislamischen Familienclan zugerechnet. Und es stellte sich stets die Frage, ob die beiden Jihadisten dort kurz vor dem Anschlag auch gemeinsam weilten. Denn Z. wird vorgeworfen, den Attentäter bestärkt und den Anschlag mit diesem gemeinsam geplant zu haben.

Laut der Anklageschrift dürfte das nicht der Fall gewesen sein. Gemäß dem DNA-Spurenbild soll Z. dreieinhalb Wochen im Oktober 2020 dort verbracht haben. Die dagegen geringe Anzahl an Spuren des Terroristen würde eine "kurzfristige Anwesenheit nach oder während des Aufenthalts" von Z. nahelegen. K. F. "nächtigte bis zum von ihm verübten Terroranschlag auch weiterhin gelegentlich in der Wohnung seiner Eltern", heißt es in der Anklageschrift.

Z.s DNA fanden Ermittler wiederum an einem Klebebandstück des Sturmgewehrs, im Magazin der Pistole und auf der Machete des Attentäters. Ebenso an dessen getragener Wollhaube, seinem Siegelring und den mitgeführten Patronen. Auch die Sprengstoffgürtelattrappe soll Z. gemeinsam mit K. F. gebastelt haben.

Nahm der Attentäter das Bekennervideo nicht allein auf?

Interessant ist auch ein anderer Aspekt der Anklageschrift. Darin heißt es zwar, dass laut einem Gutachten im aufgenommenen Bekennervideo "keine Anhaltspunkte für die Anwesenheit Dritter gewonnen werden konnten", allerdings bestehe aufgrund der Rufdaten "kein Zweifel an der Präsenz" zweier Angeklagter. Es sei bei "lebensnaher Betrachtung" davon auszugehen, dass sich die beiden Männer in Kenntnis der Aufnahme ruhig verhalten hätten, heißt es in der Anklage. Da die Wohnung aus mehreren Räumen bestehe, sei daher außerdem nicht zwingend davon auszugehen, dass sich die Angeklagten im selben Raum befanden.

Die Ermittler fanden über die Webseite sunrise-and-sunset.com/de überdies heraus, "dass der Sonnenuntergang am Montag, dem 2.11.2020, um 16.32 Uhr" stattgefunden habe – nachdem die beiden Angeklagten die Wohnung verlassen hatten. Die Aufzeichnung des Bekennervideos soll tagsüber erfolgt sein. Die beiden Angeklagten gaben stets an, dem späteren Attentäter bloß ein Buch vorbeigebracht zu haben. (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, 3.8.2022)