Wie ein Gestörter rase ich von der Redaktion in Wien nach Hause ins Burgenland. Der rund 600 PS starke Testwagen brüllt vor sich hin, dass es eine Freude ist. An guten Tagen wie diesem brauche ich für die rund 50 Kilometer kaum mehr als eine halbe Stunde.

Das ist jetzt rund vier Jahre her. Ich hätte damals einen Anfall bekommen, wäre die aktuelle Diskussion um Tempo 100 auf Autobahnen losgebrochen.

130 statt 100 km/h zu fahren macht mehr Spaß, sagen manche. Ob das wirklich stimmt, hinterfragt man schnell, wenn man langsamer fährt.
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Zuletzt sorgte vor wenigen Tagen die Studie des Arbeitskreises Verkehrspolitik der Gesellschaft für Straße, Schiene und Verkehr für Aufsehen, der zufolge eine "probeweise" Reduktion der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen, Landstraßen und im Ortsgebiet auf Nichtvorrangstraßen gefordert wurde. 100, 80 und 30 km/h wären demnach ein enormer Beitrag zur Verbesserung der Klimasituation, würden die Verkehrssicherheit heben und uns beim Energiesparen dienlich sein. Am Ende bleibt kaum ein Argument über, warum man diese Forderung nicht unterstützen sollte. Doch der Arbeitskreis selbst fürchtet, dass er für dieses Ansinnen keine breite Akzeptanz finden würde, weshalb er sich für eine einjährige Probe ausspricht, deren Ergebnisse man dann evaluieren könnte. Nicht einmal die grüne Verkehrsministerin Eleonore Gewessler will diesen heißen Erdapfel angreifen.

Die Politik fährt lieber schnell

In der Politik findet sich aktuell kein namhafter Entscheidungsträger, der eine solche Temporeduktion unterstützen würde. Klar, wenn man in Legislaturperioden denkt und den aktuellen Platz heimelig findet, wird man sich nicht selbst mit einer Forderung um eine Temporeduktion abmontieren, die bei den Wählerinnen und Wählern nicht gut ankommt – und sei diese eine noch so eine gute Investition in die Zukunft. Ich kann das gut nachvollziehen.

Meine Investitionen in die Zukunft waren lange Zeit Fahr- und Rundstreckentrainings, um noch höhere Kurvengeschwindigkeiten zu schaffen, Auto- und Motorradrennen zu fahren und einen durchaus stattlichen Fuhrpark an Sport-, Rennwagen und Motorrädern bereitzuhalten. Ich wollte ein besserer Fahrer sein als alle anderen da draußen. Und dann fiel eines Tages der Groschen.

Selbstreflexion

Warum hetze ich mich so ab, nerve alle anderen Verkehrsteilnehmer, verbrenne sinnlos Sprit, nur um dann im Idealfall ein paar Sekunden früher zu Hause zu sein, wo ich dann dämlich ins Wischtelefon schaue, statt die gewonnene Zeit sinnvoll zu nutzen. Manchmal blieb ich sogar vorm Haus im Auto sitzen, um einen Beitrag im Radio noch fertig hören zu können. Warum also tue ich das mir, warum tue ich das den anderen an?

Ich begann mein Leben zu ändern. Von heute auf morgen. Tempo 100 auf Autobahnen wurde zu meiner Höchstgeschwindigkeit. Bei viel Verkehr sollte es sogar noch weniger werden. Da hänge ich mich nämlich hinten an einen Lkw. Ich stierte dabei anfangs stur geradeaus, weil ich sonst durch das Seitenfenster das Gemetzel hätte sehen müssen, bei dem ich vor kurzem selbst noch Protagonist war.

Unfallrisiko Schnellfahren

Eine schon etwas in die Jahre gekommene Studie aus England und Wales zeigte 2018, dass fast 80 Prozent der Menschen, die wegen Vergehen im Straßenverkehr angezeigt wurden, Männer waren. Ein Viertel der Unfälle, die in dieser Studie erfasst wurden, verursachten Männer, weil sie zu schnell fuhren. In Österreich gaben 2017 fast 50 Prozent der in einer Studie untersuchten Personen an, besser fahren zu können als der Rest. In den vergangenen drei Jahren kamen in Österreich 1119 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben, davon mit 628 Personen, mehr als die Hälfte, auf Freilandstraßen. Also sollten wir die Sache sogar im Sinne der eingangs erwähnten Studie weiterdenken.

Der Verkehrsclub Österreich nimmt die aktuelle Diskussion gerne auf und fordert wegen der Unfallzahlen ebenfalls Tempo 80 auf Freilandstraßen. Die weiteren Argumente sind die bekannten; weniger Spritverbrauch, weniger Emissionen und weniger Lärm. Aber noch einen Punkt darf man hier nicht vergessen.

Weitere Vorteile von 100/80

Könnte man auf Autobahnen und Landstraßen 100 km/h schnell fahren, gäbe es mehr Strecken, auf denen man auf der Freilandstraße schneller oder gleich schnell wäre wie auf der Autobahn. Es würde reizvoller werden, sich die Vignette zu ersparen. Der Verkehr und damit die Emissionen würden dann allerdings genau dort zunehmen, wo Menschen leben. Anders herum, wenn man den Autoverkehr verlangsamt, würden die Öffis attraktiver werden.

Wegen der Entscheidung, künftig mit maximal 100 km/h auf der Autobahn zu fahren, wurde auch mein Leben attraktiver. Nach und nach hat sich im Windschatten dieser Entscheidung vieles geändert. Ich begann immer mehr meiner Lebensweisen auf ihre Sinnhaftigkeit und deren Auswirkungen auf die Umwelt zu hinterfragen. Heute ernähre ich mich anders, gehe nur mehr alle paar Monate in ein Gasthaus, steige in kein Flugzeug mehr, fuhr seit Jahren nicht mehr auf Urlaub – daheim ist es eh wunderschön –, habe mehr als den halben Fuhrpark verkauft, fahre im Jahr weniger Kilometer mit dem Auto als zuvor in zwei, drei Wochen, und bin das, was man einen Konsumverweigerer nennen würde. Die meisten Wege erledige ich zu Fuß, ich muss nicht mehr pendeln, weil ich im Homeoffice arbeiten kann. Was vermutlich interessanter ist: Das Alltagsauto, ein Kleinwagen, Benziner, den wir vor einigen Jahren gebraucht gekauft haben, wurde vom Vorbesitzer mit etwas mehr als sieben Litern bewegt. Der Normverbrauch lag bei rund sechs Litern. Heute fahren wir ihn mit 4,6 Litern. Am Ende sparen wir uns Geld, sind zufriedener und entspannter.

Es bringt zu wenig

Dennoch lehnt der ÖAMTC neue Tempolimits kategorisch ab, weil sie zu wenig bringen. Als ob es noch eine Maßnahme gäbe, die man nicht für die Umwelt setzen sollte, weil ihre Folgen nur gering seien.

Am Ende scheint es, als gäbe es kein Argument gegen niedrigere Tempolimits. Trotzdem glaube ich nicht, dass wir solche brauchen. Denn auch wenn das alles für mich ein Gewinn ist, würde ich genau das niemandem vorschreiben wollen. Denn eines ist klar: Es ist sehr leicht, mit weniger zufrieden zu sein, wenn man eh alles hat. Am Ende soll doch jeder für sich selbst entscheiden, wie er seine Mobilität und sein Leben gestalten will.

Luft nach oben

Nur damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin auch kein Heiliger. Ich bin in meinem Leben so viel geflogen und auf Rennstrecken sinnlos im Kreis gefahren, dass ich den Schaden, den ich angerichtet habe, nie wiedergutmachen werde können. Ich ertappe mich heute noch dabei, Wege mit dem Auto zu fahren, die ich auch mit dem Rad hätte erledigen können. Und unlängst war mir mein Tempo 100, in meinem Oldtimer, auf einmal auch nicht mehr so wichtig.

Noch eines: Als ich unlängst, wegen dieses Artikels, mit unserem Kleinwagen wieder einmal länger 130 km/h gefahren sind, stieg der Verbrauch trotzdem kaum über fünf Liter. Es dauerte ein wenig, bis ich draufkam, woran der niedrige Verbrauch auch beim höheren Tempo liegen könnte.

Was wirklich was bringt

Wenn man ständig langsamer fährt und auf seinen Spritverbrauch achtet, beginnt man wohl automatisch vorausschauender zu fahren. Da schert man nicht noch schnell aus der Kolonne aus, um den Lkw zu überholen, sondern wartet, bis genug Platz ist, um das in Ruhe machen zu können, ohne Vollgas geben zu müssen. Ausrollen statt bremsen, sanft beschleunigen und nicht immer Erster sein müssen – eben nicht wie seinerzeit wie ein Gestörter fahren. Das bringt anscheinend mehr als jedes Tempolimit. Der Rest kommt dann vielleicht eh von allein. (Guido Gluschitsch, 4.8.2022)